In den letzen beiden Teilen der Serie, möchten wir uns noch einige vereinzelte Punkte Evolas anschaue, welche den Unterschied zum Nationalsozialismus weiter verdeutlichen.
Christentum und Kirche
Wir wollen noch mal zum Thema der Religion zurückkommen, legen aber den Fokus auf die christlichen Kirchen und ihre Rolle in Europa.
Wir haben schon gesehen, dass Staat und Kirche bei Evola untrennbar miteinander verbunden sind. Der König ist bei ihm sowohl weltlicher als auch geistiger Herrscher. Die katholische Kirche sieht Evola im Allgemeinen als etwas Positives, dazu tragen insbesondere ihr übernationaler und streng hierarchischer Charakter bei. In der Reformation sieht er dagegen einen anti-hierarchischen Aufstand. Erst als die Kirche sich über die Könige zu stellen begann, was in der Anfangszeit nicht der Fall war, wurde die Kirche nach Evola zu einem Problem.
Rosenberg sieht die Dinge in einem völlig anderen Licht. In der katholischen Kirche sieht er eine internationalistische Institution, mit dem Ziel die Nationen und Völker einzuebnen. Eine Meinung, die mit der Zeit sich einer immer größeren Beliebtheit erfreute und dazu geführt hat, dass einige das Christentum in eine Reihe mit der Französischen Revolution und dem Marxismus stellen. Die etlichen Reformationsbestrebungen in Deutschland, insbesondere Meister Eckhart ist hier zu nennen, wertet er als eine Abwehrreaktion der deutschen Seele gegen den Internationalismus. Auch die von Luther losgetretene Reformation bewertet er positiv, auch wenn sie nach Rosenbergs Meinung nicht weit genug ging. Weiterhin spricht sich Rosenberg für eine strikte Trennung von Staat und Kirche aus. Religion sei Privatsache und der Staat habe keine Konfession zu bevorzugen oder zu bekämpfen, solange diese den Staat anerkennen und keine liberalistischen Lehren verbreiten. Der Staat an sich hat keinerlei religiöse Komponente.
Fortschritt und der Faustische Mythos
Neben Evolas ausgeprägtem Streben nach Hierarchie und Ungleichheit ist seine Ablehnung beziehungsweise sein Nicht-Anerkennen des Fortschritts ein weiterer markanter Punkte seiner Philosophie. Er teilt dabei den Fortschritt in zwei Bereiche auf.
Bei der ersten Art des Fortschritts, dem sozialen oder politischen, ist seine Ablehnung nur all zu verständlich. So fanden zwar umfassende Veränderungen in dieser Domäne statt, damit daraus aber Fortschritt wird, muss die Veränderung aber zum Besseren geführt haben. Für Evola, der sein Ideal in den traditionellen Staaten der Vergangenheit sieht, war die Veränderung eine rein negative. Die Entwicklung war stets von einem Abbau von Hierarchien geprägt, von einem Einebnen aller Unterschiede und von einer immer größer werdenden Rolle des Materialismus in allen Dingen des Lebens. Alles Dinge, in denen Evola einen Rückschritt sieht und keinen Fortschritt.
In Bezug auf den technischen Fortschritt sieht es ähnlich aus. Zwar leugnet Evola die Weiterentwicklung der Technik nicht, zweifelt aber an, dass sie dem Menschen wirklich voran gebracht hat. So ist der Mensch immer noch den Naturgewalten und seinen eigenen Trieben ausgeliefert. Weiterhin haben Maschinen nach Evola einen einebnenden Charakter, indem sie jedem, gleich seiner Herkunft, Macht verleihen, ohne ihn auch tatsächlich überlegen zu machen. Überlegenheit bedeutet in diesem Zusammenhang nicht eine Überlegenheit an Macht oder die Fähigkeit Gewalt auszuüben, sondern die der Person innewohnende Überlegenheit, über die wir schon in den vorhergehenden Teilen gesprochen hatten. Evola geht sogar so weit, dass er sagt, die Welt der Maschinen, wie er sie nennt, bringe den Menschen nicht voran, sie schade ihm sogar. Der Mensch richte mehr und mehr sein Leben auf die Bedürfnisse der Maschinen aus und wird dadurch zu deren Untertan.
Die Ablehnung des technischen Fortschritts ist eine, die der Nationalsozialismus nicht mit Evola teilt. Wobei selbstverständlich die Vorstellung, dass die Technik dem Menschen helfen und ihn nicht versklaven sollte, eine ist, die auch im Nationalsozialismus verbreitet war. Immerhin handelt es sich dabei mehr um gesunden Menschenverstand, als etwas Philosophisches. Trotzdem lassen sich damals und heute zahllose Beispiele finden, in denen die Maschine über den Menschen herrscht. In vielen Fällen ist dies aber mit dem Problem des zügellosen Kapitalismus verbunden und kann nicht alleine für sich betrachtet werden. Es sei angemerkt, dass hiermit nicht behauptet werden soll, es hätte keine Nationalsozialisten gegeben, welche Evolas Kritik der Technik teilten. Ganz im Gegenteil, insbesondere in stark völkisch geprägten Kreisen mag es diese gegeben haben. Da der Nationalsozialismus eine gelebte Weltanschauung war, die Millionen von Menschen umfasste, sind abweichende Meinungen einzelner Mitglieder oder kleiner Gruppen, besonders bei eher sekundären Punkten wie diesem, schlichtweg unvermeidlich. Wir wollen hier aber nicht noch einzelne Strömungen mit in Betracht ziehen, da dies den Rahmen sprengen würde. Daher beschränken wir uns auf die offizielle Lehre beziehungsweise auf dass, was im Großen und Ganzen tatsächlich gelebt wurde.
Was den sozialen und politischen Fortschritt angeht, kann man sagen, dass zumindest in der allgemeinen Tendenz nach der NS hier Evola zustimmt. Allerdings werden zum Beispiel von Rosenberg und anderen einige Ereignisse anti-hierarchischer Natur, Bauernaufstände oder die Reformation als tatsächlicher Fortschritt gewertet oder zumindest positiv bewertet. Etwas dem Evola nicht zustimmen würde.
Die faustische Seele oder wie Evola sie nannte „den faustischen Mythos“ trifft ein ähnlich hartes Urteil. Er sieht in ihr schon das Produkt einer dekadenten Zeit, so schreibt er:
„Dem Aufkommen der Maschine schliesst sich im Abendland eng die sogenannte
aktivistische, dem Werden verpflichtete, faustische Lebensauffassung an, die
romantische Begeisterung für alles, was Zwang, Suche, Tragik ist. Die Religion des
Lebens oder, mit Guénon gesprochen, der Aberglaube an das Leben, verstanden als
unersättliche Anspannung, ewiger Durst und ewiger Überdruss, als eine Unruhe, die
von einer Form zur anderen, von einer Sensation zur nächsten, von Erfindung zu
Erfindung hastet, das Besessensein vom Neuen, vom Schaffen, vom Rekord – das alles
bildet den vierten Aspekt des europäischen Übels, einen Zustand, der nun seinem
paroxistischen Höhepunkt entgegengeht.“
Die faustische Lebensauffassung sei eine Erfindung gequälter Seelen, welche aus der Unzufriedenheit mit sich selbst, eine ständige jagt nach Neuem veranstalten. Für eine Elite in seinem Sinne sei ein kühles in sich Ruhen angemessen, welches aus einem vollkommenen Einklang mit sich selbst entspringt. Er schreibt dazu:
„Darin drückt sich keineswegs ein Quietismus oder ein beschauliches „Nirwana“ aus,
sondern das Wissen um das, was wirklich Aktivität ist. Der Begriff ist streng identisch
mit der aristotelischen „unbewegten Bewegtheit“: wer Ursache und Herr der
Bewegung ist, bewegt sich nicht selbst. Er erweckt, befiehlt und leitet die Bewegung, er
lässt tun, aber er tut nicht. Er wird nicht ergriffen und mitgerissen von der Tat, er ist die
unerschütterliche und gelassene Überlegenheit, von der die Tat ausgeht und abhängig
ist. Deshalb kann man seinen machtvollen und unsichtbaren Befehl mit Lao Tse „Tun-ohne-Tun“ (Wei wu Wei) nennen. Ihm gegenüber ist der, der sich bewegt, schon ein
Bewegter, ein Werkzeug, das nicht tut, sondern die Tat erlebt und erleidet. Er erscheint
in diesen Lehren folgerichtig als das weiblich-passive Element angesichts des höheren,
transzendenten und unbeweglichen Prinzips des über die Bewegung Gebietenden.“
Das Evola mit seiner Meinung zum faustische Mythos konträr zum Nationalsozialismus liegt, ist offensichtlich. Die Idee der faustischen Seele ist zentraler Bestandteil der Selbstauffassung des Nationalsozialismus. Daher überrascht es auch nicht, dass die distanzierte unbewegte Haltung die Evola beschreibt, auch nicht vom Nationalsozialismus vertretenen wird. Im Nationalsozialismus kommt der Tat ein hoher Stellenwert zu, nicht nur für die unteren, sondern auch für die oberen Schichten.
Damit endet der vorletzte Teil, im nächsten Teil betrachten wir noch Evolas Auffassung vom Wert der Arbeit und seine Konzeption einer Moral für eine Zeit des Niederganges.