Gespräch über Martin Heidegger – Teil 1

Home/Kultur/Gespräch über Martin Heidegger – Teil 1
Bildquelle: Willy Pragher / wikimedia.org
Bildquelle: Willy Pragher / wikimedia.org

Angelika Willig, geboren 1963 in Göttingen, studierte Philosophie und deutsche Literatur in Freiburg und München. Sie beschäftigt sich seit dem denunzierenden Buch von Victor Farias 1986 mit dem Thema „Heidegger und der Nationalsozialismus“ und schrieb schließlich ihre Doktorarbeit über Martin Heidegger und Karl Jaspers, die beiden deutschen Existenzphilosophen.
Nach dem Studium als Kulturredakteurin bei der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ tätig und seit 2004 freie Mitarbeit bei „Nation&Europa“, „Deutsche Stimme“, „Neue Ordnung“ (Graz), „Umwelt&Aktiv“ und regelmäßige Artikelschreiberin unserer Parteinetzseite.

Der III. Weg:  Martin Heidegger – von Rüdiger Safranski „Ein Meister aus Deutschland“, von anderen der „Magier von Meßkirch“ genannt – ist wohl einer der bedeutendsten, wenngleich auch schwierigsten deutschen Philosophen. Könntest du vielleicht für den philosophischen Laien kurz Erklären, woraus Heideggers Denken bestand?

Angelika Willig: Zuerst müssen wir uns fragen, weshalb wir überhaupt Heidegger verstehen wollen, und was uns zu philosophischen Fragen treibt. Ist es vielleicht nur ein anerzogener Respekt vor den „Bildungsgütern“? Sind diese sogenannten Bildungsgüter einschließlich Hegel oder Heidegger nicht nur Namen, mit denen wir uns gern schmücken oder unsere eigenen Ansichten ausschmücken wollen, die uns aber in Wirklichkeit – im täglichen Leben und in Gefahrensituationen – nicht weiterhelfen, und die uns eigentlich gar nichts bedeuten?

So ähnlich hätte Heidegger selbst argumentiert, wenn man ihn nach dem Inhalt seines Denkens gefragt hätte. Er war sehr mißtrauisch gegenüber den Bildungseinrichtungen und auch gegenüber den gebildeten Ständen. Das klarste Denken hatte in seinen Augen ein Bauer, der von Philosophie gar nichts weiß. Doch diesen Unverbildeten gibt es immer weniger. Wir alle haben die Ideen unseres Zeitalters aufgeschnappt und reden dauernd von Dingen, von denen wir nichts wissen. Deshalb braucht man die Philosophie, um dieses „Gerede“ zu durchschauen und sich nach der Wahrheit ernsthaft zu fragen. „Fragen“ ist überhaupt das Lieblingswort Heideggers. In seiner späteren, besinnlichen Phase nannte er das Fragen sogar „die Frömmigkeit des Denkens“.

Der junge Heidegger hat in dem 1927 erschienenen Hauptwerk „Sein und Zeit“ aber auch inhaltliche Bestimmungen über Mensch und Welt gegeben. Schwierig ist es in der Tat, weil er eine besondere Terminologie benutzt, was bei anderen großen Philosophen auch der Fall ist. Gerade die deutschen Philosophen – Kant, Hegel, Schelling – sind allesamt sehr „schwierig“. Um eine Kostprobe zu geben, folgt hier ein Originalsatz aus „Sein und Zeit“: „Die Einheit der horizontalen Schemata von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart gründet in der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit. Der Horizont der ganzen Zeitlichkeit bestimmt das, woraufhin das faktisch existierende Seiende wesenhaft erschlossen ist.“ – Wir sehen, das Buch verlangt eine gewisse Vorbildung.

Was kommt nun heraus, wenn man das Ganze verständlich macht? Insgesamt ist „Sein und Zeit“ eine Kapitulationserklärung des Menschen selbst. Der Anspruch, alles erkennen, erklären und bestimmen zu können, wird von Grund aus widerlegt, der Herr der Erde entthront und die Unterwerfung unter die Mächte „Dasein“ und „Zeitlichkeit“ bzw. „Geworfenheit“ und „Sein zum Tode“ erklärt. Dies wendet sich gegen den bürgerlichen Idealismus ebenso wie gegen den Marxismus und auch gegen die christlichen Konfessionen. Alle drei predigen eine Erlösung, die Heidegger dem Menschen stolz versagt. Die von ihm geforderte Haltung heißt „Entschlossenheit“, nämlich sich der jeweiligen Situation zu stellen.


Der III. Weg: 
Heideggers philosophisches Werk lässt sich vielleicht grob in mehrere Zeitabschnitte einteilen. Zunächst seine Beschäftigung mit der Phänomenologie, danach seine Ansichten zur Metaphysik, folgend seine Kritik an der abendländischen Philosophie und schlussendlich seine Technikkritik. Zuerst, was ist Phänomenologie und wie beeinflusste es Heidegger?

Angelika Willig: Die Phänomenologie ist eine philosophische Richtung, die um das Jahr 1900 entstand. Heidegger schloß sich ihr an, nachdem er seinen Doktor gemacht hatte, und habilitierte sich bei dem wichtigsten Phänomenologen, Edmund Husserl. Phänomenologie bedeutet im Kern, daß man die Dinge so nimmt, wie sie der Wahrnehmung erscheinen und nicht die Wahrnehmung auf den Sinnes- und Denkapparat zurückführt, wie es bei der vorangehenden Transzendentalphilosophie der Fall war. Diese komplizierte Unterscheidung wirkt sich ganz deutlich aus, wenn wir wieder Heideggers „Sein und Zeit“ betrachten. Er wendet die phänomenologische (deskriptive) Methode auf die Betrachtung des menschlichen Lebens an und weist von vornherein den pseudophilosophischen Einwand zurück, „daß wir ja gar nichts über uns wissen können, weil wir immer in unserer Haut stecken“. Phänomenlogie bremst die Reflektion aus, und man kommt „zu den Sachen selbst“.

Der III. Weg: Die Metaphysik ist der Bereich, für den Heidegger am berühmtesten ist. Auch sein Hauptwerk „Sein und Zeit“ ist Teil davon. Aber was ist Metaphysik und wieso war es für Heidegger so wichtig?

Angelika Willig: Zwei Jahre nach „Sein und Zeit“ hat Heidegger ein Buch geschrieben mit dem Titel „Kant und das Problem der Metaphysik“. Kant hat angeblich die Metaphysik erledigt und klar gemacht, welche Dinge der Mensch nicht erkennen kann und worüber er auch nicht spekulieren sollte. Das ist die moderne Position seit dem 18. Jahrhundert. Heidegger gibt sich damit aber nicht zufrieden. Durch seine Existenzweise ist der Mensch immer gestoßen auf das Unerkennbare und Unheimliche, und darin besteht sein eigentliches Interesse über die Wissenschaften hinaus. Das kann man dann wieder Metaphysik nennen. Aber Heidegger benutzt das Wort auch negativ als philosophische Konstruktion, die Sicherheit vermitteln will, wo keine Sicherheit ist. Er fordert das „Sichloslassen in das Nichts, d.h. das Freiwerden von den Götzen, die jeder hat, und zu denen er sich wegzuschleichen pflegt“. Auf keinen Fall ist „Metaphysik“ für Heidegger ein Leitwort, das ist „Denken“, „Fragen“, „Sein“, „Sprache“ – übrigens nie Fremdworte.

Der III. Weg: 
Aber grade Heideggers Mitwirkung an der nationalsozialistischen Revolution 1933 war von seiner Metaphysik geprägt. Für ihn waren weniger nationale oder soziale Beweggründe entscheidend dafür, NSDAP-Mitglied zu werden und die Freiburger Universität nach nationalsozialistischer Vorstellung umzubauen, für ihn war die Machtergreifung eine kollektive, metaphysische Revolution. Er verglich den Sieg der NSDAP mit dem Hinaussteiger bei Platons Höhlengleichnis, nur auf ein ganzes Volk übertragen. Wie stellte sich Heidegger diese metaphysische Revolution vor, und was verstand er darunter?

Angelika Willig: Häufig zitiert wird ein Satz Heideggers aus dieser Zeit:„Nicht Lehrsätze und „Ideen“ seien die Regeln eures Seins. Der Führer selbst und allein ist die heutige und künftige Wirklichkeit und ihr Gesetz.“ Daraus läßt sich entnehmen, daß der Philosoph gerade keine bestimmte Vorstellung, und schon gar keine philosophische oder metaphysische Vorstellung von der nationalsozialistischen Revolution hatte, sondern dies als ein Ereignis genommen hat, auf das er nur reagieren konnte, und da hat er positiv reagiert. Grund war sicherlich eine tiefe, aber nicht so sichtbare Übereinstimmung des Nationalsozialismus mit seiner Philosophie, die er gespürt hat. In „Sein und Zeit“ gibt es Begriffe wie Volk, Nation oder Rasse überhaupt nicht. Insofern war die Parteinahme für den Nationalsozialismus eine Überraschung. Doch gemeinsam ist die Wendung gegen die Vergötzung des Menschen als Herrn der Welt und die Rückbindung an den natürlichen Ursprung. Heidegger ist sehr heimatverbunden und hat es auch abgelehnt, an eine größere Universität zu gehen. Insofern neigt er einer nationalsozialistischen Stimmung zu und hat sich dann Hitler anvertraut.

Der III. Weg:
Zwei bzw. drei Jahre nach der Machtergreifung 1933 endete jedoch Heideggers politische Aktivitäten, er konzentrierte sich ausschließlich auf seine philosophische Arbeit, blieb aber NSDAP-Mitglied. Heidegger war enttäuscht darüber, dass seine Pläne zumindest nicht ganz umgesetzt wurden. Gleichzeitig hielt aber immer noch Vorlesungen wie „Nietzsche über „Rasse“ und “Züchtung“. War Heidegger auch nach dem Ende seiner politischen Tätigkeit noch Nationalsozialist, kann man ihn sogar einen nationalsozialistischen Philosophen nennen?

Angelika Willig: Für Heidegger ist die Philosophie mit Nietzsche beendet, manchmal sagt er sogar „verendet“. Wer sich danach mit Philosophie beschäftigt, zerlegt also einen Kadaver. Genau das tut Heidegger in „meisterhafter“ Weise. Mit dem Nationalsozialismus hat er die Chance ergriffen, diesen Kadaver zu verlassen und etwas Lebendiges anzufassen. Doch kommt er damit nach kurzer Zeit nicht zurecht und zieht sich wieder auf die Philosophie zurück, die er selber für tot hält. Insofern gibt es gar keinen nationalsozialistischen Philosophen und kann keinen geben, weil der Nationalsozialismus nach dem Zeitalter der Philosophie erscheint und sich auf die Naturwissenschaft bezieht, die an die Stelle getreten ist. Heidegger ist dazu gewissermaßen „zu alt“ (obwohl gleicher Jahrgang mit Adolf Hitler), was man daran merkt, daß er zwar die Philosophie respektive Metaphysik angreift, aber sofort defensiv diese alten Mächte gegen Naturwissenschaft und Technik verteidigt.

Die Vorlesungen über Nietzsche aus den 1930er und 40er Jahren sind als Kritik am Nationalsozialismus zu verstehen. Begriffe wie „Rasse“ und „Züchtung“ verwendet Heidegger negativ, weil er darin die „Ermächtigung des Menschen“ am Werk sieht.

Der III. Weg: Heidegger wird ja, insbesondere seit der Veröffentlichung der „schwarzen Hefte“, neben seiner Beteiligung am Nationalsozialismus auch Antisemitismus vorgeworfen. Er hatte aber u.a. eine Affaire mit seiner jüdischen Studentin (und späteren Philosophin) Hannah Arendt. Wie lässt sich dies erklären?

Angelika Willig: Noch wichtiger ist sein Verhältnis zu dem Juden Edmund Husserl, dessen Schüler und Assistent Heidegger in Freiburg war. Beides liegt in den 20er Jahren. Des Rätsels Lösung ist, daß Heideger niemals Rassen-Antisemit war, sondern immer nur eine bestimmte verbreitete jüdische Geisteshaltung ablehnte, und wer die nicht hatte, Husserl und Arendt lagen philosophisch auf seiner Wellenlänge, der galt für ihn quasi nicht als Jude. Das paßt auch dazu, daß Heidegger jede biologische Betrachtungsweise ablehnte, bekanntlich sagte er: „Die Wissenschaft denkt nicht“, und meinte insbesondere die Naturwissenschaft, gegenüber der er eine Arroganz pflegte. Heidegger hat sich auch als Rektor nicht damit abfinden können, zwei renommierte Professoren zu entlassen, weil sie Juden waren, diese Sichtweise war ihm fremd, auch wenn er auf „jüdische Zeitungen“ etc. schimpfte.

×

Schneller und einfacher Kontakt über WhatsApp - Einfach auf den unteren Button klicken!

 

Kontakt über Threema unter der ID:
Y87HKB2B

×