Am 4. Januar 1947 erschien die erste Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Die Öffentlichkeit war beeindruckt von dieser neuen Mischung zwischen Wochenzeitung und Illustrierter und dem leicht ironischen, trockenen Schreibstil. Beides hatten die Spiegel-Macher allerdings abgekupfert von englischen und amerikanischen Magazinen, die es schon seit den 1920er Jahren gab. Im Nachkriegsdeutschland wirkte das ausgesprochen „smart“ und paßte auch zu dem Umerziehungsauftrag, den das Blatt erfüllte. So hatte es angefangen: der 23 Jahre alte Rudolf Augstein arbeitete für das „Hannoversche Nachrichtenblatt“ und wurde von drei britischen Presseoffizieren für die neue Zeitschrift „Die Woche“ angeheuert. Das Blatt wurde nach fünf Ausgaben eingestellt, weil es Kritik an den Alliierten geübt hatte. Die Lizenz für die Zeitschrift ging an den „Spiegel“ über, und der übte Kritik an allem möglichen, aber nicht an den Lizenzgebern.
Die Opfer der bald sprichwörtlichen „Spiegel-Häme“ klagten häufig vor Gericht, doch der große Konflikt kam im Oktober 1962 mit der sogenannten „Spiegel-Affäre“. Was war passiert? Die Zeitschrift hatte einen Artikel über die Bundeswehr veröffentlicht mit dem Titel „Bedingt abwehrbereit“ und darin militärische Einzelheiten verraten, die als Geheimnis behandelt werden sollten. Mit anderen Worten: der „Spiegel“ hatte Landesverrat begangen. Daraufhin ließ der damalige Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß die Redaktionsräume polizeilich durchsuchen und Augstein sowie enge Mitarbeiter vorläufig festnehmen. Nach drei Monaten kamen sie wieder frei.
Diese „Untat“ von Strauß ist in die Geschichte der Bundesrepublik als schwarzer Tag eingegangen, weil Strauß es in diesem Fall versäumt hatte, die Medien als „vierte Gewalt“ zu behandeln, die faktisch Teil des Staates ist (wie die Exekutive und die Gerichte). Er hatte die behauptete Unabhängigkeit der Medien ernstgenommen und so getan, als könnte man dagegen vorgehen wie gegen irgendein anderes Unternehmen. Doch der unausgesprochene Pakt besteht darin, daß die Medien zwar sticheln, aber sich nie gegen das System wenden, von dem sie Teil sind, und umgekehrt die Politiker den Medien ihre Frechheiten durchgehen lassen, weil darauf die „Auflage“ bzw. „Quote“ beruht. Dazu kann auch mal ein Staatsgeheimnis verraten werden oder ein Politiker „abgeschossen“, Hauptsache, das Spiel geht weiter.
Die „Spiegel-Affäre“ festigte den Ruf des Magazins als „Sturmgeschütz der Demokratie“ für Jahrzehnte. Niemand kann aber leugnen, daß Augstein sich in die Politik einmischte und konkrete Ziele verfolgte: Strauß zu verhindern war eines davon, die sozialliberale Koalition der Siebziger zu installieren ein zweites. Als das erreicht war, profilierte sich die Zeitung vor allem durch Kritik an allem und jedem und durch die fortwährende „Entlarvung“ niedriger Beweggründe, so daß die Korruption darin schon fast wie Normalität wirkte, und wer sich dagegen auflehnte, galt als Naivling.
Immer wieder gab es Versuche, dem „Spiegel“ Konkurrenz zu machen und ein neues, womöglich konservatives Nachrichtenmagazin zu installieren. Immer war es gescheitert, bis das Magazin „Focus“ es seit 18. Januar 1993 schaffte, sich zumindest als Alternative zum „Spiegel“ am Markt zu behaupten, obwohl die Auflage niemals so hoch war. Das Programm von „Focus“ – „Fakten, Fakten, Fakten“ – ist gezielt gegen die linksliberale und moralisierende Haltung des „Spiegel“ gerichtet, ohne selbst Stellung zu nehmen. Das tut seit 2009 das Magazin „Zuerst“ aus dem Munier-Verlag, das auflagenmäßig bislang ein Zwerg unter den Medienriesen geblieben ist. Aber immerhin die einzige „Spiegel“-Konkurrenz unter nationalen Vorzeichen.