Die Identität von Volk und Sprache (Teil 1)

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„Die Muttersprache ist das präziseste Werkzeug, das dem kreativen Denken zur Verfügung steht.“ [1]

Dieser Satz bildet deshalb die Einleitung, weil in ihm das gestellte Thema „Die Identität von Volk und Sprache“ in aller Einfachheit aber auch in umfassender Weise angesprochen wird.

Der eingangs verwendete Begriff Muttersprache steht im wahrsten Wortsinne für die evolutionäre Einheit von Volk und Sprache; dabei verkörpert ´Mutter´ sowohl die biologisch-genetische Einheit als auch die kulturell-sprachlich-schicksalhafte Einheit.

Die Bezeichnung der Muttersprache als das präziseste Werkzeug für kreatives, d.h. schöpferisches Denken, weist eindeutig auf den weltanschaulichen Hintergrund der Sprache hin. Denn erst die volksgemeinschaftliche Erfahrung und Wertgrundlage, das ist letztlich die Präzision, die Genauigkeit und Trennschärfe des Werkzeuges ´Muttersprache´, ermöglicht es schöpferisch und damit kulturschaffend tätig zu werden; dies gilt sowohl musisch-künstlerisch als auch technisch-wissenschaftlich. Schließlich wird festgestellt, daß die Muttersprache gerade dann benötigt wird, wenn es darum geht, neue Zusammenhänge und Erkenntnisse zum Ausdruck zu bringen.

Eine Einlassung vorab:
Wer sich mit der Sprache im Allgemeinen, besonders jedoch mit dem Thema Muttersprache befaßt, kommt an dem großartigen Gelehrten, Sprachforscher, Philosophen und Staatsmann Wilhelm von Humboldt nicht vorbei. Das Universalgenie wurde 1767 in Potsdam geboren und starb 1835 in Berlin-Tegel. Er verfaßte über 30 Arbeiten zur Sprachphilosophie und Sprachwissenschaft, die gerade in der heutigen Zeit besonders lesenswert sind. Denn mittlerweile wird kaum mehr vergleichende Sprachforschung betrieben. Beispielhaft seien lediglich vier seiner Arbeiten genannt:
– Über Denken und Sprechen (1795/96)
– Einleitung in das gesamte Sprachstudium
(1810/11)
– Über den Einfluß des verschiedenen Charakters der Sprachen auf Literatur und Geistesbildung (1821)
– Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues (1827-29)

Humbolt-Denkmal Berlin
Humbolt-Denkmal Berlin

Wilhelm von Humboldt setzte sich sowohl mit den allgemeinen und damit universellen Grundlagen des Sprechens und der Sprachen auseinander (sogenannte Universalienforschung), als auch mit der vergleichenden Sprachforschung. Er untersuchte zum Beispiel baskisch, mexikanisch, griechisch, chinesisch; er forschte über die amerikanischen Sprachen, die der Südseeinseln, über Sanskrit und natürlich auch über unsere deutsche Sprache.

Demgegenüber ist von dem wesentlichen Vertreter der modernen Universalienforschung, dem 1928 geborenen Noam Chomsky, folgende Aussage überliefert: „Ich bin fast völlig außerstande Sprachen zu lernen – allein schon deshalb, weil ich das so langweilig finde.“ [2]

Noch einige Erläuterungen zur bereits erwähnten Universalienforschung: Vieles, das Wilhelm von Humboldt bereits ausgesprochen hatte, wurde durch die neuere Sprachforschung, unterstützt durch die Hirnforschung, wissenschaftlich belegt: Die Fähigkeit Sprache aufzunehmen, zu lernen und dann einsetzen zu können, ist auf evolutionär gewachsene Schalt- und Verknüpfungsvorgänge im Gehirn zurückzuführen. Diese Vorgänge betreffen den Satzbau und auch die in der Grammatik enthaltene Logik.

Die Fertigkeit des Verknüpfens scheint tatsächlich bei allen sprechenden Völkern in vergleichbarer Form vorhanden zu sein. Sie ermöglicht es, daß die Muttersprache bereits im Kleinkindalter grammatikalisch richtig angewendet werden kann, obgleich die Kinder weder die grammatikalischen Regeln kennen noch richtige Satzstellungen geübt haben.

Im Gegensatz dazu müssen die einzelnen Worte, jedes für sich, aufgenommen und abgespeichert werden. Auch unser Sprachverständnis dürfte weniger erlernt sein, als daß es vielmehr einer Veranlagung folgt.

Als Ergebnis einer erlernten Fähigkeit gelingt es guten Morsefunkern bis zu 3 Zeichen pro Sekunde zu verarbeiten. Echte gesprochene Sprache wird weitaus schneller verstanden, nämlich über 10 Mal so schnell, d.h. über 30 Lauteinheiten pro Sekunde. Dabei hören wir ein 20-maliges Klicken pro Sekunde gar nicht mehr als Abfolge einzelner Töne, sondern als tiefes Summen. Unser Gehirn muß also über eine veranlagte Fertigkeit verfügen, Sprache in Hochgeschwindigkeit zu entschlüsseln und zu verstehen.“ [3]

Diese Hinweise zu den sogenannten Sprachuniversalien sollten zum Gesamtverständnis des Themas beitragen; eine weitere Vertiefung würde den vorgestellten Rahmen sprengen und bleibt daher einer eigenständigen Ausarbeitung vorbehalten.

Muttersprache im Entstehen

Zu Beginn des Sprechens, d.h. als Voraussetzung sprachliche Laute zu bilden, stehen unsere Sprechwerkzeuge. Irenäus Eibl-Eibesfeldt schreibt dazu:

Wie bei allen Säugetieren steht bei den nicht menschlichen Primaten und beim Vormenschen der Kehlkopf sehr hoch. Der freie Rand der Epiglottis [Kehlkopfdeckel] reicht dadurch über das Gaumensegel in den Nasenraum hinein, wodurch Atemweg und Nahrungsweg sicher voneinander getrennt werden. Das ist auch beim Säugling noch so, der zu gleicher Zeit trinken und atmen kann, ohne sich zu verschlucken. Erst im Laufe der Ontogenese [Verhaltensentwicklung] kommt es zu einer Senkung des Kehlkopfdeckels und damit auch zu einer Gefahr des Verschluckens. Die sichere Trennung von Atem- und Nahrungsweg wurde zugunsten des Sprechvermögens aufgegeben.“[4]

Auch auf Grund des flachen Gaumens geht Eibesfeld davon aus, daß weder der Neandertaler noch der Homo erectus bereits wie der Homo sapiens sprechen konnte.
„Welche Vorfahren des Homo sapiens bereits sprechen konnten, läßt sich heute nicht feststellen.“ [4]

Alles in allem wird davon ausgegangen, daß die Entwicklung unserer grammatisch-syntaktischen Sprache (Wortbildung und –beugung, Satzbau, Satzstellung) in einem Zeitraum von 100.000 bis 50.000 Jahren vor unserer Zeit ihren Anfang nahm. Allerdings wird erst der Cro-Magnon-Mensch und damit der Homo sapiens, ab 50.000 vor heutiger Zeit, als sprechender Mensch bezeichnet; eine hohe Kunstfertigkeit sowie eine schiere Explosion der Symbolik werden auf die Möglichkeit sprachlicher Verständigung zurückgeführt. [5]

Letztlich gilt dies, nämlich eine von Gestik und Mimik weitgehend unabhängige, begriffliche Verständigung und Weitergabe von Erfahrung und Wissen als der eigentliche Urgrund der Sprache. In der modernen Wissenschaft lauten die Stichworte hierfür ´soziale Intelligenz´, ´theoretisches Bewußtsein´ oder auch ´kognitive Fluidität´. [6]

Den verschiedenen Theorien ist vor allem eines gemeinsam: Grundlage und Voraussetzung ist die einheitliche Sprachgemeinschaft. Denn Sender und Empfänger einer Mitteilung müssen deren Bedeutung in gleicher Weise verstehen, wenn der Inhalt von einem Menschen zu einem anderen übertragen werden soll. Die notwendige Übereinstimmung der Bedeutung ist nur möglich, wenn ihr eine kulturell gewachsene Übereinkunft, eine gemeinsame Lebenserfahrung, verbindend und verbindlich zu Grunde liegt. Was das Fehlen gemeinsamer Lebenserfahrungen bedeutet ist einfach nachzuvollziehen; man stelle sich einmal vor, wie ein Eskimo einem Araber Vorhandensein und Beschaffenheit eines Eisberges erklären wollte – oder umgekehrt ein Araber einem Eskimo eine Sandwüste. Insofern sind gemeinsame Lebenserfahrungen eine grundlegende Voraussetzung sowohl für die Entwicklung eines gemeinsamen Sprachausdruckes, als auch im weiteren für die lebendige Sprache eines Volkes.

Somit wird deutlich: Muttersprache ist nicht (nur) deshalb Muttersprache, weil es die Sprache der leiblichen Mutter ist, sondern, weil sich die Sprachgemeinschaft hinsichtlich Abstammung und Lebenserfahrung – oder anders gesagt: hinsichtlich ihrer Identität widerspiegelt. Denn beim Kulturmenschen sind nicht nur die Erbanlagen Identität, sondern auch die ererbten Fertigkeiten und die erlernten Fähigkeiten einschließlich des Wissens. Das heißt, Muttersprache ist sowohl im körperlichen (physischen), als auch im kulturellen Sinne Identität, ist das Sich-Gleich-Bleiben im Wechselspiel des Lebens, in der Evolution.

Diese Erkenntnis aus der Entstehungsgeschichte von Sprache bildet die Wurzel des Themas „Die Identität von Volk und Sprache“. Die Muttersprache ist somit der eigentümliche und unverwechselbare, über unzählige Generationen gewachsene wesenhafte Ausdruck eines Volkes. Sie birgt das Weltbild des Volkes, d. h. das Bild, das sich die Sprachgemeinschaft vom Leben und der Welt gebildet hat in sich. Im vorliegenden Fall können wir Weltbild und Weltanschauung gleichsetzen.

Wilhelm von Humboldt beschrieb dies so, und dabei dürfen wir den von ihm verwendeten Begriff ´Geist´ durchaus im biologischen Sinne, d.h. als die im Zellkern in der DNS gespeicherte und verschlüsselte Ordnungsstruktur des Lebens verstehen:

Die Geisteseigentümlichkeit und die Sprachgestaltung eines Volkes stehen in solcher Innigkeit der Verschmelzung ineinander, daß, wenn die eine gegeben wäre, die andere müßte vollständig aus ihr abgeleitet werden können. /…/ Die Sprache ist gleichsam die äußere Erscheinung des Geistes der Völker; ihre Sprache ist ihr Geist und ihr Geist ist ihre Sprache, man kann sich beide nie identisch genug denken.“ [7]

Nationalcharakter und Nation sind für Wilhelm von Humboldt keine naturgesetzliche Folge einer rassischen Entwicklung. Vielmehr bemerkt er:

In der Sprache ist die Nation als solche schöpferisch.“ [8]

Somit unterschied Wilhelm von Humboldt bereits Lebensgesetz und Naturgesetz!

Erläuternd findet man an anderer Stelle:
In ihrer ursprünglichen Beziehung auf das Wesen der Individualität sind also der Grund aller Nationalität und die Sprache einander unmittelbar gleich. Allein die letztere wirkt augenscheinlicher und stärker darauf ein, und der Begriff der Nation muß vorzugsweise auf sie gegründet werden. Da die Entwicklung seiner menschlichen Natur im Menschen von der Sprache abhängt, so ist durch diese unmittelbar selbst der Begriff der Nation als der eines auf bestimmte Weise sprachbildenden Menschenhaufens gegeben.“ [9]

Schrifttum:
[1] Forschung & Lehre, 2/2007, S. 90
[2] Eichler, Richard, W., Die Zukunft der deutschen Sprache, 1993, S. 25
[3] Pinker, Steven; Der Sprachinstinkt (deutsche Übersetzung, 1996), S. 186
[4]) Eibl-Eibesfeld, Irenäus; Die Biologie des menschlichen Verhaltens, 3. Aufl., 1995, S. 723
[5] Gehirn & Geist, Dossier Nr. 1/2009, S.16 und S.78
[6] Gehirn & Geist, Dossier Nr. 1/2009, S.33 und S. 15
[7] Humboldt, Wilhelm von; /WvH/ Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts (1835), Ausgabe 1935, S. 37
[8] /WvH/ siehe 7), S. 427
[9] /WvH/ siehe 7), S. 198

Quelle: Huttenbriefe 2016 Folge 4 – 5

1 Kommentar

  • Sehr guter Beitrag, vielen Dank.
    Ein wohlüberlegter Aufsatz, kein „wohl überlegter“.

    Bitte verwenden doch auch Sie in Zukunft in Ihren Papier- und Weltnetz-Veröffentlichungen die gute alte traditionelle deutsche Rechtschreibung. Alle großen Deutschen des 20. Jahrhunderts und ihre Schriften verwenden sie und viele wehrten sich noch gegen die sinnentstellende und unnatürlich von oben aufgezwungene „neue Rechtschreibreform“. So z.B. Ernst Jünger. Selbst die koschere liberalkonservative „Junge Freiheit“ verteidigt die überlieferte Rechtschreibung.

    Unsere Sprache prägt unser Denken.

    Mit aufrechtem Gruß!

    Michael Wittmann 20.09.2017
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