Traditionalismus – Teil 2 / 6

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Im ersten Teilhaben wir uns mit der Person Evolas beschäftigt, geklärt warum er heute für uns von Interesse ist und uns seinen Begriff der „Tradition“ näher gebracht. In diesem Teil werden wir erörtern was Evola unter einer positiven Hierarchie versteht und warum nach Evola nicht jeder autoritäre Staat eine Diktatur sein muss.

Hierarchie, Autorität und der Organischer Staat

Bevor wir uns mit Evolas Staatsidee befassen, ist ein Exkurs nötig um Missverständnisse zu vermeiden. Hierarchie und Autorität sind grundlegende Werte und Konzepte in Evolas Philosophie, jedoch sind beide Begriffe durch die Meinungshoheit des Liberalismus zu einer Parodie ihrer selbst geworden. Beide Begriffe sind heute rein negativ belegt, zum einen durch eine nie endende Propaganda, zum anderen aber durch die Tatsache, dass heutige Hierarchien tatsächlich oft rein negativ sind. Heutige Hierarchien gründen meistens auf materielle Überlegenheit oder Ämter, welchen Personen mit zweifelhafter Eignung zu Autorität über andere befähigt. Beispiele sind sicher jedem aus dem persönlichen Leben bekannt, ob nun im Verein, Beruf oder anderen Situationen. Eine solche falsche Hierarchie muss zwingend eine Abneigung in jedem stolzen Deutschen hervorrufen. Nur weil heute aber die meisten Hierarchien auf wertlosen Kriterien beruhen, bedeutet das nicht, dass jede Hierarchie abzulehnen ist. Evola kann uns dabei helfen, den ursprünglichen Charakter von Hierarchie und Autorität zu finden und so beiden Begriffen wieder ihren positiven Klang zurückzugeben. So schreibt Evola:

„Natürlich impliziert ein solches System [ein hierarchisches] vor allem die Notwendigkeit, Eliten zu schaffen, und zwar tatsächliche Eliten, nicht nur solche dem Namen nach. In ihnen beruht nicht die Autorität auf dem Amt, sondern das Amt auf der Autorität, das heißt auf einer tatsächlichen Überlegenheit. Jede Hierarchie, die von anderen Voraussetzungen
ausgeht, ist nichts als eine Scheinhierarchie, ja, das Gegenteil einer Hierarchie, ein
usurpatorisches und künstliches Gebilde, beruhend auf Ungerechtigkeit und latenter
Anarchie.“

Dabei versteht Evola unter einer tatsächlichen Überlegenheit eben nicht finanzielle Mittel oder Ähnliches, sondern eine der Person inne liegende Überlegenheit. Diese innere Überlegenheit kann viel Formen annehmen, zeigt sich aber am häufigsten in Extremsituationen. Situationen, an denen die meisten scheitern oder sogar zerbrechen, während andere sie meistern und daran wachsen. Darin liegt ihre Überlegenheit, an einer inneren Stärke, die sie aus der Masse heraushebt. Weiterhin weist Evola darauf hin, dass die Beziehungen, die sich in einer solchen Hierarchie zwischen Führer und Gefolgschaft bilden, von einer ganz anderen Natur sind, als dies heute der Fall ist. Beziehungen zwischen Menschen haben heute oft den Charakter eines Vertrages, nicht umsonst spricht man heute von Gesellschaftsverträgen oder einem Generationsvertrag. Verträge sind an sich schon das Zeichen einer vom Materialismus befallenen Welt. Ein Vertrag entsteht allein auf der Grundlage des persönlichen Nutzens, entsprechend unpersönlich ist die Beziehung zwischen den Vertragspartnern. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich nun um einen schriftlichen Vertrag handelt oder einem nicht-schriftlichen, wie zum Beispiel dem zwischen Wähler und Politiker, bei Ersterem kommt lediglich noch eine juristische Komponente ins Spiel, die dem Ganzen aber auch keine höhere Würde verleiht, das Gegenteil ist eher der Fall. Das Vorhandensein einer höheren Würde ist es welches die Beziehungen in einer natürlichen, positiven Hierarchie von der eben beschriebenen abhebt. Diese Würde erhalten die Beziehungen durch das Bindemittel, nicht Utilitarismus, sondern die zeitlosen, männlichen Ideale von Ehre, Treue und Pflicht. Dabei steht aber nie ein Amt oder Titel im Zentrum, sondern immer eine andere Person. Dem Gegenüber wird also nicht Treue gehalten aufgrund seines Amtes, sondern aufgrund seiner persönlichen Eignung und Überlegenheit, welche ihn erst in das Amt gehoben haben. Gleichzeitig weist Evola darauf hin, dass man diese personenbezogenen Beziehungen, nicht mit Kollektivismus verwechseln sollte. So schreibt er:

„In einer mannhaften Ordnung, wie sie das Ideal des wahren Staates voraussetzt, gibt es wenig Platz für die Liebe im Sinne eines Bedürfnisses sich auszusprechen, sich gegenseitig in den Armen zu liegen, sich in Demut zu ergehen oder für jemanden Sorge zu tragen, der vielleicht nicht darum gebeten hat oder vielleicht dessen auch gar nicht würdig ist. Man kann sehr wohl Beziehungen von
gleich zu gleich ins Auge fassen, doch ohne irgend etwas Kommunistisch-Soziales und
künstlich Brüderliches, sondern eben auf der Grundlage der Loyalität wie auch der
gegenseitigen Anerkennung und Achtung, wobei jeder seine eigene Würde und eine
gewisse Liebe für den Abstand wahrt.“

Weiterhin weißt Evola darauf hin, dass eine Hierarchie nicht in Stein gemeißelt ist. Ganz im Gegenteil, sie ist ein dynamischer Prozess, eine ständige Aufgabe. Sollte in den Reihen der Gefolgschaft ein stärkerer erscheinen wird der Führer zurücktreten und ihm die Führung übergeben. All dies geschieht ohne Missgunst, Neid oder Ähnliches, das Gegenteil ist sogar der Fall. Da militärische Werte wie Treue und Ehre und nicht persönliche Vorteile oder Ruhm im Mittelpunkt stehen, wird der ehemalige Führer es als eine Ehre empfinden unter einer großartigen, ihn selbst übertreffenden, Persönlichkeit dienen zu dürfen. Ähnlich ist die Beziehung von Führer zu Gefolgschaft, zwar ist er ihnen überlegen, was aber nicht bedeutet daß dieser eine abschätzige Haltung gegenüber diesen einnimmt. Evola schreibt in diesem Zusammenhang:

„Ein wahrer König wünscht sich nie Schatten, Hampelmänner und Automaten als Untertanen, sondern Gefolgsmänner, die Persönlichkeiten sind, Krieger, lebendige und mächtige Wesen; sein Stolz wäre sogar, sich als König von Königen zu fühlen.“

Mit dieser Geisteshaltung wird die eigene Position in einer gegebenen Hierarchie nicht mehr als eine Last oder als eine Erniedrigung empfunden. Nach Evola ist auch das Gegenteil der Fall, er schreibt dazu:

„In den Untergeordneten muss wieder der Stolz erweckt werden, den Übergeordneten zu
dienen. Der Dienst muss wieder erweckt werden als Selbstüberwindung in Freiheit,
gleichsam als verklärendes Anerbieten, das nicht erniedrigt, sondern erhebt – überall: in
Dingen des Friedens wie des Krieges, im besonderen wie im allgemeinen. Auf dieser
geistigen Grundlage muss sich eine Struktur abzeichnen, die senkrecht von oben nach
unten verläuft, worin die Führer Ausstrahlungen des einzigen Mittelpunkts sind und
selbst wieder Mittelpunkt von niedrigeren Ordnungseinheiten, wie Offiziere, um die sich
die Soldaten scharen.“

Selbstüberwindung in Freiheit“ ist das Stichwort, welches uns zum nächsten Thema führt, dem Unterschied zwischen Totalitarismus und einem organischen Staat. Totalitarismus ist ein Begriff, der, durch Presse und Politik, gerne gegen jede Form von Autorität und Hierarchie verwendet wird. Dies ist jedoch nicht immer korrekt. Evola unterscheidet an dieser Stelle zwischen einem organischen Staat und einem totalitären. Evola Definition des Organischen Staates ist wie folgt:

„Organisch ist ein Staat, wenn er ein
Zentrum hat und dieses Zentrum eine Idee ist, die in wirksamer Weise die einzelnen
Bereiche gestaltet. Er ist organisch, wenn er die Trennung und Verselbstständigung des
Einzelgliedes nicht kennt und wenn jeder Teil des Staates in seiner relativen
Eigenständigkeit über ein System hierarchischer Teilhabe eine Funktionalität und enge
Bindung mit dem Ganzen bewahrt. Und gerade um ein Ganzes geht es im System, das wir
hier behandeln, um etwas Vollständiges und geistig Einheitliches, das sich gliedert und
entfaltet, und nicht um eine Summe von Elementen in einer Aneinanderreihung mit einem
regellosen Kreuz und Quer von Interessen.“

Ein Organischer Staat ist also ein Staat, welcher eine zentrale Idee besitzt, welche die Einzelteile ordnet und zu einer Einheit zusammenfügt.
In einem System, in dem sich die Einzelteile auf eine zentrale Idee ausrichten, ist nach Evola selbst eine Opposition denkbar. Die Opposition in einem solchen System stellt einen belebenden und dynamischen Faktor dar und verhindert so eine Stagnation des Ganzen. Dies ist natürlich nur der Fall, wenn auch die Opposition von derselben Idee beseelt ist, ist dies nicht der Fall ergibt sich eine Situation, wie heute, in der Opposition der Motor für Konflikte, schlimmstenfalls Zerstörung ist.
Wenn die Idee ihre Anziehungskraft verliert, beginnt die von ihr ausgehende Ordnung auch mehr und mehr sich aufzulösen. In diesem Fall muss die einst ordnende Kraft der Idee durch bürokratische Prozesse übernommen werden. Je weniger Kraft die Idee besitzt, desto mehr Kontrolle muss durch bürokratische und politische Organe übernommen werden. Diese Organe dringen schließlich selbst in das Privatleben der Bürger ein. Weiterhin ist ein immer höherer Grad an Zentralisierung nötig, um die Teilkomponenten des Staates und der Gesellschaft daran zu hindern sich zu verselbstständigen. Als ein Nebeneffekt der Zentralisierung ergibt sich eine einebnende Wirkung aufgrund des Strebens nach Standardisierung. Durch diesen Prozess verwandelt sich der Organische Staat in einen totalitären. Ein totalitärer Staat ist also autoritärer Staat, ohne eine zentrale Idee oder Ideal, welcher versucht seine Kontrolle bis ins kleinste auszuweiten, um den Zerfall des Systems in Einzelteile zu verhindern.

Fassen wir also zusammen: Hierarchie und Autorität müssen, wenn sie berechtigt sein sollen, auf einer tatsächlichen Überlegenheit der Führer gegenüber der Gefolgschaft beruhen. Weiterhin ist es erstrebenswert eine Idee als Zentrum des Staates zu haben, da diese eine grundlegende Ordnung in den Staat bringt, ohne das dieser auf autoritäre Maßnahmen (im landläufigen Sinne) zurückgreifen müsste.
Ein Beispiel für eine solche Idee wäre das Christentum. Man kann dem Christentum sicher vieles Vorwerfen, von seinem lebensfeindlichen Charakter bis zu den Methoden, die es zu seiner Verbreitung nutzte. Was man aber anerkennen muss, ist das es in weiten Teilen Europas eine politische Ordnung schuf, wie man sie vorher nicht kannte. Man muss diese Ordnung nicht mögen, aber die einende Kraft des Christentums lässt sich nicht leugnen, auch wenn man zu genüge mit Folter und Terror nachhalf.

Abschließend kann man sagen, dass es in diesem Abschnitt etliche Gemeinsamkeiten mit dem Nationalsozialismus gibt. Zum einen kann man die oben beschriebene Art der Hierarchie und Autorität, als das Grundgerüst des Führerstaates sehen. Zum anderen ist das Selbstverständnis des NS-Staates, daß eines Organischen Staates, er herrscht zwar streng autoritär und anti-demokratisch, versteht sich dabei nicht als Tyrannei und möchte auch nicht so verstanden werden. Im Fall des Nationalsozialismus wäre die zentrale Idee, die des Blutes sowie der Schutz und die Höherentwicklung des Volkes.

Damit endet der zweite Teil der Serie. Im nächsten Teil werfen wir unter anderem einen Blick auf Evolas Thesen über den Ursprung des Staates.

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