Jungautorenwettbewerb 02/2017: Platz 4

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Im Rahmen unseres Jungautorenwettbewerbs 02/2017 unter dem Motto „Jugend im Sturm“ veröffentlichen wir nun täglich verschiedene Einsendungen.

Parole: Italien

Eine rein fiktive Geschichte.

Ein weiterer grauer Arbeitstag im Großraumbüro. Es ist Mai, und doch ungewöhnlich kalt, Regen prasselt an das Fenster, gedämpfte Telefongespräche erfüllen den Raum. Wenig zu tun, zwischen den Anträgen, Telefonaten und Kaffeepausen bleibt immer wieder unausgefüllte Zeit. Das Firmennetz sperrt fast alle Internetseiten, Wikipedia steht jedoch zur freien Verfügung. Wie so oft nutze ich einen unbeschäftigten Moment, um mich über interessante Themen einzulesen.
Auf der Startseite finde ich historische Ereignisse. Vor 208 Jahren fand die zweite Schlacht am Bergisel statt. Ich werde neugierig, ein Thema, das bisher selten meine Aufmerksamkeit fand. Ich lese über die tapferen Tiroler, die sich gegen die bayerische Übermacht, unter der Führung ihres charismatischen Anführers Andreas Hofer, durchsetzten.
„Herr Kögl, können Sie bitte die 2009er-Akten aus dem Keller holen?“ Meine Kollegin reißt mich aus meinen Träumen.
„Ja Frau, Paderski“.
Mein Kontakt zu den Kollegen beschränkt sich auf das Nötigste. Denn die Themen bei allen Gesprächen sind meist oberflächlich, mein Leben hat wenig mit dem meiner gleichaltrigen wie älteren Kollegen gemein. Die neusten Modetrends, das schönste Bonsaibäumchen im Wintergarten, wo man denn an diesem Wochenende dinieren geht, Kollege XY hat auf der Betriebsfeier eine Tasse Glühwein zu viel genascht …
Die Kollegen dürfen nichts von meiner politischen Aktivität wissen, wenn sie mich fragen, wo ich am Wochenende war, wird aus der Demonstration eine Wanderung mit den Eltern und anstelle des Vortragsabend war man feiern. Das übliche Leben eines etwas introvertierten Jugendlichen.

Ich bin froh, als ich das Büro verlassen kann. Auf dem Nachhauseweg sinniere ich über Andreas Hofer und Tirol, denn Südtirol ist das Thema, was meinen Aktivistenkreis derzeit beschäftigt.
Auch in Südtirol gibt es Kameraden, die Deutschland nicht aufgeben und dabei selbst einen harten Kampf führen. Zwar ist es in Südtirol bekannt, dass das Land deutsch und nicht italienisch ist, und doch hatten Lethargie und eine gewisse Dekadenz dazu geführt, dass Widerstand in der breiten Bevölkerung nur noch symbolisch bleibt.
Wir wollen ein Zeichen setzen – Solidarität einerseits, andererseits das eigene Bewusstsein und das unserer Landsleute schärfen. Heute ist unser Tag.
Unter einem billigen Vorwand verabschiede ich mich von meinen Eltern und gehe zum Treffpunkt. Die dämliche Parole hätte man sich sparen können, aber wir alle wissen, das wir vorsichtig sein müssen und darum sprechen wir nur von „Parole Italien“, man weiß nie, wann der Staat gerade mithört.
Wir sind alle jung, zum Teil gerade achtzehn, die Älteren Anfang zwanzig. Dennoch haben die meisten schon einiges an Erfahrungen auf dem Buckel, sind schon einige Jahre in der Bewegung. Wir kommen aus unterschiedlichsten Schichten, mancher ist arbeitslos, mancher Handwerker, mancher eben im Büro. Was uns eint, ist ein tiefer, unausgesprochener und doch allen bekannter Schwur, ein Wille, ein Glaube.
Es ist halb eins und wir steigen in die Fahrzeuge. Alles ist lange im Voraus geplant und doch weiß niemand, wie die Sache ausgehen wird. Hassgesangs „Wehr dich“ dröhnt aus den Boxen und spricht aus, was wir alle denken: „ … steckt man dich für deine Worte in den Knast, werden andere dir glauben, weil du geopfert hast“
Das Adrenalin steigt, je näher wir unserem Ziel kommen. Die Nacht ist sternenklar, der Regen des Vormittags hat sich gelegt, nur ein leichter Wind geht noch. Wir haben die Wagen in einem kleinen Feldweg geparkt. Hier sind wir noch sichtgeschützt, wir setzen unsere Sturmhauben auf und ziehen unsere Gummihandschuhe über. Ganz in Schwarz ist unser Anblick verwegen, aber ums Aussehen geht es nicht, denn sehen soll uns ja eben keiner. Die Sprühdosen werden gereicht und in geducktem Gang sprinten wir zum Zielort, einer alten Scheune.
Der Ort liegt an einer großen Straße, zwischen zwei Kleinstädten. Im Berufsverkehr müssen hier unzählige Autos entlang, doch nachts ist die Straße wenig befahren. Ein Kamerad hat die Stelle während einer Fahrstunde entdeckt.
Wir sehen uns noch einmal um, alles ist ruhig. Wir können mit unserem Werk beginnen. Groß werden die ersten Buchstaben an die Wand gemalt, zwei ziehen die Linien vor, drei malen nach. Wir hören das Geräusch eines Autos in der Ferne. Jetzt bloß nicht auffallen! Wortlos ducken wir uns. Mein Herz pocht wie verrückt, „Fahr bloß weiter!“ denke ich mir, und der Wagen passiert uns.
Wir wollen grade weitermachen, da plötzlich biegt ein Auto von der großen Straße ab, in eine Seitenstraße, an der die Scheune liegt. Mist, den haben wir nicht kommen gehen sehen! In der Nacht erkennt man nicht viel, doch die charakteristischen Scheinwerfer eines BMWs lassen das Schlimmste ahnen: die Bullen! Es ging immer gut, doch diesmal haben sie uns, denke ich mir.
Die Insassen müssen uns sehen, doch der Wagen fährt weiter. Wir alle atmen tief durch, jeder von uns hatte sich innerlich wohl schon auf eine Nacht auf der Wache eingestellt, doch wir haben Glück. Es ist manchmal erstaunlich, wie wenig Courage viele Mitmenschen zeigen – in diesem Fall ist das mal positiv.
Aber jetzt ist es höchste Eisenbahn zu verschwinden! Hastig schreiben, mehr schmieren wir noch die letzten Buchstaben an die Wand, ein kurzer Blick auf das Werk – „Südtirol bleibt deutsch!“ – und dann geht es in wenigen Sprüngen zurück zu den Autos.
Auf der Rückfahrt schlägt das Herz noch immer heftig, doch je weiter wir vom „Einsatzort“ weg kommen, desto mehr weicht die Unruhe einem gewissen Stolz. Ja – wir haben es durchgezogen. Wir machen erste Witze und die Erleichterung ist jedem anzumerken. Noch eine kurze Verabschiedung und ab ins Bett. Noch lange liege ich aufgeputscht wach und gehe die Aktion wieder und wieder durch.
Am nächsten Morgen der fragende Blick der Kollegin, denn die Müdigkeit lässt sich schwer verbergen. „Sie sehen aber müde aus, Herr Kögl?“„Ach, bin lange vor der Glotze gehangen – das Dschungelcamp war wieder spannend.“
Und während ich mir einen großen Kaffee einschenke und mir erzählen lasse, was denn die Kollegin so gestern im Fernsehen gesehen hat, bin ich in Gedanken längst bei der nächsten Sache.
„Der eine freut sich auf das Wochenende – Freizeit pur – der andere freut sich auf die Woche, denn da kann man nur, des Nachts der Stimme folgen, die nach neuen Taten ruft (…)“

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