Große Tote leben länger als es ihren Feinden lieb ist. Ebenso überraschend wie erfreulich, ist seit Ende des vergangenen Jahres die Filmbiographie „Mishima – ein Leben in vier Kapiteln“ erstmals seit 1985 wieder in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
Die Faszination für den 1970 durch Selbstmord spektakulär aus dem Leben geschiedenen japanischen Schriftsteller scheint ungebrochen.
Am Vormittag den 25. November 1970 drang der zu dieser Zeit bekannte und preisgekrönte Autor mit vier Kameraden der »Schildgesellschaft«, einer von ihm gegründeten Miliz, in das Hauptquartier der japanischen Streitkräfte in Tokio ein – bewaffnet mit Samuraischwertern und gekleidet in Phantasieuniformen. Dort nahm die kleine Truppe einen General als Geisel und forderte als Gegenleistung für dessen Freilassung, vor den Soldaten der Garnison sprechen zu dürfen. Auf dem Kasernenhof versammelten sich alsbald über tausend Soldaten, an die Mishima vom Balkon aus einen Appell auf die Kaiserherrschaft, die altehrwürdige Tradition Japans und den Samuraigeist richtete.
Er blieb unverstanden, 25 Jahre nach der japanischen Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Nach Spott und Beschimpfungen aus der Menge brach er die Rede vorzeitig ab. In einem Zimmer der Kaserne beging Mishima seppuku, die traditionelle japanische Form des Selbstmords durch Bauchaufschneiden, wie sie auch die Samurai praktiziert haben. Noch bevor er starb, köpfte ihn einer seiner Begleiter. Das Bild von Mishimas abgetrenntem Kopf, geziert vom Stirnband mit dem Symbol der aufgehenden Sonne, ging um die Welt.
Ein Leben im Kampf gegen die eigene Unvollkommenheit
Mishima starb wie er gelebt hatte – in Form einer zeremoniellen Selbstinszenierung. Der Gedanke des Selbstmords ist zentraler Bestandteil seines künstlerischen Schaffens. In zahlreichen seiner Arbeiten wird die Selbsttötung als ästhetisches Ritual idealisiert, ungezählt sind seine Auftritte als Schauspieler in Film und Theater, in denen er sich in langen, schmerzvollen Akten selbst tötet.
Mishima wird am 14. Januar 1925 als Kimitake Hiraoka in Tokio geboren. Er ist ein schmächtiges Kind, unnatürlich blaß und zurückhaltend. Die Großmutter, die einen großen Einfluß auf die gesamte Familie ausübt, verbietet ihm den Umgang mit gleichaltrigen Jungen, spielen durfte er nur mit Mädchen. Der männliche Körper – vor allem in Form von Samuraikriegern und europäischen Rittern – üben daher bereits im Kindesalter einen besonderen Reiz auf ihn aus.
Der heranwachsende Mishima verbringt seine Freizeit vornehmlich mit Lesen, auch von europäischer Literatur. Am Zweiten Weltkrieg nimmt er wegen einer irrtümlich diagnostizierten Tuberkulose nicht teil.
Um dem Makel seiner Verletzlichkeit entgegenzuwirken, widmet sich Mishima intensiv dem Kampf- und Kraftsport. Gnadenlose Selbstdisziplin beschert ihm bald den muskelgestählten Körper, den er sich wünschte. Narzißmus und dandyhafte Züge wird man ihm später nachsagen. Viele seiner Bilder zeigen ihn in heroischer Samuraipose mit nacktem Oberkörper oder herrisch dreinblickend im maßgeschneiderten Anzug.
Die Feder und das Schwert
Erste schriftstellerische Schritte bleiben unbeachtet, bis er 1949 mit Geständnis einer Maske den ersten Erfolg feiert. Das Buch enthält autobiographische Passagen und zeichnet das Porträt eines sensiblen, von Selbstzweifeln bedrängten Jungen an der Schwelle zum Erwachsensein. Bereits hier begegnet dem Leser das Motiv der Todessehnsucht, das sich wie ein roter Fäden durch Mishimas gesamtes Werk zieht.
Mishima wird zu einem auch international erfolgreichen und gefeierten Schriftsteller, der aber auch immer wieder anspruchslose Auftragsarbeiten für Magazine oder Tageszeitungen schreibt.
Auf dem Höhepunkt seines Schaffens entstehen bis zu drei Romane und ein Dutzend Kurzgeschichten im Jahr. Aus der Masse stechen Die Brandung (1954), eine zeitgenössische japanische Interpretation der antiken Liebesgeschichte um Daphnis und Chloe, und Der Tempelbrand (1956) hervor.
Neben den Romanen entstehen zahlreiche Theaterstücke. Mishima tritt auch selbst als Schauspieler im klassischen japanischen Theater auf, das traditionell nur von Männern gespielt wird und sich vornehmlich mit der japanischen Mythologie befaßt.
Politische Themen finden sich erstmals 1960 in Mishimas Werken wieder. Der Roman Nach dem Bankett erzählt, ausgehend von einer wahren Begebenheit, von den Verstrickungen eines Diplomaten in politische Machtstrukturen, zweifelhaften Geldgeschäften und private Liebschaften.
Im selben Jahr erscheint die Kurzgeschichte Patriotismus, eine Ehrbezeugung vor dem Ethos des japanischen Soldatentums. Den Hintergrund der Geschichte bildet der Ni-Ni-Roku-Aufstand vom 26. Februar 1936, bei dem eine Reihe junger Offiziere aufgrund außenpolitischer Diskrepanzen zwischen Regierung und militärischer Führung einen Putschversuch unternahm und dabei den Tod fand. Mishimas Geschichte beschreibt den letzten Abend eines jungen, frisch verheirateten Leutnants, der gemeinsam mit seiner Frau den Freitod wählt, um nicht gegen seine Kameraden – die aufständischen Offiziere – kämpfen zu müssen. Der feierliche Selbstmord erscheint als nicht nur mögliche, sondern selbstverständliche Antwort auf einen moralischen Interessenkonflikt. In der fünf Jahre später unter seiner Regie entstandenen Verfilmung spielte Mishima die Rolle des jungen Offiziers selbst.
Im Schicksalsjahr 1968, das auch Japan nach links schwenken lässt, sucht Mishima Kontakt zu den wenigen rechten Studentengruppen. Im Sommer des Jahres gründet er mit der Schildgesellschaft seine eigene paramilitärische Vereinigung, die die Rückkehr der klassischen Kaiserherrschaft fordert. Man orientiert sich an ästhetischen Idealen und traditionellen japanischen Werten. Die Mitglieder rekrutieren sich ausschließlich aus jungen Studenten – sie sollen eine neue, traditionalistische Elite bilden.
Unterrichtet werden Mitglieder in den alten Tugenden des bushido, des Verhaltenskodex der Samurai, in Karate und im Schwertkampf. Mishima lässt für seine Truppe eigene Uniformen schneidern, ein Wappen entwerfen und sogar eine eigene Hymne erschaffen. Aufgrund der strengen Aufnahmevoraussetzungen hatte die Schildgesellschaft niemals mehr als hundert Mitglieder. Ihr Gründer nannte sie stolz die »kleinste Armee der Welt und die größte an Geist«.
Große öffentliche Wirkung entfaltete die Schildgesellschaft nicht, obwohl sie mit ausdrücklicher Genehmigung des damaligen Verteidigungsministers Nakasone sogar in den Kasernen der japanischen Armee trainieren durfte. Die japanische Öffentlichkeit blieb weitgehend desinteressiert.
1969 erscheint Das galoppierende Pferd (Unter dem Sturmgott), die Geschichte eines jungen Nationalisten, dessen Träume von Kaisertum und Samuraigeist im modernen Japan der 1930er Jahre keinen Platz mehr haben. Zentrale Elemente sind die Reinheit, in der nur die Jugend wirklich aufgehen kann und wiederum die Selbsttötung als krönende Hingabe an die eigenen Ideale – die Parallele zu Mishismas eigenem Leben und Sterben treten deutlich zu Tage.
Innerliche Zerrissenheit
Bereits im Jahr 1957 besucht Mishima für ein halbes Jahr die USA. Enttäuscht und verbittert bricht er den Aufenthalt vorzeitig ab. Trotz des materiellen Überflusses mit seinen Reizen widern ihn dortiger Schein, Selbstsucht und der Materialismus an.
Sein Verhältnis zum sogenannten Westen bleibt gespalten, ebenso wie sein Privatleben. So bestand sein Haus aus einem westlich und einem traditionell japanisch möblierten Teil. Mishima heiratet und wird Vater zweier Kinder, nachts durchstreift er die Schwulen-Bars von Tokio. Mehrmals für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen, übernimmt er zahlreiche Rollen in billigen Schrottfilmen.
Ein Tod als Soldat
Im Mai 1969 nahm Mishima die Einlandung radikaler linker Studenten zu einer Podiumsdiskussion an der Universität von Tokio an. In diesem Rahmen bekräftigte Mishima seine politischen Standpunkte, insbesondere seine Verehrung des Kaisers. Er sah aber auch Berührungspunkte mit den linken Studenten. Auch er wolle Unruhe hineinbringen, auch er hasse Menschen, die »in Ruhe dasitzen«. Er schloß seine Rede mit einem Versprechen: »Eines Tages werde ich aufstehen gegen das System, so wie ihr Studenten aufgestanden seid – aber anders.«
Dieser Tag sollte am 25. November 1970 schließlich gekommen sein. Tatsächlich dürfte der von vornherein zum Scheitern verurteilte Umsturzversuch nur einen Vorwand für die Inszenierung seines eigenen Todes geboten haben. Von der Zukunft erwartete Mishima nichts. In einem Artikel von 1962 schrieb er:
»In der Bronzezeit betrug die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen achtzehn Jahre; zur Römerzeit waren es zweiundzwanzig. Damals muß der Himmel voll gewesen sein mit schönen, jungen Menschen. In letzter Zeit muß es dort oben erbärmlich aussehen.«
Mishima selbst befand sich 1970 mit seinen 45 Jahren körperlich in bester Verfassung. Körperlich und künstlerisch hatte er den Höhepunkt erreicht, danach konnten nur noch Niedergang und Verfall kommen. Zudem entfremdete er sich zunehmend von einer Gesellschaft, die für Begriffe wie Ehre und Tradition immer weniger empfänglich war. Der so oft bis ins Detail beschriebene Selbstmord vollendete das Gesamtkunstwerk Yukio Mishima.
Ein Leben in vier Kapiteln
Ein Gesamtkunstwerk, das auch einen filmischen Niederschlag gefunden hat. Der Autor und Regisseur Paul Schrader setzte dem Phänomen Mishima ein vielschichtiges Denkmal.
Das Augenmerk liegt hierbei mehr auf der inneren Plausibilität als auf lückenloser Biographie. Der Film besteht aus verschiedenen Ebenen mit jeweils entgegengesetzter Technik und Erzählrhythmik – realistisch wirkende Farbszenen für die Rahmenhandlung, dokumentarisch-stilisierende schwarz-weiß-Einschübe für die Rückblenden. Mitunter gehen Reales und Visionäres innerhalb einer Darstellungsebene ineinander über.
Der Film wird aktuell deutschlandweit in ausgewählten Kinos gezeigt, die Vorschau ist bei YouTube zu finden:
Der Mann war mir vorher gar kein Begriff, vielen Dank für den guten Artikel!