Jungautorenwettbewerb: In Gedenken an Oma W.

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Dieses Jahr stand der Jungautorenwettbewerb unter dem Thema der verloren gegangenen Gebiete des deutschen Volkes, da diese nicht nur über Jahrhunderte die deutsche Kultur und generell das ganze Deutschtum maßgeblich mit geprägt haben, sondern auch weil der Jungautorenwettbewerb  mit der Kampagne „Deutschland ist größer als die BRD“ verknüpft sein wird. Bei unserer Redaktion gingen in den letzten Wochen viele qualitativ hochwertige Texte, Gedichte und Erlebnisberichte ein, die wir nun Stück für Stück in den nächsten Tagen veröffentlichen werden. Der folgende Text ist einer davon.

In Gedenken an Oma W.

Mitte der 1930er Jahre ward ich in einem kleinen Dorf, im Sudetenland, als drittes von vier Kindern, im Kreise meiner Familie geboren. Das Sudetenland gehörte dem Deutschen Reich an, welches unter der Führung Adolf Hitlers stand. Doch die Politik betraf uns junge Menschen damals noch nicht – wir spielten mit anderen Kindern aus der Nachbarschaft und dem Dorf den ganzen Tag – unter der Aufsicht unserer Eltern – miteinander auf der Straße. Unser Dorf war sehr ländlich geprägt, es gab viele Bauern und Landwirte, sodass wir als Kinder auch oft bei diesen vorbeischauten und ab und an eine Kanne Milch, oder ein Stück Wurst bekamen. So verbrachten wir die ersten Jahre unseres Seins in einer Gemeinschaft, die sich untereinander halfen und unterstützten.

Der Krieg kümmerte uns zu seinem Beginn nicht allzu sehr, das normale Dorfleben schritt voran und wir Kinder spielten tagtäglich mit dem was wir hatten. Die einzigen Merkmale, die uns der Krieg zu Beginn zusetzte, waren dadurch zu erkennen, dass einige junge Männer sich aufmachten, um in der Wehrmacht oder auch in der SS ihren Dienst für das Vaterland zu leisten und somit auch gewillt waren, unsere Heimat zu verteidigen. Jedoch bemerkten wir den Krieg mehr und mehr, unser Dorfleben kam nahezu zum Erliegen. Fast alle Männer verließen oder mussten unser Dorf verlassen, um in den Kampf zu ziehen und die zurückgebliebenen Frauen und Kinder konnten deren Arbeit, die eine hohe Körperkraft voraussetzte, nicht weiterführen, wodurch auch diese gezwungen waren, die Höfe aufzugeben und in Städte zu ziehen, oder als Krankenschwester die verwundeten Soldaten zu versorgen. Wir Kinder verstanden diese Welt nicht mehr, wurde uns doch unser Alltag genommen, unsere Zeit und unsere Freunde zum Spielen genommen. Jedoch verharrte meine Mutter darauf, unseren Hof nicht zu verlassen und die Arbeit so gut es ging weiterzuführen – Vater wurde eingezogen, um im Krieg zu kämpfen. Doch auch unser Leben daheim änderte sich rapide, während die letzten Kriegsjahre begannen. Die rote Armee näherte sich unentwegt unserem Dorf und auch die Gerüchte über die Taten der Roten Armee blieben uns nicht ungehört. Die Stimmung im Dorf änderte sich dermaßen, sodass sich viele für die Flucht entschieden und gen Westen ins Innere des Reiches flüchteten. Auch meine Mutter entschied sich letztendlich für die Flucht, sodass sie und wir vier Geschwister nur die uns wichtigsten Sachen einpackten – Fotos, Kleidung und etwas zu essen. Wir flohen im Januar 1945, fünf Monate vor dem Ende des Krieges – der älteste Bruder war damals 12 Jahre, ich 8 Jahre und meine kleine Schwester gerade 3 Jahre alt. Wir zogen uns die wärmsten Kleidungsstücke an, die wir besaßen. Es war zwar ein sonniger Tag und wir genossen jeden Sonnenstrahl, den wir einfangen konnten. Jedoch war die Temperatur unter 0° C. Meine Mutter verließ unser Haus als Letzte und ich konnte ihre Trauer, die sie vor uns Kindern nicht zeigen wollte, in ihren Augen sehen – sie verlor eine Träne, wischte sich diese jedoch, bevor sie sich zu uns Kindern umdrehte, von der Wange. Des Weiteren hinterließ sie einen Brief an Vater, falls er frühzeitig zurückkommen sollte und er über unser Schicksal Bescheid weiß. Mutter und wir Kinder vermissten ihn sehr und waren tagtäglich der Hoffnung ihn wiederzusehen und in die Arme zu schließen. Dennoch war es nun an der Zeit für uns die Flucht anzutreten – wurde doch gemunkelt, dass die Rote Armee bald dieses Dorf erreicht. Als wir aufbrachen schlossen sich uns weitere Familien aus dem Dorf an, sodass wir ungefähr eine Gruppe von 20 Frauen und Kindern stellten. Zu diesem Zeitpunkt konnten wir jedoch nicht erahnen, dass dieser uns aufgezwungene Fußmarsch über sechs Wochen andauert – immer mit der Angst im Rücken Opfer der Roten Armee zu werden. Wir liefen Tag für Tag soweit uns unsere Füße tragen konnten, immer auf der Suche in einer Scheune nächtigen zu können oder jemanden um etwas Nahrungsmittel zu bitten. Jedoch unterschied sich das Bild in den Dörfern, welche wir passierten, nicht mit des Unseren. Viele Menschen hatten die Dörfer verlassen und es waren nur noch einzelne ältere Menschen anzutreffen, die uns erzählten, dass sie nichts mehr zu verlieren hätten, Ehepartner verstorben, Kinder in den Krieg gezogen oder auch, dass sie zu alt seien, um zu fliehen. Wir haben viele Schicksale gehört und gesehen und dennoch waren diese Alten bereit uns ihre letzten Nahrungsmittel mit auf die Flucht zu geben oder uns gewährten. bei ihnen zu nächtigen. Nach sechs langen Wochen erreichten wir ein Dorf in der Mitte Hessens, in welchem es noch einen Alltag gab und wir sicher vor Gefahren waren. Anfänglicher Plan war es, wie es viele andere taten, nach Dresden zu gehen. Als wir von den Anschlägen alliierter Soldaten hörten, waren wir froh einen anderen Weg eingeschlagen zu haben – jedoch waren wir sicher, dass einige Bekannte von uns in den Flammen ums Leben kamen und zündeten in Gedenken eine Kerze an unsere Bekannten und alle anderen Betroffenen an.

Als wir uns in unserer neuen Heimat niedergelassen haben, haben wir durch die Menschen vor Ort direkte Hilfe bekommen, uns ein neues Leben aufzubauen. Auch wir Kinder mussten mit der neuen Situation zurechtkommen, neue Freunde finden und unsere Mutter unterstützen. Trotz der langen Flucht, den vielen Schicksalen, auf die wir trafen, dachten wir jeden Tag an unseren Vater und hofften ihn wieder zu sehen. Um diesen Traum zu verwirklichen gab meine Mutter bei der Behörde an, dass wir einen neuen Wohnort haben und unseren Vater suchten. Jedoch musste die Behörde, nach einer Recherche, meine Mutter enttäuschen, da ihr Mann nicht auffindbar war. Er wurde weder auf einer Liste, auf der die Toten erwähnt wurden, gefunden, noch auf einer der Verwundeten. Es konnte lediglich festgestellt werden, dass er an die Ostfront geschickt wurde. Das Schicksal unseres Vaters lag im Unbekannten. Es gab lediglich drei Möglichkeiten, entweder kämpfte er noch, fiel im Gefecht oder wurde in Kriegsgefangenschaft genommen.

Wir mussten also mit dieser Ungewissheit leben, gaben jedoch nie die Hoffnung auf, unseren Vater wieder in die Arme zu schließen – wir beteten jeden Abend zu Gott, dass er unseren Vater zu uns bringe. Nach einem knappen halben Jahr wurden all unsere Hoffnungen und Gebete war, unser Vater stoß zu uns und erzählte, was ihm wiederfahren ist. Er wurde in der Schlacht verwundet, sodass er nach seiner Genesung heimgekehrt ist uns jedoch nicht antraf. Das Dorf war niedergebrannt, die Menschen, die dort geblieben sind, alle ermordet und in einem Massengrab zusammengeschart. Als er sich dann auf dem Weg zu uns machte, nur mit seinen Kleidungsstücken, die er anhatte, geriet er in sowjetische Kriegsgefangenschaft, konnte jedoch nach einigen Monaten fliehen und entkam den sowjetischen Soldaten. Nachdem unsere Familie wieder vereint war, nahm der Alltag wieder an Normalität zu. Auch das Kriegsende hatte dazu beigetragen, dass es wieder ruhiger wurde und die Angst, bombardiert zu werden, oder nochmal fliehen zu müssen, nahm ab. Wir Kinder wurden groß und eigenständig, bekamen selbst Kinder. Jedoch vergaßen wir nie, was uns widerfahren ist und trugen es teilweise an unsere Kinder und Kindeskinder weiter.

In Gedenken an Oma W. – Du für uns, wir für Dich!
 

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