Wir beginnen dabei mit den Zielen, die die Autoren in ihrem Thesenpapier für ihre zuvor genannte realistische linke Migrationspolitik vorgeben. Diese sind:
„Migrationsprozesse sollen die größtmöglichen positiven und geringsten negativen Effekte für alle Beteiligten haben, das Wohl der Menschen in den Herkunftsstaaten, den Zielstaaten und der MigrantInnen ersichtlich befördern und nicht unterminieren.“
Dazu passend schreiben sie ebenfalls:
„Eine gelungene Immigration bemisst sich dabei nicht an der Verwertbarkeit der MigrantInnen für das Kapital, sondern an größtmöglicher Lebensqualität für alle. Ihr Gradmesser ist also letztlich der Integrationserfolg und dieser beruht auf materiellen Voraussetzungen, die wir immer wieder herstellen müssen.“
Zunächst ist dies mit dem, was sie schon zuvor schrieben, schlüssig. Eine linke Einwanderungspolitik sollte das Wohl der Menschen auf internationaler und nationaler Ebene verbessern und nicht den Interessen des Kapitals dienen. Sobald es jedoch darum geht, diese Einwanderungspolitik zu konkretisieren, beginnen die Widersprüche, insbesondere beim Thema, wer denn konkret als Einwanderer gewünscht ist. Die Autoren schreiben dazu:
„Es geht in der Diskussion um eine linke Einwanderungspolitik hauptsächlich um die Arbeits- und Wirtschaftsmigration aus Drittstaaten außerhalb der EU. Wir treten dafür ein, dass Menschen aus Drittstaaten faire und geregelte Möglichkeiten erhalten, hier Fuß zu fassen und sich in unserer Gesellschaft ein Leben aufzubauen.“
Weiter schreiben sie:
„Unserer Auffassung nach ist nur die zweite Position, also eine Regulierung, vertretbar. Aus dieser Grundpositionierung für eine prinzipielle Regulierung der Migration ergibt sich logischerweise auch die Notwendigkeit der Regulierung der Arbeits- und Wirtschaftsmigration als dem gesellschaftlich relevantesten Bereich der Einwanderung. Anders, als es manchmal in der Debatte suggeriert wird, beginnen wir dabei nicht mit einer Tabula rasa. Uns liegt bereits eine vielfältige Gesetzgebung zur Einwanderung vor. Es gibt mehrere Möglichkeiten zur Einwanderung nach dem Aufenthaltsgesetz, die Freizügigkeit und nahezu unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt für EU-BürgerInnen nach EU-Recht und die sogenannte „Blue Card“ der EU für die Einwanderung von Hochqualifizierten aus Drittstaaten.“
Diesen Absätzen zufolge sollen Migranten also doch der Wirtschaft dienen, wobei man auch anerkennen muss, dass das Füllen unbesetzter, aber notwendiger Stellen auch im Interesse der Allgemeinheit sein kann. Wir kommen in Kürze noch einmal darauf zurück.
Die hier vorgeschlagene regulierte Einwanderung beschränkt sich auf Hochqualifizierte, da eine unregulierte Einwanderung Geringqualifizierter, in den Worten der Linken, eine Schwächung der Kampfbedingungen der Arbeiterklasse mutwillig herbeiführen würde. Die Aufnahme von Hochqualifizierten verstößt jedoch gegen einen weiteren Grundsatz der linken Einwanderungspolitik, nämlich daß das Wohl der Menschen in den Herkunftsstaaten ebenfalls von Belang ist. Die Autoren erkennen dies auch an, wenn sie schreiben:
„Wir müssen ebenso kritisch sein, wenn Einwanderung überwiegend Fachkräfte und Hochqualifizierte, wie wenn sie hauptsächlich Geringqualifizierte betrifft. Wandern in großer Zahl Geringqualifizierte ein, wird dies unter den gegenwärtigen Bedingungen die Konkurrenz und den Lohndruck im entsprechenden Segment des Arbeitsmarkts erhöhen. Auf der anderen Seite sind die insbesondere mit einer Massenarbeitslosigkeit verbundenen strukturellen Integrationshemmnisse, die sozialen Probleme und interkulturellen Konfliktpotenziale hinreichend bekannt und es kann kein linker Ansatz sein, diese herunterzuspielen und (zumindest kurzfristig) zu befeuern. Wandern dagegen in großer Zahl Fachkräfte aus Entwicklungsländern aus, findet ein „Brain drain“ statt. Weder das eine noch das andere ist im Interesse der Herkunftsländer, denn Massenabwanderung zerstört die soziale Infrastruktur vor Ort und verschlechtert die Chancen auf regionale Entwicklung.“
Spätestens hier sollte klar werden, dass jede Form der Einwanderung, selbst nach den hier dargebotenen linken Argumenten, höchst kritisch zu betrachten ist. Wir können daher eigentlich hier schon unsere Argumentation beenden, doch nehmen wir einmal an, man könnte die Einwanderung so regulieren, dass wirtschaftlich weder das Ziel- noch das Herkunftsland Schaden nehmen. Das Problem, das sich nun ergibt, ist die soziale Integration. Die Autoren schreiben dazu:
„Einwanderung stellt immer auch eine Verpflichtung für das Aufnahmeland dar, für das Wohlergehen und die Integration der MigrantInnen Sorge zu tragen. Als Linke dürfen wir diese Verantwortung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wir müssen den Anspruch haben, allen Zuwandernden mehr als bloß einen vagen „sozialen Anknüpfungspunkt“ zu bieten, sondern eine gute Lebensperspektive. Konkret heißt das: hochwertigen Integrations-, Sprach- und Rechtsbildungsunterricht (letzteres mit Schwerpunkt auf Arbeitsrecht), gute Beschäftigungschancen, bezahlbaren Wohnraum, ein stabiles soziales Umfeld sowie Partizipations- und Organisierungsmöglichkeiten.“
Das dies einfacher gesagt als getan ist, erkennen sie ebenfalls an, wenn sie schreiben:
Aber zum einen darf nicht so getan werden, als ob die Integration keine oder nur eine vernachlässigbare Belastung für den Sozialstaat darstellen würde. Zum anderen dürfen wir nicht dem Wunschdenken verfallen, als ob die aktuellen politischen Kräfteverhältnisse dergestalt beschaffen seien, dass wir unbegrenzt finanzielle Mittel mobilisieren könnten.
Gleichzeitig erkennen sie jedoch an, wie wichtig die soziale und kulturelle Integration ist. Sie schreiben:
„[…] doch auch hier dürfen gewisse unbequeme Realitäten nicht einfach ausgeblendet werden. Zum einen gibt es zwischen den Lohnabhängigen und verschiedenen Gruppen von Lohnabhängigen auch Konkurrenz, zum anderen liegt zwischen der strukturellen/ökonomischen Stellung im Produktionsprozess und den elementaren Bedürfnissen der Menschen einerseits und ihrem gesellschaftlichen Bewusstsein und entsprechenden politischen Engagement andererseits ein ganzes Ebenensystem von Werte-, Verhaltens- und Zielorientierungen. Diese sind von der jeweiligen sozialen und religiösen Herkunft geprägt und unterscheiden sich in verschiedenem Maße, teilweise auch sehr erheblich, voneinander. Diese Diskrepanzen und die damit einhergehenden Konfliktpotenziale dürfen nicht bagatellisiert, beiseitegeschoben oder geleugnet werden.„
Die Autoren vertreten korrekterweise die Ansicht, dass Integration wichtig ist, jedoch Geld kostet, das man auch für andere Dinge verwenden könnte. Die naheliegende Schlussfolgerung sollte daher sein, dass Einwanderung aus kulturell verwandten Ländern zu bevorzugen ist, da in diesem Fall Integrationsaufwand und potenzielle Spannungen deutlich geringer sind. Besser noch wäre es, die Arbeiter, die nötig sind, um eine funktionsfähige Wirtschaft am Leben zu erhalten, aus dem eigenen Volk zu beziehen, da sie von vornherein integriert sind. Das nicht für die Integration benötigte Geld könnte wiederum dazu genutzt werden, die Geburtenrate im eigenen Volk zu erhöhen.
Konkrete Vorschläge wie diese Widersprüche aufzulösen sind, bringen die Autoren nicht, weshalb am Ende das so ziemlich einzige Argument für die Einwanderung kulturfremder Ausländer die linken Träume einer multikulturellen Regenbogengesellschaft bleiben.
Denken wir noch einmal an die beiden ersten Absätze des Thesenpapiers zurück, dann erscheinen diese nun als kaum mehr als ein obligatorisches Lippenbekenntnis zu den Idealen der Linkspartei.
Was bleibt also, wie ist das Thesenpapier zu bewerten?
Was seinen Inhalt angeht, sagten wir bereits, dass die in ihm präsentierten Lösungsvorschläge der Einwanderungsproblematik nichts als ein verzweifelter Versuch sind, die erkannten Missstände im Sinne eines linken Weltbildes zu beseitigen, dabei jedoch selbst nach den Grundsätzen dieses Weltbildes scheitern.
So sehr die Autoren beim Aufzeigen von Lösungen versagen, ist ihre Analyse der grundlegenden Probleme der Masseneinwanderung jedoch im Großen und Ganzen richtig und kann für linke Kreise als fast schon revolutionäre Erkenntnis betrachtet werden.
Für uns mag das Gesagte selbstverständlich klingen, doch für diejenigen, die sich der internationalen Solidarität und der Gleichheit aller Menschen verschrieben haben, bedeuten sie ein Infragestellen der eigenen ideologischen Fundamente. Wie sehr das Aussprechen dieser scheinbar offensichtlichen Dinge das gesamte linke Weltbild bedroht, sieht man an dem hysterischen Geschrei, welches Wagenknecht und Co. aus den eigenen Reihen entgegenschlägt. Die anfangs gebrachten Zitate dienen hier als Beispiel.
Dass die erkannte Unvereinbarkeit zwischen der Realität und den politischen Idealen zu noch keiner sofortigen Kehrtwende geführt hat, ist der menschlichen Natur zuschulden, doch die Saat des Zweifels ist gesät. Unter den antideutschen Neomarxisten mag diese Saat keine Früchte mehr tragen, da ihr Hass auf alles Deutsche sie schon längst in die Irrationalität geführt hat, doch für klassische Marxisten bis zum Sozialdemokraten könnte dies der Beginn einer schweren ideologischen Krise sein, die sie vor die Wahl stellt, entweder Sozialisten zu bleiben und dafür dem Internationalismus zu entsagen oder diesem die Treue zu halten, und in seinem Namen den Sozialismus zu opfern. Dass beide nicht miteinander vereinbar sind, haben sie, wenn auch noch nicht bis zur letzten Konsequenz durchdacht, schon selbst erkannt.