Das Machtgefüge der Welt verändert sich zunehmend. Während die USA immer mehr an Einfluss verlieren, gewinnt vor allem China an Macht. Nationale Kreise haben den US-amerikanischen Kapitalismus ausführlich analysiert. Der Frage „Was will China?“ ist man bislang jedoch kaum nachgegangen. In China regiert die kommunistische KPCh. Noch immer wird ihr ehemaliger Führer Mao Zedong verehrt. Dieser entwickelte eine eigene Variation des Marxismus, die sich vom ursprünglichen proletarischen Internationalismus mit der Sowjetunion als Zentrum abwandte. Einer seiner Ideengeber war Kang Youwei, der das „Ta-`ung shu“ propagierte. Eine in Deutschland kaum bekannte, radikale Lehre.
Kang Youwei
Kang Youwei war am 19. März 1858 in Kanton geboren worden. Er lebte in einer Zeit, als die Konfrontation mit dem britischen Kapitalismus das jahrtausendealte konfuzianische Weltbild vom „Reich der Mitte“ zum Einstürzen brachte. China war den ausländischen Kapitalisten insbesondere in den Opium-Kriegen hoffnungslos unterlegen. Dies hatte dramatische Auswirkungen auf das chinesische Volk. In dieser Zeit der Schwäche stellte Kang Youwei althergebrachte Lehren infrage und stand somit für einen Umbruch, der Chinas langsamen, aber stetigen Aufbruch zur Weltmacht ermöglichte. Als Kang Youwei aufwuchs, gab es in China praktisch noch keine fremde Literatur. Nur sehr wenige ausländische Klassiker waren übersetzt worden.
Dennoch entwickelte Kang Youwei eine Lehre, die frappierende Parallelen, aber auch deutliche Unterschiede zum Marxismus aufweist. Zu Lebzeiten hatte Kang Youwei kaum Einfluss auf die chinesische Politik. Die herrschende erzkonservative Kaiserinwitwe Cixi stemmte sich gegen jede Abkehr vom Konfuzianismus. Doch die Lehren Kang Youweis sollten für die nachfolgenden politischen Generationen interessant werden. Insbesondere Mao Zedong, späterer kommunistischer Diktator, sollte ein begeisterter Leser von Kang Youweis Werken sein. Die Auswirkungen seines Denkens solllte Kang Youwei, der am 31. März 1927 in Qingdao verstarb, also nie erfahren.
Ta-t`ung shu
Das Ta-t`ung shu beruht im Kern auf einer radikalen Umdeutung des Konfuzianismus. Über Jahrtausende herrschte in China der Glaube vor, Konfuzius wäre strikt gegen Veränderungen und für Stillstand gewesen. Mit dieser Lehre musste China, konfrontiert mit dem aggressiven Kapitalismus imperialistischer Invasoren, in eine Katastrophe geraten. Kang Youwei legte nun eine Idee vor, die voller gefährlicher Irrlehren steckt. Er behauptete, die konfuzianischen Lehren seien verfälscht worden und in Wirklichkeit hätte sich der chinesische Großmeister sehr wohl für Veränderungen ausgesprochen.
Kang Youwei war der Ansicht, alle Wesen in der Welt würden leiden. Die Geschichte der Menschheit sei voll von blutigen Kriegen, die Welt daher ein gewaltiges Schlachthaus und gewaltiges Gefängnis voller Kummer und Elend. Er unterschied in sechs Kategorien des Leids: Die Leiden des Lebens, die durch Naturunglücke verursachten Leiden, die Leiden, die aus zwischenmenschlichen Beziehungen entstehen, die durch soziale und politische Institutionen bedingten Leiden, die aus menschlichen Gefühlen stammenden Leiden und die Leiden hochgeschätzter Persönlichkeiten. Aus seinem „Mitgefühl“ heraus wollte er die Ursachen allen Leids bekämpfen und so zum „ewigen Frieden“ gelangen. Die Endphase der Welt ohne Leiden sollte Ta-t`ung heißen.
Zu Ursachen dieser „Leiden“ erklärte Kang Youwei neun „Grenzen“. Dabei handele es sich um nationale Grenzen, Klassen-Grenzen, Rassen-Grenzen, Geschlechtsgrenzen, Familien-Grenzen, berufliche Grenzen, unordentliche (juristische) Grenzen, Artengrenzen und Grenzen des endlosen Leidens. Er konkretisierte diese Thesen und stellte entsprechende politische „Visionen“ vor.
So forderte er die Abschaffung von politischen Staaten. Die Staaten ständen der „vollkommenen Tugend“ des Menschen im Wege und müssten daher einem einzigen Weltstaat unter Führung einer Weltregierung weichen. Dafür sollte auch eine totale Abrüstung der Welt erfolgen. Weiterhin strebte Kang Youwei die Abschaffung aller Klassenunterschiede an. Würden die Klassen verschwinden, würde eine „glückliche Welt“ beginnen.
Auch Rassenunterschiede sollten verschwinden. Nach Kang Youwei gibt es vier Rassen: Eine weiße, gelbe, braune und Schwarze. Diese sollten einer einheitlichen Bevölkerung mit einheitlicher Hautfarbe und einheitlichen Körpermerkmalen weichen. Diese sollte nach Kang Youwei weiß sein. Um dieses Ziel zu erreichen, sprach sich Kang Youwei für Migration, Heirat zwischen angehörigen verschiedener Rassen und eine veränderte Ernährung aus. Innerhalb von 700 bis 1000 Jahren sollten alle farbigen Völker in weiße Völker umgewandelt werden, und im Zeitalter des Ta-t`ung sollten alle Menschen die gleiche Hautfarbe, das gleiche Aussehen, die gleiche Größe und die gleiche Klugheit besitzen.
Weiterhin forderte er die Gleichstellung von Mann und Frau. Männer und Frauen sollten ähnliche Kleidung tragen, Frauen sollten ihren Namen nicht ändern, Ehen dürften maximal ein Jahr lang anhalten und eine „freie vertragsmäßige Bindung“ darstellen. Auf diesem Weg sollten Sexualverbrechen und Eheprobleme verschwinden. Auch die Familie wollte Kang Youwei abschaffen. Die Familie würde gefährliche Gefühle erzeugen, die Ursache von vielen Übeln wie Arglist, Falschheit, Diebstahl, Raub und Mord seien. Daher sollten Kinder nicht mehr von ihren Eltern aufgezogen werden und keinen eigenen Namen erhalten. Sie sollten stattdessen Nummern bekommen und nicht mehr erfahren, wer ihre Eltern sind. Kinder sollten in öffentlichen Häusern aufwachsen, öffentlich erzogen werden und am Ende ihres Lebens sollten die Menschen in öffentliche Anstalten für Kranke und Sterbende gebracht werden.
Auch das Privateigentum wollte Kang Youwei abschaffen. Das Eigentum sollte sich komplett in der Hand der Regierung befinden, die es allen Menschen zu gleichen Teilen zukommen lassen sollte. Durch die Abschaffung der Familie sollte es schließlich kein Erbe mehr geben. Weiterhin forderte Kang Youwei die Einteilung der Welt in gleichmäßige Zonen. Zudem sollten in einem späteren Schritt auch Artenunterschiede verschwinden, weil man auch andere Lebewesen lieben müsse. Letztendlich sollten alle Leiden verschwinden.
Wenn man die kommunistische Entwicklung Rotchinas beobachtet, stellt man fest, dass hier Versuche unternommen wurden, die durchaus im Sinne der Lehren Kang Youweis gewesen sein dürften. Das chinesische kommunistische Experiment hat die meisten Menschenleben gefordert von allen kommunistischen Systemen. Heute geht China einen Weg, der negative Eigenschaften von Kapitalismus und Kommunismus verbindet. China expandiert dabei und gewinnt immer mehr globale Macht. Auch wenn sicherlich nicht alle radikalen Lehren Kang Youweis so in die Praxis umgesetzt wurden, dürfte eine Welt unter chinesischer Führung für Europas Völker nichts Gutes bedeuten.
Der Plan klingt so, als sei er von einem Irren.
Doch Irre sollte man mit Vorsicht begegnen.
“ Diese sollte nach Kang Youwei weiß sein.“
„…eine Welt unter chinesischer Führung für Europas Völker nichts Gutes bedeuten.“
Hm, weniger schlecht als der Kalergiplan zumindest.