Laut einer der WELT vorliegenden Studie verlassen durch das G8 Abitur viele Schüler das Gymnasium orientierungslos und ohne eine klare Idee, was sie mit ihrem Abschluss anstellen sollen.
Das Trendence-Institute befragte in einer der Studie zugrunde liegenden Umfrage 21.000 Schüler. Nur 44 Prozent von ihnen gaben an nach dem Abitur direkt mit einem Studium beginnen zu wollen, der Rest plane eine Pause, oft im Ausland, einlegen zu wollen. Viele von den, die eine solche Pause einlegen wollen, würden der Studie zufolge dies tun, um Lebenserfahrungen zu sammeln. Fast ein Drittel der Schüler würde nicht wissen, was sie aus ihrem Schulabschluss machen sollen. Diese Orientierungslosigkeit schlägt sich auch in der Zahl derer nieder, die ein Studienfach wechseln oder ihr Studium abbrechen. Dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zufolge würden G8 Abiturienten 15 Prozent häufiger das Studienfach wechseln und 14 Prozent häufiger ihr Studium ganz abbrechen.
Damit hat das G8 grundlegend versagt. Es wurde mit dem Ziel eingeführt, schneller Abiturienten und Hochschuldabsolventen in die Wirtschaft zu entlassen. Die mangelnde geistige Reife und Kenntnis von den eigenen Interessen, mit denen es die Schüler entlässt, machen dies jedoch zunichte. Geistige Reife, sowie das Wissen welchen Lebensweg man einschlagen möchte, sind nun mal Dinge, die nicht von heute auf morgen entstehen und deren Entwicklung sich auch nicht beliebig beschleunigen lässt. Hätte man in den Bildungsministerien auch nur einen Gedanken an das Wohl und die Bedürfnisse der Schüler verschwendet, hätte man sich denken können, dass bei der Verkürzung der Schulzeit so manches auf der Strecke bleibt. Vorbei sind die Zeiten, in denen das Abitur die zukünftige Elite Deutschlands mit einer umfassenden Allgemeinbildung ausstatten und auf ein Studium vorbereiten sollte.
Wie jeder andere Aspekt des gesellschaftlichen Lebens sind auch Bildung und Schule zu Sklaven der Wirtschaft verkommen, die keinen anderen Zweck mehr dienen, als den Hunger nach frischen und billigen Arbeitskräften zu stillen. Die Bildungsministerien haben ihre staatliche und gesellschaftliche Mission vergessen und sind zu Befehlsempfänger der Wirtschaftsbosse verkommen.
Selbst wenn ein Schulabgänger sich für ein Studium entschieden hat, kann das junge Alter vieler Studenten, sowie die auf das vermeintlich wesentliche reduzierte Schulzeit, zu Problemen führen. Es wurde schon mehrfach in den Medien darüber berichtet, dass die Fähigkeiten, mit denen deutsche Schüler das Gymnasium verlassen, von vielen Hochschulen als mangelhaft bewertet werden. Zum einen sind hier mangelnde fachliche Kompetenzen zu nennen, die man natürlich beseitigen sollte, aber weniger ausschlaggebend für den Erfolg eines Studiums sind, als man vielleicht denken würde. Viel dramatischer ist dagegen die schon ansprechende nicht vorhanden geistige Reife einiger Studenten. Viele wissen nicht mit der Freiheit, die ein Studium mit sich bringt umzugehen. Sie sind sich nicht bewusst, dass die Disziplin, die einst die Schule von ihnen forderte, sie nun selbst von sich fordern müssen. Viele schaffen es sich mit einem Mindestmaß an Arbeit, entweder aufgrund ihrer Intelligenz oder durch andere Mittel, das Abitur zu erreichen. Die meisten haben daher nie gelernt, sich selbst einer Disziplin zu unterwerfen. Die Abschaffung des Wehrdienstes hat sein Übriges dazu beigetragen. Ohne ein Mindestmaß an Fleiß und Arbeitsdisziplin werden jedoch die wenigsten in der Lage sein, ein Studium abzuschließen. Dazu kommt, dass viele Studenten ein geringes Frustpotenzial aufweisen, sie geben schnell auf und sind nicht in der Lage etwas in Anbetracht von Schwierigkeiten zu Ende zu bringen. Es wäre zu einfach diese und andere Charakterschwächen den betroffenen in die Schuhe zu schieben und wir wollen hier auch niemanden von der Verantwortung für sein Handeln freisprechen. Doch wir müssen uns auch im Klaren sein, dass jemand, der nie Disziplin gelernt hat, sie nur in den seltensten Fällen aus sich heraus entwickeln wird. Zum anderen sind Eigenschaften wie Willensstärke und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten Dinge, die Zeit brauchen, um sich zu entwickeln und zu denen eine gewisse charakterliche und geistige Festigung gehört, deren Entwicklung auch wiederum Zeit in Anspruch nimmt.
Ein weiterer Punkt, der für viele Studenten ein Problem darstellt, insbesondere in den harten Wissenschaften, wie den Natur- und Ingenieurswissenschaften, ist das hohe Niveau des Stoffes. Man kann den Niveauunterschied der zwischen dem Stoff an Gymnasien und dem einiger Studiengänge, etwa mit dem Unterschied zwischen Alltagsmathematik, also dem Anwenden der Grundrechenarten, um ein bestimmtes Ergebnis zu erhalten, und dem Rechnen mit Unbekannten, also Algebra, vergleichen. Wobei der Niveauunterschied hier vergleichsweise klein, fast schon nicht vorhanden ist, und dass sich an einer Hochschule kein Professor mehrere Wochen Zeit nimmt, um den Studenten über diese Hürde hinweg zu helfen, sondern einfach davon ausgeht, dass sie es schon schaffen werden und wenn nicht, dann eben nicht.
Ist eine solche Hürde einmal genommen, ist der Stoff, der sich hinter ihr verbirgt, in vielen Fällen deutlich einfacher als die Hürde selbst, da beim Nehmen der Hürde elementare Konzepte in einem „Aha-Erlebnis“ verinnerlicht wurde und nun einst völlig unverständliche Zusammenhänge, als offensichtlich erscheinen. Die Hürde muss aber erst einmal genommen werden und für viele ist der Sprung auf eine höhere Abstraktionsebene, den viel harte Wissenschaften mit sich bringen, zu weit. Dies wird wohl nirgends so deutlich wie in den Erstsemestervorlesungen in Mathematik der unterschiedlichen Ingenieurswissenschaften. Mit jedem Vorlesungstermin lichten sich in diesen zunehmend die Plätze in den Hörsälen, weil bei mehr und mehr Studenten sich das Gefühl breitmacht, vor einer Wand zu stehen, die sie erklimmen sollen, ohne jedoch zu wissen wo und wie sie überhaupt anfangen sollen. Am Ende meldet sich dann oft nur noch die Hälfte zur Prüfung an, von denen wiederum stellenweise 70 Prozent im Erstversuch scheitern.
Da Hochschulen selbstverständlich ihre Standards nicht senken können, wäre es an den Gymnasien das Denken in abstrakten Konzepten zu lehren oder ihre Schüler zumindest angemessen daran heranzuführen. Im Grunde tun sie dies schon, indem im Mathematikunterricht Dinge wie Analysis behandelt werden, was jedoch, wie sich zeigt, nicht weit genug geht oder oft auch am qualitativ schlechten Unterricht scheitert. Es sei jedoch angemerkt, dass nicht jeder Student derartige Fähigkeiten braucht und hier das richtige Mittel zu finden ist eine Frage für sich. Da aber insbesondere die Wirtschaft mehr Personen aus Studiengängen fordert, die solche Fähigkeiten voraussetzen, ist es kontraproduktiv, die Zeit wegzustreichen, die für das Erlernen eben dieser Fähigkeiten benötigt wird. Ebenso wird unsere Welt allgemein immer komplexer und es sollte klar sein, dass weniger Schule nicht dabei helfen wird, unsere Kinder auf diese Welt vorzubereiten.
Die Erkenntnis, dass eine qualitativ hochwertige Bildung und die mindestens ebenso wichtige charakterliche Reife Zeit in Anspruch nehmen, scheint inzwischen auch schon bis zu den Entscheidungsträgern in der Politik durchgedrungen sein. So wird mittlerweile G8 teilweise wieder rückgängig gemacht und Bayern wird im September 2018 vollständig zu G9 zurückkehren. Am Ende wird das G8 Abitur vielleicht, ähnlich wie die Rechtschreibreform, als eine ebenso undurchdachte wie enthusiastisch vertretene Reform in die Geschichte der BRD eingehen, die hoffentlich zukünftigen Politikern als Beispiel dienen wird, wie man es nicht tut.