Analyse zu Berliner Protesten: Das Band spannt sich

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von Tom Dieke

Am 18. November fand im Bundestag die 2. und 3. Lesung zum „Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ („Infektionsschutzgesetz“) statt. Anlässlich dieses Ereignisses mobilisierte ein breiter Protest zu verschiedenen Kundgebungen in den Berliner Regierungsbezirk, um insbesondere gegen die darin enthaltenen §§ 28a und 36 zu demonstrieren.

Im Vorfeld war die Situation etwas undurchsichtig. Insgesamt wurden über 10 Kundgebungen angemeldet, wobei manche davon kurzfristig seitens der Veranstalter wieder abgesagt wurden. Es schien im Gegensatz zu den Demonstrationen am 29. August und am 07. November keinen zentralen Anmelder und Organisator (in diesem Fall die Mannschaft rund um das Bündnis „Querdenken 711“) zu geben. Dennoch fanden sich bereits am frühen Mittwochmorgen einige Demonstranten im Berliner Regierungsbezirk ein, insbesondere auf der Straße des 17. Juni rund um das Brandenburger Tor. Die Polizei machte an diesem Tag früh deutlich, welche Taktik sie verfolgte: Großräumige Absperrungen, keine Kooperationsbereitschaft und Schikanen sollten diesen Tag bestimmen.

Die Tatsache, dass es keine zentrale Kundgebung gab, sorgte dafür, dass sich der Protest entlang der Straße und den zentralen Plätzen stark aufteilte. Die größten Ansammlungen fanden jedoch vor dem Brandenburger Tor sowie in der Nähe des Sowjetischen Ehrenmals im Tierpark statt. Das Teilnehmerbild war überwiegend von alternativen Friedensaktivisten und „Normalos“ geprägt. Hinzu kamen vereinzelte Gruppen von Fußballanhängern, Parteien und anderen kleineren Gruppierungen. Insgesamt scheint eine Schätzung der Teilnehmerzahl zwischen 10.000-15.000 Demonstranten realistisch, was in Anbetracht eines Werktages als nicht gering einzuschätzen ist.

 

Ameisen-Prinzip und Polizeiwillkür

Ab dem frühen Mittag begann sich der Protest vor dem Brandenburger Tor zu konsolidieren. Immer mehr Menschen strömten auf die seitens der Polizei errichteten Barrikaden zu, welche die Demonstranten weiträumig vom Reichstagsgebäude abschirmen sollten. Die Polizisten waren dabei von der ersten Minute an auf Konfrontation aus. In manchen Situationen konnte man sogar beobachten, wie sie – ganz in Fußballmanier – einzelne Demonstranten förmlich aufforderten, Straftaten zu begehen und sich in den offenen Konflikt zu begeben (O-Ton: „Komm doch rüber, dann kriegste‘ was“). Die Demonstranten entgegneten diesem Verhalten durchweg friedlich. Viele hielten ihre Arme in die Luft, um ihre Gewaltfreiheit zu signalisieren. Sprechchöre wie „Wir sind friedlich, was seid ihr“ oder „Frieden! Freiheit! Keine Diktatur!“ dominierten. Die Polizei beantwortete dies mit Wasserwerfern sowie Knüppel- und Pfeffersprayeinsatz.

In dieser Situation zeigte sich deutlich, dass die Demonstranten in ihrer Vielzahl mit dieser Situation sichtlich überfordert waren. Für viele schien es schier unbegreiflich zu sein, Opfer polizeilicher Willkür zu werden. Die Fragmentierung des Protestes ermöglichte hier auch kein gemeinschaftliches, entschlossenes Handeln, sodass die Polizei die Menge ohne große Probleme auf der Stelle halten konnte. Das Verhalten der Einsatzkräfte muss in diesem Zusammenhang als schändlich bezeichnet werden, knüppelten diese doch wahllos auf sichtlich friedvolle Demonstranten ein, darunter auch auf Ältere und Frauen.

Die Protestanten hatten diesem Einsatzverhalten wenig entgegenzusetzen, bis auf ihre Standfestigkeit, welche durchaus beachtlich war. Bis in die späten Nachmittagsstunden und in den frühen Abend hinein standen die Menschen vor den Polizeiabsperrungen, teilweise durchnässt bis auf die Knochen bei nicht gerade sommerlichen Temperaturen. Auf später via Telegram geteilten Videos konnte man sogar teilweise Befreiungsaktionen für gefangengenommene Aktivisten sehen. Es scheint so, als würde das Band der Demonstranten sich straffen durch den zunehmenden Druck von Außen[1]. Im Laufe des Tages kam es dann zu über 300 Festnahmen, ohne dass es den Teilnehmern jedoch gelungen wäre, zum Regierungsgebäude durchzudringen.

Eine Randnotiz sei noch zur allgemeinen Stimmung innerhalb des Lagers der Demonstranten zu machen. Es hat sich eine durchweg ablehnende Haltung gegenüber der Antifa durchgesetzt. So konnte beobachtet werden, dass ähnlich gekleidete Demonstranten häufig angesprochen wurden, zu welchem Lager sie gehörten. Die Rolle der Antifa als Steigbügelhalter des Systems scheint in den Kreisen der „Querdenker“ sichtlich bekannt zu sein, was als durchaus begrüßenswert einzuordnen ist.

 

Parlamentarischer „Coup“ der AfD

Am Rande der Debatte innerhalb des Bundestages kam es dann noch zu einem „Eklat“, als scheinbare Gäste einzelner Abgeordneter der AfD-Fraktion angeblich Politiker anderer Parteien belästigten und bedrängten. Laut den jüngsten Erklärungen der Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Alexander Gauland sei dies so nicht vorgesehen gewesen, was man bedauere[2]. Es kann darüber debattiert werden, wie sinnvoll derlei Aktionen sein mögen, die Empörung der Abgeordneten ist in jedem Falle als durchweg lächerlich zu bezeichnen. Vielmehr scheint hier die panische Angst vor dem eigenen Volk in eine aggressive Trotzreaktion umzuschlagen. Es ist für viele Abgeordnete spürbar, dass der vor Kurzem noch so „abstrakte“ Protest in enge Nähe rückt. Dass dieser Stachel tief sitzt, verdeutlichen auch die jüngsten Aussagen des Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, Georg Maier. Dieser äußerte, dass er es für denkbar halte, ein Verbotsverfahren gegen die AfD einzuleiten, sollte diese sich weiter „radikalisieren“[3].

Es wäre nur begrüßenswert, wenn die AfD ihre Rolle als parlamentarischer Arm innerhalb des Protestlagers finden würde. Interessant war hierbei auch die Anwesenheit des Abgeordneten (und Verstoßenen) Andreas Kalbitz während der Proteste vor dem Brandenburger Tor. Dieser bewegte sich gleich eines Hans-Christian Ströbele hinter den Polizeiketten und zwischen den Demonstranten und konnte so das gesamte Geschehen beobachten. Es ist seit Jahrzehnten üblich, dass linke Abgeordnete ihren „Fußtruppen“ als Schützlinge dienen. Gerade die Linkspartei, als auch die Grünen haben hier von ihrer Schutzfunktion häufig zu Unrecht Gebrauch gemacht. Es wäre also längst an der Zeit für die AfD, sich ebenfalls in den Dienst eines breiten Bündnisses zu stellen, herrschendes Unrecht aufzuklären und zur Sprache zu bringen.

Die nächsten größeren Protestkundgebungen sind nun für Leipzig, Düsseldorf und Dresden angesetzt. Insbesondere Dresden wird voraussichtlich wieder viele Teilnehmer mobilisieren, es ist jedoch fraglich, welche politische Reibungsfläche in dieser Stadt besteht. In Anbetracht der Tatsache, dass die Gesetzgebung in der Hauptstadt stattfindet, wäre es vermutlich sinnvoller, den Protest dort zu manifestieren. Leipzig kann aufgrund der Historie jedoch auch mobilisierend wirken. Eine andere Möglichkeit wäre es, in mehreren Städten gleichzeitig auf die Straße zu gehen, um auch die Strapazierfähigkeit des Systemapparates auf die Probe zu stellen. Vereinzelte Demonstrationen an Wochenenden in Dresden, Düsseldorf, Hamburg oder anderswo bergen hingegen die Gefahr, zu Leerläufern zu werden, die viel Energie bei wenig Output benötigen.

 

 

[1] Dies würde sich mit den Einschätzungen aus dem Artikel anlässlich der Leipzig-Demonstration decken, in welchem festgestellt wurde, dass mit jeder Entscheidung des Systems dies letztlich die Situation verschärfen müsse. Entweder lasse es die Proteste gewähren, was nicht im Sinne der Herrschenden sein kann oder es reagiert mit überzogener Willkür, was den Protest erhärtet. (Hier geht es zu Dieke’s Analyse zur Demonstration in Leipzig am 7. November 2020, Anm. d. Red.)

[2] Siehe hierzu: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/abgeordnete-bedraengt-bundestag-prueft-stoeraktionen-100.html (Stand: 21. November 2020).

[3] Siehe hierzu folgenden Artikel auf tagesschau.de: https://www.tagesschau.de/inland/afd-diskussion-101.html (Stand: 21. November 2020).

 

 

Quelle: Gegenstrom.org

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