Deutschland ist aufgrund seiner geschichtlichen und geographischen Lage ein geostrategischer Spielball zwischen den Großmächten USA und Russland. Die USA haben nun eines ihrer langersehnten Ziele erreicht – dank des Krieges in der Ukraine sind sie einer der führenden Lieferanten für Flüssiggas (LNG) geworden. Bisher haben die Europäer und besonders die Deutschen amerikanisches LNG gemieden: Es war wesentlich teurer als das russische Pipeline-Gas und hatte aufgrund der Gewinnung durch das Fracking-Verfahren einen schlechten Ruf.
Das hat sich nach der Ausschaltung des russischen Konkurrenten grundlegend geändert. Seit März 2022 sind die weltweiten LNG-Exporte nach Europa im Vergleich zum Vorjahr um 75 Prozent gestiegen. Wichtigster Lieferant sind die USA. Jeder Tanker, der zu uns kommt, beschert den USA einen Gewinn von 200 Millionen Euro. Und es sind viele Tanker, die zukünftig kommen sollen. Das bringt dem militärisch-industriellen Komplex der USA nicht nur satte Gewinne, sondern sorgt für zusätzliche „soft power“ in der Kontrolle über die sogenannte westliche Welt.
In der Politik gibt es keine Freundschaft
Machen wir uns nichts vor: trotz aller Lippenbekenntnisse sind Deutschland und die USA wirtschaftliche Konkurrenten. Die hohen Energiepreise sind dabei ein enormer Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen. Schon vor Russlands Einmarsch in die Ukraine war den Amerikanern das günstige russische Gas ein Dorn im Auge. Nicht umsonst haben die US-Regierungen jedes russische Pipeline-Projekt zur Versorgung von Westeuropa von Anfang an erbittert bekämpft: Die Behinderung des Mannesmann-Röhrengeschäfts für die Druschba-Trasse, Druck auf Bulgarien bezüglich der geplanten South-Stream-Pipeline und am Ende die geglückte Verhinderung von Nord Stream 2 – jedes Mittel war recht, um eine eigenständige (von den USA unabhängige) Energieversorgung Deutschlands zu verhindern.
Nun also soll teures LNG aus Übersee es richten. Dumm nur, dass Deutschland derzeit nur über eine Verladestelle verfügt, an der das flüssige Gas angelandet und in die deutsche Gasversorgung eingespeist werden kann. An den deutschen Küsten sollen elf solcher Stationen entstehen, an denen LNG-Tanker verflüssigtes Erdgas entladen können. Acht davon sollen aus angemieteten Spezialschiffen bestehen. Das erste, die norwegische „Höegh Esperanza“, nahm vergangene Woche in Wilhelmshaven seine Arbeit auf. Die anderen schwimmenden Terminals sollen im Laufe des kommenden Jahres in Lubmin, Stade und Brunsbüttel errichtet werden.
Darüber hinaus ist der Bau von drei festen Terminals an Land geplant. Sie sollen eine deutlich höhere Kapazität haben als die schwimmenden und bis 2026 fertig sein. Die Kosten gehen in die Milliarden. Die Anschaffung und der Unterhalt schwimmender Flüssigerdgas-Terminals kosten Deutschland im Jahr 2022 mindestens dreieinhalb Milliarden Euro mehr als bislang geplant. Laut einer Mitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums hat sich der Gesamtbedarf 2022 auf rund 6,56 Milliarden Euro an Haushaltsmitteln erhöht. Weitere benötigte Haushaltsmittel in 2023 sind derzeit noch nicht kalkulierbar.
Flüssiggas – teuer, umweltschädlich und keine Lösung
Dabei ist allzu großer Optimismus fehl am Platz. Ein kompletter Importstopp von russischem Erdgas ist allein durch LNG nicht zu ersetzen. Katar z. B. hat 90 bis 95 Prozent seiner LNG-Produktion bereits langfristig verkauft. Das heißt, dass höchstens zehn Prozent der Mengen auf dem Markt landen und dort kurzfristig eingekauft werden können. Schätzungen gehen gerade einmal von zehn Milliarden Kubikmetern aus Katar aus, die überhaupt zur Verfügung stehen. Und auch die 1,4 Milliarden Kubikmeter, die Norwegen ab Sommer zusätzlich nach Europa pumpen will, sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Der Aufwand ist gewaltig, die zusätzlichen Kosten auch. Das Flüssiggas muss in riesigen Tankern transportiert werden, die bis zu 350 Meter lang sind. Pro Woche müssen an jeder der geplanten Verladestellen mehrere von diesen Megatankern anlanden. Die Ladung der Schiffe ist zudem hochexplosiv. Der größte Teil des US-LNG wird aus tiefen Gesteinsschichten mit dem sogenannten Fracking-Verfahren gefördert. Dabei werden unter hohem Druck Wasser und Chemikalien in tiefe Gesteinsschichten gepresst, um das Gas zu lösen. Das hat in den USA zu erheblichen Umweltschäden geführt und ist deshalb in Deutschland bislang verboten.
Der Transport von Flüssiggas über die Weltmeere benötigt ebenfalls viel Energie. So wird das Gas zunächst auf minus 163 Grad Celsius heruntergekühlt, bis es flüssig wird und nur noch ein Sechshundertstel seines ursprünglichen Volumens hat. Am Zielort muss der Vorgang umgekehrt und das LNG wieder in Pipelinegas umgewandelt werden. Die Tanker haben darüber hinaus auch einen enormen Verbrauch an Diesel.
Und die Preise steigen. Die Lieferungen von Flüssigerdgas kosten mittlerweile doppelt so viel wie vor Beginn des Ukrainekriegs, da die Inflation die Kosten in die Höhe trieb. Sie könnten weiter steigen, wenn China seine Corona-Beschränkungen aufhebt und den Wettbewerb um das verfügbare Gas zusätzlich verstärkt.
Souverän ist anders
LNG ist teuer, umweltschädlich – und sorgt für neue Abhängigkeiten. Es waren die USA, die nach dem russischen Angriff zu weiteren Wirtschaftssanktionen gegen Russland drängten. Nach dem offiziellen Narrativ soll durch den Importstopp die russische Wirtschaft geschädigt und durch den Ausfall von Einnahmen aus den Öl- und Gasexporten die Weiterführung des Krieges unmöglich gemacht werden.
Dabei war von Anfang an offensichtlich, dass das nicht funktionieren kann. Erstens ist Russland als Riesenland mit seinen Ressourcen weitgehend autark und zweitens kann ein Embargo nur wirken, wenn alle mitmachen. Tatsächlich sind es nur die westlichen Industriestaaten, die dem Drängen der Amerikaner nachgegeben haben, während China, Indien und die meisten Entwicklungsländer nur darauf warteten, deren Stellung einzunehmen. Praktisch haben die Sanktionen Russland durch die Preisexplosion im Energiesektor nicht geschadet, sondern stark erhöhte Einnahmen beschert.
Das Ergebnis gilt gleichermaßen für die USA. Sie können Europa endlich ihr teures und schmutziges Fracking-Gas verkaufen, das zuvor gegenüber dem billigen russischen Pipeline-Gas nicht konkurrenzfähig war. Gleichzeitig kontrollieren sie künftig einen Großteil der nach Europa fließenden Energieströme. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
„Wer das Öl kontrolliert, ist in der Lage, ganze Nationen zu kontrollieren“ (Henry Kissinger) – man füge dem Öl das Gas hinzu, und es ergibt sich ein Bild.
Bei diesem Gerede von Deutschland als «Spielball der Großmächte» kommt einem als Menschen, der sich mal ernsthaft mit der Geschichte des 20. Jahrunderts befaßt hat, einfach nur das kalte Kotzen. Mit solchen Freunden brauchen wir allerdings keine Feinde mehr (zuviel AfD-Geschwafel schadet der Gesundheit der Volksseele).