Der Konflikt in der Ukraine und die Rückkehr der Geopolitik

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Nach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus und dem scheinbaren Endsieg der sogenannten „westlichen Wertegemeinschaft“ riefen voreilige Zeitgenossen Mitte der 90er Jahre das Ende der Geschichte aus. Vorbei die Zeiten alter Mächteblöcke, vorbei die Zeiten ethnischer und ideologischer Konflikte – am globalisierten Wesen von Menschenrechten und Demokratie sollte die Welt genesen. Krieg wurde jedoch weiterhin geführt, nicht mehr primär als Fortsetzung der Politik, sondern der Wirtschaft (Irak, Libyen). Die Mittel blieben die gleichen.

Doch die alleinige Dominanz der USA über die Großräume der Welt geht ihrem Ende entgegen, am deutlichsten abzulesen an der anstehenden Verkleinerung der US-Streitkräfte. Die (noch) alleinige Supermacht kann ihren Sonderstatus nicht mehr finanzieren und mit der Gesundung alter Rivalen und dem Auftauchen neuer Akteure auf der weltpolitischen Bühne geht das Zeitalter der „Pax Americana“ mit der Erschaffung einer Weltrepublik über US-dominierte internationale Organisationen und der Verbrämung politischer Realitäten durch wohlklingende Phrasen seinem Ende entgegen. Die Geopolitik vergangener Epochen kehrt mit Macht zurück. Der Konflikt in der Ukraine zeigt dies nicht zum ersten Mal, aber deutlicher als bislang.

Man führe sich die Brisanz des aktuellen Geschehens vor Augen. Nachdem in der souveränen und zumindest halbwegs demokratischen Ukraine ein Machtwechsel stattgefunden hat, besetzen Truppen des ebenfalls souveränen und halbwegs demokratischen Rußlands ukrainisches Staatsgebiet. Auch wenn die Gründe für diesen Schritt – Schutz der russischen Bevölkerungsmehrheit auf der Krim und in der ganzen Ost-Ukraine, Sicherung der Stützpunkte der Schwarzmeerflotte – nachvollziehbar sein mögen, spätestens seit den Nürnberger Prozessen nennt man ein derartiges Vorgehen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, auch wenn bislang aufgrund der ungleichen Kräfteverteilung (noch)kein Schuß gefallen ist. Viel anders lief die Errichtung des deutschen Protektorats über Böhmen und Mähren 1938 und die Besetzung Polens 1939 auch nicht ab.

Dass die Reaktion des „Westens“ bislang so verhalten aussieht, liegt lediglich an dem Umstand, dass die Europäer zu ernsthaften Reaktionen gar nicht in der Lage sind. Ohne russisches Öl und Gas dürfte sich die Wirtschaftskrise der EU zur Katastrophe auswachsen. Militärisch ist die EU ohnehin ohnmächtig. Die USA hingegen wissen ganz genau was für die Russen, die militärisch nach wie vor ein Schwergewicht darstellen, auf dem Spiel steht: „Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.“ (Zbigniew Brzezinski, neokonservativer US-Vordenker, 1997 in seinem Buch „The Grand Chessboard“).

Kein eurasisches Reich meint in diesem Zusammenhang keine konkurrierende Weltmacht mehr. Rußlands Präsident Putin wird eine an den Westen angeschlossene Ukraine, am Ende gar als NATO-Mitglied und mit Raketenstellungen an der russischen Grenze, niemals dulden. Kein russischer Präsident, der, anders als westliche Marionetten wie seinerzeit Boris Jelzin, eine souveräne Politik betreibt, würde das.

Dies alles sollte man als Beispiel künftiger Konflikte im Hinterkopf behalten, wenn man sich u.a. an die Rede von Bundespräsident Gauck anläßlich der Münchner Sicherheitskonferenz erinnert. Abseits des Geredes von der weltweiten Geltung der Menschenrechte und militärischer Verhinderung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dem ohnehin nur dann Taten folgen, wenn es in die geoökonomischen Pläne der USA passt, drohen in Zukunft verstärkt Konflikte der unterschiedlichsten Art zwischen den immer zahlreicher werdenden weltpolitischen Akteuren um die Vorherrschaft in Europa und der Welt.

Umso wichtiger wird es für die Deutschen sein, ihre Lage zwischen den Interessenkonflikten der alten und neuen Mächte und Machtblöcken zu erkennen und im Rahmen des Möglichen jenseits ideologischer Nebelkerzen die eigenen Interessen zu definieren – um im Spiel der Mächte eigenen Schaden zu vermeiden, wie 1914 und 1939 geschehen und sich nicht im Namen und Freiheit und Demokratie als Handlanger mißbrauchen zu lassen, wie es seit 1949 der Fall ist.
 

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