Eine interne Denkschrift der CDU Sachsen-Anhalt ist an die Öffentlichkeit geraten und der linke Mainstream tobt. Von „linksorientierte Medienberichterstattung“, einem „linken Mainstream aus gesteuertem Gutmenschentum“ und gar einer Versöhnung des Sozialen und Nationalen ist in dem Papier die Rede. Radikale Worte für eine Partei, die schon lange den Eindruck macht, kaum mehr als der konservative Flügel des linken Lagers zu sein. Grund genug also, selbst einen Blick in das als „Erste Analyse der Kommunal- und Europawahl für Sachsen-Anhalt“ betitelte Dokument zu werfen und herauszufinden, ob die CDU Sachsen-Anhalt bald wirklich im Braunhemd aufmarschiert.
Verfasst wurde der Text von Ulrich Thomas, MdL und CDU-Vorsitzender des Landkreis Harz und Lars-Jörn Zimmer, ebenfalls MdL, und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt. Der erste Absatz stimmt dann auch schon darauf ein, um was es in dieser Denkschrift wirklich geht.
„Die Wahlergebnisse der Union erodieren seit der Flüchtlingskrise im Jahre 2015 auf allen Ebenen. […] Bei den kommenden Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt droht der CDU ein Fiasko.“
Eine Einschätzung, die vollkommen richtig ist. Doch mit diesen Worten ein Dokument zu beginnen, das, wie wir sehen werden, als die erste Grundlage einer Neuausrichtung verstanden werden soll, zeigt deutlich welche Beweggründe hinter dieser Neuausrichtung liegen. Das Problem an der „Flüchtlingskrise“ sind nicht die steigende Kriminalität, Ausländerterror, die Zerstörung des Sozialstaates oder gar die biologische und kulturelle Verdrängung des deutschen Volkes, sondern die schlechten Wahlergebnisse der Union. Alle Aussagen der Autoren, die wir im Folgenden darlegen, entspringen keiner echten tief liegenden politischen Überzeugung oder einem Verantwortungsgefühl gegenüber dem deutschen Volk, sondern einzig und allein einem kalten Machtgefühl. Nicht Deutschland steht auf dem Spiel, sondern die Zukunft der CDU. Dies kann man nicht deutlich genug sagen, denn vieles, was die Autoren niedergeschrieben haben, ist in seinem Kern korrekt und so mancher enttäuschter CDU Wähler wird sich sicher freuen, endlich „seine CDU“ wiederzuhaben. Doch ist diese Rückkehr eben nur durch Opportunismus getrieben und ebensoleicht, wie man sich nun auf seine konservativen Wurzeln besinnt, weil es grade eben nützlich ist, sind diese auch wieder vergessen, wenn sie der Macht wieder im Weg stehen.
Passenderweise widmet sich ein großer Teil des Dokumentes einer Analyse der Parteienlandschaft der BRD und nicht dieser selbst. Besonders die SPD kommt bei dieser Analyse nicht gut weg. Die Partei befände sich „im freien Fall“, sei „vollständig gelähmt“ und reiße die Union mit nach unten. Weiter unterstellt man der SPD, dass sie sich von jeglicher Realpolitik abgekehrt habe und dabei sei eine Rolle, nicht ganz unähnlich die der Grünen, einzunehmen.
„Große Teile der SPD sehnen sich danach, keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Diese Sehnsucht führt dazu, dass es in der SPD stets mehr Gesinnungs- als Verantwortungsethiker gibt. Gesinnungsethiker träumen von der Opposition, weil sie immer die richtige Meinung haben, deren Praktikabilität aber nie beweisen müssen. Auch aus diesem Grunde wird die SPD auf allen politischen Ebenen als ernsthafter, verlässlicher und standhafter Koalitionspartner mittelfristig ausfallen.“
Was die Grünen anbelangt, so wird deren Erfolg auf den „Wohlstandsmainstream“ der primär westdeutschen Großstädte zurückgeführt. Sie profitiere „ausschließlich von einer gut situierten Wohlstandsschicht, die im zehnten Jahr des Wirtschaftsbooms plötzlich grüne Themen entdeckt“ habe. Dementsprechend wirft man den Grünen vor, die Spaltung zwischen Stadt und Land sowie Ost und West voranzutreiben. Auch wenn die Autoren die Spaltung zwischen Stadt und Land, Ost und West, verordnen, deuten sie mit ihrem Verweis auf die Wählerschaft der Grünen impliziert an, dass der Spalt auch, oder sogar besonders, zwischen Arm und Reich verläuft. Zwischen denen, die es sich leisten können in der multikulturellen Gutmenschenrepublik zu leben, die gut genug situiert sind, um sich all die Negativerscheinungen dieser Politik vorerst noch vom Leib zu halten und denen, die dies eben nicht können und als Kollateralschäden des „Fortschritts“ enden. Als eine langfristige Gefahr nimmt man die Grünen trotzdem nicht wahr, denn sie würden sich weigern, eine „öffentlichen Diskussion zu zentralen gesellschaftlichen und politischen Themen“ sowie der Migrationspolitik zu führen und sobald der Hype um sie abgeflaut sei, würde die „Vielfalt dieser für die Grünen ungelösten Fragen, wieder deren allgemeines Erscheinungsbild bestimmen“.
Als wahre Konkurrenz für die CDU in Mitteldeutschland sieht man einzig die AfD, der man für eine Neupartei beachtliche Wahlergebnisse zuspricht. Weiter würden ihre Wähler trotz „Skandalen, Straftaten und politischen Fehlhandlungen“ zu ihr halten. Mitverantwortlich für den Erfolg der AfD macht man zudem die „linksorientierte Medienberichterstattung“, durch welche sie den Charakter der AfD als Protestpartei stärken und sie auch für große Teile der Nichtwähler attraktiv machen würde. Erwähnenswert ist zudem, dass die FDP als traditioneller Bündnispartner der CDU, namentlich keinerlei Erwähnung findet. Bei der Landtagswahl 2016 scheiterte die FDP mit 4,9 Prozent knapp beim Einzug in den Landtag.
Wenn es um die eigene Partei geht, ist die Beurteilung der Autoren, wie die Einleitung schon andeutete, ähnlich die der SPD, nämlich alles andere als schmeichelhaft. „Der klassische Mittelstand, als Kernklientel der Union, ist seit Langem enttäuscht“ heißt es. Weiter sei „das einzige Argument der Union auf Bundesebene über Jahre die Kernmarke Merkel“ gewesen, doch was die Umsetzung konservativer Kernthemen anbelangt, habe man wenig erreicht. Zwar wähle man in der BRD noch immer mehrheitlich konservativ, doch die CDU konnte bis jetzt nur von diesem Umstand profitieren, da sie die einzige konservative Partei war. Dieser Rang werde ihr nun jedoch von der AfD abgelaufen, welche, wie wir an dieser Stelle hinzufügen wollen, auch aufgrund der oben erwähnten Spaltung zwischen Arm und Reich, als eigentlich wirtschaftsliberale Partei viele Arbeiter für sich gewinnen konnte.
Die CDU sehe sich daher mit der reellen Gefahr konfrontiert, bei der kommenden Landtagswahl in Sachsen-Anhalt nur noch zweitstärkste Kraft zu werden und die „Auswahl der Spitzenkandidatur muss als schicksalhafte Entscheidung für die Zukunft der Union in allen Teilen der Bundesrepublik verstanden werden.“ Als Grund für den die miserable Lage der CDU wird allgemein ihre mangelnde Fähigkeit, sich gegen ihre Koalitionspartner durchzusetzen, angeführt. So würde man eine falsche Toleranz gegenüber linker Politik und in sicherheitspolitischen Fragen pflegen, sowie zu viele Zugeständnisse in der Wirtschaftspolitik machen. Alle dies wolle man mit der Etablierung einer „neuen Streitkultur um den besten politischen Weg“ ändern.
Um sich wieder zentraler als konservative Partei aufzustellen schlägt das Papier folgendes vor:
„[Das Zurückgewinnen der Wähler] kann nur mit klaren Botschaften in der ungelösten Flüchtlingsfrage, der Klima- und Umweltpolitik, der Wirtschafts- und Energiepolitik, in der Innen- und Sicherheitspolitik, im Umgang mit EU-Mitgliedstaaten oder bei zentralen sozialen Themen gelingen. Die ungesteuerte Migration, die Zunahme an neuer brutaler Kriminalität und ein völlig unvorbereiteter Rechtsstaat drohen die Sympathie für das Demokratiemodell zu überdehnen.“
Besondere Erwähnung findet zudem die EU, welche von den Menschen nicht mehr als Lösung, sondern als Teil des Problems wahrgenommen werde und überraschenderweise die netzpolitischen Fehlgriffe dieser beim DSGVO und der Kontroverse um Artikel 13. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Rollenverteilung und dem Verhältnis zwischen Nationalstaat und EU als Staatenbund, oder auch nur die Forderung nach einer solchen Auseinandersetzung sucht man jedoch vergeblich. Auch die Migrationsfrage wird selbstverständlich erwähnt. So beklagt man, dass „Regierungen, die sich erfolgreich gegen die Flüchtlingsströme stellen“ als Rechtspopulisten stigmatisiert werden. Dass die Autoren diese Zuschreibung als „stigmatisiert“ betiteln, deutet an, dass sie die Politik dieser Staaten zumindest nicht als negativ oder moralisch verwerflich beurteilen, ansonsten findet man jedoch wenig Gehaltvolles in dieser Frage. Zwar schreiben sie, dass die Flüchtlingskrise nicht im Ansatz gelöst sei, doch unterm Strich bleibt es bei diesem Thema bei oberflächlichen und allgemeinen Aussagen.
Erneut vermisst man Neues, denn die Migration zumindest kritisch zu beurteilen und ihre schlimmsten Auswüchse zu beklagen, tut die CDU schon lange. Der Mangel an neuen Impulsen überrascht bei diesem Thema besonders, wenn wir uns an den einleitenden Satz erinnern, in dem die „Flüchtlingskrise“ als einer der primären Gründe hinter den schlechten Wahlergebnissen der CDU angeführt wurde. Aber dies ist ohnehin das, was bleibt. Es werden viele Probleme korrekt benannt, aber keine Lösungen formuliert. Diese zu liefern mag nicht der Anspruch dieses Dokumentes sein, doch auch wenn es in einigen Teilen neue Akzente andeutet, beispielsweise in der Netzpolitik, wurden viele der genannten Probleme schon in der Vergangenheit von konservativen Politikern angesprochen. Für keines dieser Probleme konnte bis jetzt jedoch eine zufriedenstellende Lösung geboten werden.
Andere Themen fehlen wiederum völlig. Gendermainstreaming oder andere soziale/gesellschaftliche Probleme, die für eine christlich-konservative Partei von Bedeutung sein sollten, finden keinerlei Erwähnung, wohlwissend, dass mit ihnen keine Wählermassen zu gewinnen sind und diese Dinge anzusprechen obendrein noch höchst kontrovers ist. Einzig der Aspekt des Kulturkampfes schimmert hier und da verhohlen zwischen den Zeilen hervor, wenn beispielsweise von „gesteuertem Gutmenschentum“ die Rede ist, doch ob die CDU willens, geschweige denn in der Lage ist, einen metapolitischen Kampf um die Köpfe zu führen, darf bezweifelt werden.
Kommen wir abschließend noch zu dem Satz, der zusätzlich zu allem anderen, den linken Mainstream wirklich zum Kochen brachte:
„Es muss wieder gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen.“
Die Assoziationen und Vergleiche, die die üblichen Verdächtigen hierbei ins Feld führten, kann man sich denken, doch hätten sie auch nur einen Satz weitergelesen, anstatt sofort auf Twitter und in den Presseartikeln wild die Nazikeule zu schwingen, dann wäre ihnen aufgefallen, dass, kaum zu glauben, die CDU in der Tat doch nicht den Nationalsozialismus ausgerufen hat. Dort heißt es nämlich:
„Sicherheit vor sozialem Absturz mit Sicherheit vor Kriminalität.“
Das meint die CDU also mit der Versöhnung von Sozialem und Nationalem: Das wirtschaftliche Wohl und das körperliche Wohl der Staatsbürger. Das Minimum dessen, was ein Staat anstreben sollte, etwas bei dem sich so ziemlich alle politischen Lager von rechts bis links einig sein sollten, etwas das derart selbstverständlich sein sollte, dass man eigentlich kein Wort darüber verlieren müsste. Dass die CDU dies als, man möchte sagen, revolutionäre Erkenntnis betrachtet, ist nicht minder erschreckend, wie die Tatsache, dass der linke Mainstream sich derart weit von der Lebensrealität der Normalbevölkerung entfernt hat, dass sie in dieser Forderung etwas moralisch Verwerfliches sehen. Die Empörung wird schließlich noch absurder, wenn man sich vergegenwärtigt, welches Konzept sich für die Autoren hinter dem Begriff des „Nationalen“ verbirgt. Sie begründen nämlich ihre Forderung nach dem Nationalen mit nichts anderem als innerer Sicherheit. Nicht Volk oder Patriotismus, sondern das bürgerliche Verlangen nach Ruhe und Ordnung. Ruhe und Ordnung, um dem Kapitalismus frönen zu können, das bedingt in den Augen der Autoren die Nation.
Nichts könnte weiter von dem entfernt sein vonde, was wir meinen, wenn wir von der Fusion aus Nationalismus und Sozialismus in Form des Deutschen Sozialismus sprechen. In der Tat wäre von einer Fusion zu sprechen falsch, da im Deutschem Sozialismus Volk und Nation eine untrennbare Einheit bilden. Sozialismus und Nationalismus bedingen sich gegenseitig, denn das Volk ist die Nation, wodurch das Wohlbefinden jedes Individuums des Volkes ein Baustein im Wohl der ganzen Nation darstellt, die Sicherung dieses Wohles aber nur in der Gemeinschaft, der Summe der individuellen Volksangehörigen, also der Nation möglich ist. Wer Nationalist ist, muss demnach zwingend Sozialist sein und wer Sozialist ist, muss zwingend Nationalist sein.
Die Autoren ahnen von dieser fundamentalen Einheit aus Volk und Nation rein gar nichts. Ohnehin kommt im ganzen Text kein einziges Mal das Wort „Volk“ vor, dabei sollte doch grad dieses im Zentrum jeglicher Politik stehen. Zwar reden sie später von „Nationale Identität, Stolz und Heimatverbundenheit“, „Sehnsucht nach Heimat und nationaler Identität“ und fordern eine „klare Abgrenzung gegen multikulturelle Strömungen“, doch wer diese Begriffe verwendet, ohne auch nur das Volk zu erwähnen, propagiert nichts anderes als einen oberflächlichen Kultur- oder Verfassungspatriotismus, der ohne mit der Wimper zu zucken der Überfremdung Deutschlands zustimmen würde, solange die neuen „Deutschen“ nur die Werte des deutschen Spießbürgertums weitertragen. Dass die CDU sich schon lange von einem biologischen Patriotismus zu einem Verfassungspatriotismus gewendet hat, ist offensichtlich, weshalb am Ende von dieser so „kontroversen“ Aussage nicht wirklich etwas bleibt.
Altes in neuem Anstrich, das beschreibt diese Denkschrift vielleicht am besten. Die Sprache mag hier und da etwas rauer und direkter sein, als man das gewohnt ist, doch von einem internen Dokument, das nicht durch die Hände des PR Teams ging, würde man nichts anderes erwarten. Was bleibt, sind große Worte, die selbst wenn die CDU das tun würde, das sie nie tut, nämlich Taten folgen lassen, würden die geforderten Maßnahmen irgendetwas am Schicksal Deutschlands ändern. Die CDU würden sie vielleicht retten, Deutschland aber nicht.
„Eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Rollenverteilung und dem Verhältnis zwischen Nationalstaat und EU als Staatenbund, …“
Derartiges Gefasel ist spätestens seit den Lissabon-Verträgen nur Augenwischerei, ja vorsätzliche Täuschung, dass es da etwas zu diskutieren gäbe.