Am Samstag, dem 11. Juli 2015 versammelten sich Tausende Schlesier auf den Straßen des oberschlesischen Kattowitz (Katowice), um ihren 9. Marsch der Autonomie für mehr Eigenständigkeit Schlesiens im heutigen Polen einzufordern. Die Anerkennung als ethnische Minderheit und eine Anerkennung ihrer Sprache als Regionalsprache sind die zentralen Themen des alljährlichen Protestzuges. Über zwei Gesetzesinitiativen zu diesen Forderungen muss noch im Warschauer Parlament entschieden werden.
Die „Schlesische Autonomiebewegung“ (RAS) fordert schon seit Jahren eine Autonomie für die Bergbauregion, in der sich bei der Volkszählung im Jahr 2011 mehr als 800.000 Menschen nicht als Deutsche oder Polen, sondern als Schlesier bezeichnet hatten. Und dies obwohl die Unterlagen der Volkszählung diesen Begriff gar nicht zur Auswahl vorgaben. Es darf also von einer weitaus größeren Befürwortergruppe für die „Schlesische Autonomiebewegung“ ausgegangen werden. Bei den letzten Parlamentswahlen holte die RAS etwa 8,5% der Stimmen. Sie will die Schlesier ins Zentrum der Politik bringen und für die Woiwodschaften Schlesien und Oppeln mehr Autonomierechte erreichen. Ziel ist es bis 2020 eine neue Region Schlesien mit Autonomierechten zu erreichen, die weitestgehend aus den bisherigen Woiwodschaften Oppeln und Schlesien besteht.
Keine Deutschen, keine Polen: Schlesier
Wir möchten hier kurz zum geschichtlichen Verständnis aus einem Artikel von Ernst Hofer in der „Blaue Narzisse“ vom 7. Januar 2013 zitieren:
„Im Gegensatz zum überwiegend deutsch besiedelten Niederschlesien, gab es in Oberschlesien schon immer eine Mischbevölkerung aus Polen und Deutschen. Gerade im ereignisreichen 20. Jahrhundert begann es dort zu brodeln. Nach dem Fall des Deutschen Kaiserreiches wurde dort 1921 eine Volksabstimmung über den Verbleib bei Deutschland abgehalten. Bei einer enorm hohen Beteiligung von ca. 98 Prozent sprachen sich 60 Prozent der Befragten für den Verbleib der Region bei Deutschland aus.
Polen, mit dem Ergebnis unzufrieden, griff das geschwächte Reich an. Die Reaktionen der Oberschlesier waren unterschiedlich: auf deutscher Seite bildete sich ein Freikorps und auf polnischer Seite brachen Aufstände aus. Schließlich kam die ostoberschlesische Bergbauregion um Kattowitz zu Polen und genoss weitgehende Autonomie.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurden aufgrund der ethnisch nicht klar abgesteckten Grenzen nur wenige Oberschlesier vertrieben. So durften, im Gegensatz zu den Niederschlesiern, etwa 800.000 Oberschlesier, die entweder polnischer Sprache, aber deutscher Herkunft oder deutscher Sprache, aber polnischer Herkunft waren, als Autochthone bleiben. So wie etwa 300.000 Deutsche, die im Bergbau als Fachkräfte gebraucht wurden.“
Viele Schlesier sehen sich auf Grund dieser bewegten Geschichte weder als Polen noch als Deutsche. Ähnlich verhält es sich bei den nach Unabhängigkeit strebenden Elsässern, die sich eine Loslösung von Frankreich wünschen, sich aber auch nicht als Deutsche sondern vielmehr als Elsässer definieren und positionieren (wir berichteten).
Kurzvideo vom Marsch der Autonomie 2015
Langvideo vom Marsch der Autonomie 2015