Schon immer hat man den politischen Gegner der Lüge beschuldigt, und tatsächlich wird in der Politik viel gelogen. Doch gegenüber den sogenannten Populisten kam man auf einen besonders perfiden Vorwurf: Angeblich machen die Populisten gar keinen Unterschied mehr zwischen Wahrheit und Lüge und ignorieren instinktmäßig die Fakten. Das neu erfundene Wort für dieses Verhalten lautet „postfaktisch“ und ist von der „Gesellschaft für deutsche Sprache“ (GfdS) jetzt zum „Wort des Jahres“ 2016 gewählt worden. Das englische Äquivalent „post-truth“ wurde von der Redaktion des „Oxford Dictionary“ ebenfalls ausgezeichnet.
Das verwundert nicht, gilt doch der neue US-Präsident Donald Trump als Meister der „postfaktischen“ Rede. Und es scheint sogar welche zu geben, die sich zynisch den „Trump-Effekt“ zum Vorbild nehmen. Von Arron Banks, Gründer der Leave.EU-Kampagne, stammt das Zitat „Fakten bringen nichts…..du mußt eine emotionale Verbindung mit den Menschen herstellen.“ Die Zeitung „The Independent“ bringt dafür folgendes Beispiel als Beleg: Auf einer Wahlkampfveranstaltung nahm Barack Obama einen Anhänger Donald Trumps in Schutz, welcher durch das Publikum angefeindet wurde. Später am selben Tag sagte Trump bei einer Veranstaltung jedoch: „Sie müssen sich anschauen, was passiert ist. Obama hat so viel Zeit darauf verwendet, einen Demonstranten anzuschreien, ganz ehrlich, es war eine Schande.“
Wie erklärt die Jury der GfdS ihre Entscheidung? Das Kunstwort postfaktisch verweise darauf, daß es in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen heute zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten gehe. Nicht der Anspruch auf Wahrheit, sondern das Aussprechen der „gefühlten Wahrheit“ führe im „postfaktischen Zeitalter“ zum Erfolg. – Selbstverständlich nehmen die Medien für sich in Anspruch, immer die Fakten sprechen zu lassen. In Wirklichkeit arbeiten auch sie ständig mit Manipulationen. Die Redaktion des Oxford English Dictionary zumindest ahnt, daß die Ursache des Wahrhheitsverlustes nicht bei einzelnen Politikern oder ihren Anhänger liegt, sondern bei den Etablierten selber: „Angetrieben von dem Aufstieg der Sozialen Medien als Nachrichtenquelle und einem wachsenden Misstrauen gegenüber Fakten, die vom Establishment angeboten werden“, habe das Konzept des Postfaktischen Verbreitung gefunden.
„Misstrauen gegenüber Fakten, die vom Establishment angeboten werden“, damit ist „postfaktisch“ das Gegenstück zu „Lügenpresse“, unsere Wahl für das „Wort des Jahres 2016“.