Zu Beginn des neuen Schuljahres erfreut uns das Magazin „Der Spiegel“ mit der Titelgeschichte „Noten sind nicht alles: Worauf es im Leben ankommt“. Der Artikel richtet sich gegen die Überbewertung von guten Noten durch Eltern und Schüler, die dadurch spätestens nach dem Abitur „ausgebrannt“ und interesselos sind. Der „Spiegel“ bietet eine Reihe von Fachleuten auf, die übereinstimmend Fähigkeiten bei Kindern vermissen, die sich nicht in Schulnoten messen lassen, aber wichtig im späteren Leben seien. Die ganze Argumentation klingt nach der alten lateinischen Spruchweisheit: „Non scholae sed vitae discimus“, auf deutsch: „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.“
Da werden erst einmal eine Reihe erfolgreicher Menschen aufgeführt, die schlechte Schulnoten hatten oder durchs Abitur gefallen sind. Das gilt für Edmund Stoiber, Joschka Fischer, den Schlaumeier Günther Jauch, die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard und sogar für Charles Darwin. Der Unternehmer und frühere Lehrer Titus Dittmann erklärt: „In unseren Schulen geht es nur noch darum, Wissen einzutrichtern und abzufragen. Dabei bedeutet Bildung auch, sich einmal allein durchzubeißen. Eine starke Persönlichkeit zu werden.“
Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, sagt: „Noten haben heute nicht mehr die Aussagekraft, die sie mal hatten. Die Korrelation zwischen Noten und späterem Berufserfolg wird immer geringer.“ Das liegt an der Inflation von guten Noten. Trotzdem stehen die Jugendlichen am Ende der Schulzeit vor einer großen Leere. Was ihnen fehlt ist Neugier, Biss, der Drang zu lernen. Und was ihnen vor allem fehlt, ist Gemeinschaftssinn („Teamgeist“).
Manfred Prenzel, Leiter des Wissenschaftsrates, bekennt: „Weniger ist mehr.“ Die Lehrpläne sollten stark ausgedünnt werden, weil der Stoff ohnehin sehr schnell wieder vergessen werde. Man solle sich auf das konzentrieren, „was wirklich wichtig ist“. „Inhalte, die man fürs Weiterlernen, fürs Leben wirklich braucht, sollen souverän beherrscht werden.“ Und: das Durchhalten muß geübt werden: hinfallen, aufstehen, weitermachen. Insgesamt heißt die Devise: „Mut zur Lücke“.
Schon das Motto „Non scholae sed vitae“ zeigt, daß diese Gedanken keineswegs so neu sind, wie es der „Spiegel“ darstellt. Aber nicht nur die alten Römer werden sich gegen eine Verkopftheit von jungen Menschen, auch Adolf Hitler führte in seinen „Tischgesprächen“ bereits aus: „Was braucht ein Junge, der Musik üben will, Geometrie, Physik, Chemie? Was weiß er später davon? Nichts! Es ist widersinnig: Weil einer in einem Fach "Ungenügend" hat, soll er dann nicht mehr werden können, was er hat werden wollen? Wenn man sich das Lehrmaterial an den Schule näher anschaut, muß man sagen, daß ein gewisser Prozentsatz davon irrsinnig war: Sie töteten die Kinderseele!“
Auch in „Mein Kampf“ geht Hitler gegen die Überbetonung der rein wissenschaftlichen Schulung an und fordert insbesondere die Förderung charakterlicher und körperlicher Fähigkeiten ein. Und heute erkennt man wieder: ein einzelgängerischer Schwächling voller Selbstzweifel erreicht bei noch so viel abstraktem Wissen gar nichts. – In diesem Sinne: ein gutes neues Schuljahr!