Sprache als Ausdruck des Fühlens und Denkens
Sowohl sprachgeschichtlich als auch volksgeschichtlich ist die Sprache als das Werkzeug zu bezeichnen, das uns in die Lage versetzt, unser Denken, auch unser Empfinden, so auszudrücken, daß wir damit von unseren Mitmenschen verstanden werden können. Dabei ist uns die Wechselwirkung, einerseits von der Muttersprache auf den einzelnen Menschen und andererseits vom Einzelnen auf die Sprache häufig nicht bewußt. Diese für die Muttersprache wesentliche und prägende Wirkweise gilt sowohl für die erste Sprachgemeinschaft unserer Urahnen als auch für unser Volk.
Wie kann man sich aber die Wirkung der Muttersprache auf das Denken des Einzelnen vorstellen? Die in der Sprache angesammelte Lebenserfahrung unserer Vorfahren ist in unserer Muttersprache enthalten und prägt unser Denken, vor allem unser begriffliches Denken. Vor dem Hintergrund einer überlieferten Begriffsvereinbarung, die in der Sprache verankert ist, können wir uns im Rahmen der Muttersprache in der Regel klar und eindeutig verständigen. Die mehr oder weniger häufig gemachte Erfahrung, wonach Männer und Frauen angeblich in zwei verschiedenen Formen derselben Muttersprache aneinander vorbeireden, sei an dieser Stelle großzügig ausgeblendet. Schließlich schreibt Wilhelm von Humboldt:
„Ohne Sprache kann das Denken nicht zur Deutlichkeit gelangen, ohne Sprache kann die Vorstellung nicht zum Begriff werden.“ [10]
Am Beispiel eines rotfarbenen Apfels wird das auf einfache Weise offensichtlich. Die Vorstellung der Frucht führt beim Sprecher sofort zum Begriff – und dieser beim Zuhörer zur Vorstellung der runden, rotbackigen Frucht. Und tatsächlich hat jeder Leser in diesem Augenblick einen rotbackigen Apfel vor Augen, keinen grünen und auch keine Birne oder Quitte. Auch bei Begriffen wie ´schnell´ oder ´Freude´ sind unsere jeweiligen Vorstellungen weitgehend deckungsgleich; obgleich nicht ohne weiteres zu erraten ist, wie der Begriff schnell in der Vorstellung eines jeden Lesers im Einzelnen ´aussieht´.
Bei Begriffen wie ´Treue´, ´Ehre´ oder ´Freiheit´ wird hingegen deutlich, wie wichtig die sprachliche Begriffsvereinbarung, wie bedeutsam die gemeinsame, sprachlich gebundene Lebenserfahrung und Weltanschauung ist.
Haben wir nicht bereits alle schon des öfteren schmerzlich erfahren, daß unsere bundesbürgerlichen Nachbarn, tagtäglich gebeutelt durch Lüge, Täuschung und Wertezerstörung, unsere deutsche Sprache, das Wort aus unserem Munde gänzlich anders, ja vollkommen falsch auslegen? Ausgerichtet an der Deutungshoheit der Umerzieher und der Meinungsmafia! Eine derartige Umdeutung, ja Vergewaltigung unserer Muttersprache bedeutet nicht nur eine Verleugnung unserer Art, unseres Volkscharakters, sondern auch den folgenschweren Abriß der Tradition, der Lebenserfahrung unseres Volkes. Solcher Zersetzung müssen wir uns mit aller Kraft und bestem Können entgegenstemmen!
Nochmals zurück zur Wechselwirkung zwischen dem Menschen und seiner Muttersprache, die nach Wilhelm von Humboldt auch schöpferisch in uns wirkt, uns zum Weiterdenken anregt und zu neuen Begriffen befähigt. Mittels Verdichtung durch die Sprache gewinnt das Denken nicht nur äußerlich an Klarheit, sondern es führt vor allem auch nach innen hin zu einer „Anschaulichkeit in der Vorstellung, in der Tiefe der Eindringung in das Wesen eines Begriffes“, ja sogar zum Wesenhaften selbst. [11]
Es ist teilweise kaum zu glauben, daß die folgenden Begriffe nachweislich von Denkern unseres Volkes geschöpft wurden, so tief scheinen sie in unserer Sprache verwurzelt; z.B. von Martin Luther:
„Schauplatz, Rüstzeug, Schwarmgeist, Bubenstreich, Fallstrick“
oder von Friedrich Schiller:
Erfindungsgeist, Fehlschlag, Weltordnung, Seelenfriede, Wohllaut, Selbstverteidigung, Gaukelbild, Glückspilz, Schwerkraft, selbstzufrieden, schutzlos, abhärten. [12]
Angesichts der Überflutung mit englischen Begriffen, gerade auch im technischen Bereich, sollten wir uns tagtäglich neu dazu ermuntern, mit Witz, Einfallsreichtum und innerer Freude eigene, deutsche Begriffe zu finden und damit unserer Vorstellungskraft neuen Raum und neue Stärke geben. Immerhin hat dies bereits im 19. Jahrhundert zu einer ganzen Reihe schöner und sinnvoller Wortschöpfungen geführt, wie Richard W. Eichler zu berichten weiß:
„Mit der Gründung des Zweiten Reiches erwachte auch das Selbstbewußtsein im Sprachlichen. Am 2. Juli 1875 ordnete Generalpostmeister Heinrich von Stephan an: „Die Postbehörden und Postanstalten haben fortan die neuen Bezeichnungen im dienstlichen Verkehr regelmäßig anzuwenden … Bald schon hatten sich eingebürgert: Anschrift für Adresse, Eilzustellung für Express, postlagernd, eingeschrieben . . . Die Eisenbahner schlossen sich an (Fahrkarte für Billet, Bahnsteig für Perron). Es fällt auf, daß in den meisten Fällen der deutsche Begriff im Vergleich zum fremden ein Höherwertiges bezeichnet; man prüfe daraufhin: anmutig/charmant, treulos/perfide, Leichnam/Kadaver, Antlitz/Visage. Wer vom Auto spricht, tut es vergleichsweise gleichgültig, in ´mein Wagen´ klingt Besitzerstolz und Zuneigung mit. Zwar verfügen wir über viele Politiker, welchen indes könnte man einen Staatsmann nennen?“ /…/ [12]
Man könnte auch Sören Kierkegaard bemühen, von dem überliefert ist:
„Einmal war es so: Der Mensch verstand nur wenig, aber das Wenige bewegte ihn tief. Heute versteht er viel, aber es bewegt ihn nicht oder doch nur oberflächlich oder fratzenhaft.“ [13]
Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, daß der seinerzeit führende deutsche Atomforscher, Werner Heisenberg, ganz bewußt die deutsche Alltagssprache, also seine Muttersprache benutzte, um die umfassenden und schwierigen Vorgänge im mikrophysikalischen, d.h. atomaren Bereich veranschaulichen und einordnen zu können.
Muttersprache und Weltanschauung
Mit solchem Vorgehen gedachte Heisenberg zu überprüfen, inwieweit der Bereich moderner Atomphysik und die Ergebnisse seiner Forschung, einschließlich möglicher Folgen, mit der Lebenserfahrung und dem Wertgefüge unserer Ahnen in Einklang zu bringen wären. Da die Muttersprache diese Lebenserfahrung und dieses Wertgefüge, kurz gesagt: die Weltanschauung unseres Volkes im Wesentlichen in sich birgt, kann sie auch in solchen Fällen als Wertmaßstab dienen.
Um sich genau diesem Wertmaßstab zu entziehen, werden nicht nur heutzutage bestimmte politische Vorgänge oder bestimmte technische Neuerungen mit Bezeichnungen versehen, die entweder mit der Muttersprache nicht in Einklang zu bringen sind (hier sind es vor allem Fremdwörter) oder die einen möglichen ungünstigen Zusammenhang verschleiern; Beispiele sind:
Heimat (geächtet) / Region (dafür neu) aber: Heimatministerium in Bayern;
Volk (geächtet) / Bevölkerung/Zivilgesellschaft (dafür neu);
Abtreibung (geächtet) / Schwangerschaftsabbruch/Verhütung (dafür neu – als ob die Schwangerschaft etwas Schlechtes wäre);
Asylsuchender/Asylant/Flüchtling/Migrant / Heimatvertriebener (unzulässige Gleichsetzung);
Kultur / Leitkultur / Zivilisation (unzulässige Gleichsetzung);
Gender (frei erfunden; im Deutschen ohne Entsprechung).
Die Anschaulichkeit in der Vorstellung, die Tiefe des Eindringens in das Wesen eines Gegenstandes oder Begriffes ist von der Wahrnehmung des Menschen abhängig; d.h. vom Gebrauch seiner Sinne, von seinen bisherigen Erfahrungen, auch von seiner Wißbegier, von seinen Empfindungen. Jedenfalls beinhaltet jedes Wort eine ganz bestimmte Beziehung des Menschen zu dem zugehörigen Gegenstand oder Begriff.
Wilhelm von Humboldt beschreibt dies folgendermaßen:
„Vergleicht man in mehreren Sprachen die Ausdrücke für unsinnliche Gegenstände, so wird man nur diejenigen für gleichbedeutend finden, die, weil sie rein konstruierbar sind, nicht mehr und nichts anderes enthalten können, als in sie gelegt worden ist. Alle übrigen schneiden das in der Mitte liegende Gebiet /…/ auf verschiedene Weise ein und ab, enthalten weniger und mehr, andere und andere Bestimmungen.“ [14]
Bei Ausdrücken wie ´Mut´ (courage / animo, corragio ), ´Gedicht´ (poem / poesia), ´oder ´Neuigkeit´ (news / novita) kann man sich noch vorstellen, daß diese zumindest in einigen verschiedenen Sprachen in gleicher Weise angewendet und verstanden werden.
Bei Ausdrücken wie ´Kulturvolk´ (civilized people / cultura), ´Seele´ (soul / anima) oder ´Gott´ (god / dio) hängt das gegenseitige Verständnis in erster Linie vom geschichtlich-politischen bzw. vom religiösen Hintergrund ab.
Und wieder andere Ausdrücke lassen sich offensichtlich gar nicht oder nur umschreibend übersetzen, wie z.B. die deutschen Begriffe Gemüt, Heimat, herzhaft, artig (großartig, einzigartig), wandern, Wesen oder auch Kindergarten oder Schublade. [15]
Über die sinnlichen Gegenstände, zu denen man die Schublade zählen könnte, führt Wilhelm von Humboldt aus:
„Die Ausdrücke sinnlicher Gegenstände sind wohl insofern gleichbedeutend, als bei allen derselbe Gegenstand gedacht wird, aber, da sie die bestimmte Art ihn vorzustellen ausdrücken, so geht die Bedeutung darin gleichfalls auseinander. Denn die Entwicklung der individuellen Ansicht des Gegenstandes auf die Bildung des Wortes bestimmt, so lange sie lebendig bleibt, auch diejenige, wie das Wort den Gegensand zurückwirft.“ [14]
Als Beispiel sei hierfür der Ausdruck ´Sonne´ angeführt, der in einer alt-amerikanischen Sprache ´Auge des Tages´ genannt wird. [16] In unserer deutschen Sprache bildeten unsere Ahnen für diese Himmelserscheinung ein eigenständiges Wort; während in der amerikanischen Sprache eine bildhafte Umschreibung verwendet wird. An einem solchen Vergleich wird der unterschiedliche Standpunkt und Bezug des Betrachters zum Gegenstand deutlich. Somit offenbart sich über die Sprache, über den sprachlichen Begriff, die jeweilige Weltansicht eines Volkes; letztlich abhängig von Erbgut, Geschichte, Schicksal, irdischer und kosmischer Prägung – wir nennen es Volkscharakter, Volksseele oder auch Mentalität; ohne, daß diese Feststellung eine Wertung beinhaltete.
Steven Pinker, ein Vertreter der Universalienforschung erkannte diesen individuellen Zusammenhang zwischen der Sprachgemeinschaft, der Muttersprache und der umgebenden Wirklichkeit auch: „In seiner Eigenschaft als Listem [zu erlernende, weil ungesetzmäßige Form / z.B. Wortwurzeln] ist ein Name ein Symbol in Reinkultur, nur eines unter Tausenden, das dennoch schnell erlernt wird, weil zwischen dem Denken des Kindes, dem Denken der Erwachsenen und der Struktur der Realität eine geheimnisvolle Harmonie besteht.“ [17]
Achten wir darauf, daß diese ´geheimnisvolle Harmonie´ für uns und unsere Kinder und Enkel, für unser Volk erhalten bleibt. Denn in dem Gleichklang zwischen Mensch und Wirklichkeit, zwischen Volk und Muttersprache, zwischen der Welt der Alten und der Welt der Jungen, in diesem Gleichklang liegt die Stärke eines gewachsenen Volkes, liegt auch unsere Zukunft. Wie brachte es Professor Mocikat auf den Punkt?
„Die Muttersprache ist das präziseste Werkzeug, das dem kreativen Denken zur Verfügung steht.“ [1] Wobei man auf Deutsch auch ´genauestes´ Werkzeug und ´schöpferisches´ Denken sagen könnte.
Wilhelm von Humboldt brachte die Auseinandersetzung des Menschen mit der Wirklichkeit und die Aufgabe, welcher der Sprache dabei zukommt, in folgenden tiefgründigen Zusammenhang: „Durch die gegenseitige Abhängigkeit des Gedankens und des Wortes voneinander leuchtet es klar ein, daß die Sprachen nicht eigentlich Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr, die vorher unerkannte zu entdecken. Ihre Verschiedenheit ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst.“ [18]
Wahrheit ist in diesem Zusammenhang nicht als etwas Unbedingtes, Unumstößliches zu verstehen, sondern im Sinne des Lebensgesetzes als Erkenntnis der Wahrnehmung. Abgesehen von den Naturgesetzen findet nämlich jedes Volk in seiner Weltanschauung seine eigene Wahrheit; diese ist genausowenig auf ein anderes Volk übertragbar, wie die Muttersprache. Das ist lebensgesetzlich bedingt.
Was für die Lautformung und Wortbildung wesentlich ist, gilt im Weiteren auch für Sprachform und Satzbildung. Schließlich können sich die einzelnen Sprachen auch darin grundlegend unterscheiden. Dies hängt nach Humboldt wiederum mit dem Volkscharakter und der Art und Weise wie ein Volk empfindet und denkt zusammen.
Diesbezüglich unterscheidet er die Völker nach ihrem ´Sprachsinn´. Die Unterschiede betreffen z.B. die Wortbeugung und die Satzstellung. Hinsichtlich der Wortbeugung wird zwischen dem sogenannten ´isolierenden Typ´ und dem ´flektierenden Typ´ unterschieden; wobei auch Mischformen vorkommen.
„In einer rein isolierenden Sprache ist das Wort eine unveränderliche Einheit. Weder Endungen noch innere Veränderungen bestimmen die Rolle, die das Wort im Satz spielt. Formen wie Häuser von Haus, Mannes von Mann, gab von geben oder lebte von leben kommen nicht vor. /…/ Die zur tibeto-chinesischen Familie gehörenden Sprachen werden gewöhnlich als die typisch isolierenden Sprachen angeführt. /…/
Bei einer Sprache, die dem flektierenden Typus angehört, z.B. Sanskrit, Griechisch oder Latein sind die Affixe [vorgeschaltete oder angehängte Silben, die keine eigene Wortwurzel besitzen müssen] mit dem Wurzelelement eng verbunden. Der Aufbau der Wörter ist demnach auch keineswegs mehr klar.“ [19]
In der deutschen Sprache hat sich die Wortbeugung, teilweise in der Mundart stärker als in der Schriftsprache, noch weitgehend erhalten; sie wird deshalb zu den flektierenden Sprachen gezählt. „Das Englisch Alfreds des Großen (9.Jh.) war eine typisch flektierende Sprache, während das Englisch-Amerikanische von heute wesentlich isolierend ist.“ [20]
Schrifttum:
[10] /WvH/ siehe 7), S. 50
[11] /WvH/ siehe 7), S. 9
[12] Eichler, Richard, W., Die Zukunft der deutschen Sprache, 1993, S. 10
[13] Eichler, Richard, W., Die Zukunft der deutschen Sprache, 1993, S. 11
[14] Humboldt, Wilhelm von; /WvH/ Über das vergleichende Sprachstudium in Beziehung
auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung (1820), S. 153/4
[15] Münchner Merkur, Nr. 189 vom 18.9.2010, S. 17
[16] /WvH/ siehe 7), S. 382
[17] Pinker, Steven; Der Sprachinstinkt (deutsche Übersetzung, 1996), S. 182
[18] /WvH/ siehe 14), S. 152/3
[19] Bodmer, Frederick; Die Sprachen der Welt (deutsche Übersetzung, 1997), S. 183/9
[20] Bodmer, Frederick; Die Sprachen der Welt (deutsche Übersetzung, 1997), S. 183
Quelle: Huttenbriefe 2016 Folge 4 – 5