Am 23. Januar 2016 lud die „European Solidarity Front for Syria“ (ESFS) zu einem Vortrag in die bayerische Landeshauptstadt München. Zahlreiche Mitglieder der nationalrevolutionären Partei "Der III. Weg" kamen und lauschten den Worten über die Hintergründe des Krieges in Syrien und die aktuelle Lage vor Ort (siehe: Syrien – Zwischen Freiheit und Terrorismus). Für einen jungen Aktivisten unserer Partei sollte dies der Beginn für eine Reise sein. Zusammen mit der ESFS bereiste er das arabische Syrien und verschaffte sich dort mit eigenen Augen selbst einen Überblick. Hier nun der vierte Teil des Erlebnisberichts, welcher fortlaufend auf unserer Netzseite veröffentlicht wird.
Siehe hierzu auch:
Teil 1: Die Beweggründe
Teil 2: Reisebeginn mit Kulturschock
Teil 3: Zu Gast beim Informationsminister
Nachdem wir gestern beim Informationsminister zu Gast waren, empfängt uns auch am dritten Tag des Aufenthaltes eine weitere interessante Persönlichkeit. Wir treffen Frau Dr. Bouthaina Shaaban. Sie ist die Beraterin des Präsidenten für Politik und Medien. Dr. Shaaban war bereits auch schon Beraterin von Hafiz al-Assad und moderierte unter anderem dessen Gespräch mit Bill Clinton. Ebenfalls saß sie für die syrische Regierung in den Verhandlungen mit den Rebellen in Genf. Auffällig war, dass sie nicht von einem "arabischen Frühling" sprach, sondern in diesem Zusammenhang vielmehr von der "arabischen Hölle". Auch sie empörte sich wie am Tag zuvor schon Herr al-Zoubi über die Berichterstattung in der westlichen Welt.
Zu Gast bei der Präsidenten-Beraterin Dr. Shaaban
Denn eine Frage beschäftigt deutsche Nachrichtenkonsumenten leider nicht im Geringsten: Woher kommen eigentlich die Informationen aus Syrien? Die meisten Nachrichtendienste stützen sich hierbei auf "Al-Jazeera" oder "Al-Arabia". Diese haben jedoch keine Reporter in Syrien, sondern vielmehr durch zahlreiche Lügenberichte mittlerweile Einreiseverbot. Für Reuters, eine der größten Nachrichtenagenturen weltweit, mit Hauptsitz in London, berichtete einst Khaled Yacoub Oweis über das Geschehen vor Ort. Frau Dr. Shaaban erzählt, dass sie ihn im März 2011 getroffen hat. Trotz detaillierter Auskünfte gab er anschließend ein völlig verfälschtes Bild über ihr Land wieder. Daher nennt sie ihn einen Lügner, der nun aus Jordanien über Syrien berichtet.
Sie nennt auch ihre Ansicht gegenüber der Türkei. In Interviews bezüglich einer Einmischung in Syrien, hätten der türkische Präsident Recept Tayyip Erdogan und der katarische Emir Tamim bin Hamad al Thani bereits geäußert, dass sie bereits Aktionen gestartet haben und dazu grünes Licht bekommen hätten. Fr. Dr. Shaaban stellt sich da natürlich die Frage: von wem?
Das Angela Merkel nun mit gerade jenen Personen über die Beendigung der Flüchtlingskrise verhandelt, hält sie für einen Fehler, da sie ja letztlich mit den Verursachern spricht. Laut Dr. Shaaban hat die türkische Regierung beispielsweise in Aleppo die Menschen aufgehetzt und möchte sich diese Stadt in neo-ottomanischem Großmachtbestrebungen einverleiben. Die säkulare Entwicklung Syriens ist dabei ein Dorn im Auge, da man auch in der Türkei sieht, wie Erdogan dort die Religionsfreiheit einschränken möchte.
Die Türkei eine Gefahr für Europa?
Frau Dr. Shaaban ermahnt, dass die Türkei aufgrund ihrer verlogenen und rücksichtslosen Politik eine Gefahr für Europa darstellt. Zudem profitiere die Türkei von den großzügig bereitgestellten Mitteln der EU für Flüchtlinge eher noch vom Krieg. Al-Nusra und ISIS kamen nicht aus dem Nichts. Wo konnten sie trainieren? Woher beziehen sie ihre Waffen? Es sei belegt, so Dr. Shaaban, dass sie in der Türkei trainieren konnten. Allerdings prophezeite sie der Türkei ebenfalls eine dunkle Zukunft, da Erdogan seine Karten überreizt hat und viele Terroristen möglicherweise bald in die Türkei wandern. Diese Entwicklung würde auch ihm die Kontrolle aus der Hand nehmen.
Auch über die erhitzte Beziehung mit Israel sprach Frau Dr. Shaaban. Nach wie vor hält der Zionistenstaat aus strategischen Gründen die Golan-Höhen besetzt. Syrien besteht hierbei jedoch nachvollziehbar auf ihren völkerrechtlichen Anspruch dieser Region. Israels Verteidigungsminister Mosche Jaalon äußerte dahin gehend das ihm Daesch (also der islamische Staat) als Nachbar lieber wäre, als die aktuelle mit dem Iran befreundete Regierung. Außerdem träume der Zionistenstaat von einem Groß-Israel und hätte daher auch weitere territoriale Wunschvorstellungen. Ein wenig fühlt sie sich an die Aborigines erinnert, welche aufgrund von Imperialismus ihre Identität verloren. Selbiges befürchtet sie für ihr Volk.
Ebenfalls berichtete sie über die enorme Abwanderung, nicht nur von Landsleuten, sondern vor allem auch von Diplomaten. Dies sieht sie sehr kritisch. Viele flüchten nicht wegen der Sicherheitslage in Syrien, sondern vielmehr weil dies ein neuer Trend sei. Es ist Mode Syrien zu verlassen, so Dr. Shaaban weiter. Ihre syrischen Landsleute sieht sie in Europa jetzt schon als US-gesteuerte ökonomische Sklaven. Europäische Staaten sind nach Ansicht der Präsidenten-Beraterin keine freien Länder mit einer echten Führung mehr, sondern lediglich Marionetten der USA.
Für die Zukunft wünscht sie sich nichts mehr, als ein unabhängiges Syrien. Ein Wunschgedanke, welchen ich auch für mein Volk vollends unterstreichen kann!
Der bescheidene Großmufti im Ministerium für Religion
Im Anschluss ging es ins syrische Ministerium für Religion. Dort trafen wir Ahmad Badreddin Hassoun, der Großmufti von Syrien, welcher einen Sohn bei einem Selbstmordattentat schmerzlich verlor. Ein Mufti ist ein islamischer Rechtsgelehrter. Er zeigte sich als ein modernes und aufgeklärtes Oberhaupt. Kritisch betrachtet er, dass viele religiöse Repräsentanten zu viel Macht wollen – im Christentum wie im Islam. Der Großmufti spricht sich für eine größtmögliche Säkularisation aus. Pharisäertum und unnötiger Kirchenprotz sind ihm zuwider. Er erzählt, dass er es hasst, wenn Kirchen und Moscheen so unglaublich reich geschmückt werden. Ihm ist es lieber, wenn jemand ein Krankenhaus oder eine Schule baut – damit würde man eine wahrhaft religiöse Tat begehen.
Auch Ahmad Badreddin Hassoun äußerte sich zu Israel: Die Zionisten behaupten, dass dies ihr "heiliges Land" sei und deshalb ihnen gehöre. Wenn dem so wäre, so scherzte er, müssten alle Christen nach Bethlehem, da dies deren "heilige Stadt" sei.
Nach dem Gespräch mit dem Großmufti besuchen wir zum Abschluss des ereignisreichen Tages das syrische Nationalmuseum. Aus verständlichen Sicherheitsgründen weist dieses jedoch nur noch wenige Exponate auf.
Der letzte Tag in Damaskus
Am nächsten Tag verlassen wir die Hauptstadt Damaskus. Die Situation hier ist surreal. Einerseits ist die Front in unmittelbarer Nähe, andererseits läuft hier alles seinen normalen Gang, sodass man den Krieg vergessen könnte. Auch irgendwelche Engpässe waren für uns nicht ersichtlich. Wie nah die Frontlinie doch eigentlich ist, erfuhren wir von unserem Reiseführer, der uns darauf hingewiesen hat, als wir an einer Kreuzung mit einem Fußballstadion standen. Der Satz, "hinter diesem Stadion verläuft die Front", ist mir noch gut im Gedächtnis.
Aufgeregt geh ich zu Bett, in dem Wissen, dass unsere Reisegruppe das scheinbar sichere Damaskus am morgigen Tag verlässt und sich einer Krisenregion nähert.
Mehr lesen Sie morgen im fünften Teil unserer einwöchigen Reihe „Ein Besuch in Syrien“.