Ein Sturm im Wasser Glas erhitzt das Feuilleton dieser Republik. Es hagelt Distanzierungen, wütende Journalisten verlangen Erklärungen, Rechtfertigungen erscheinen und werden nicht akzeptiert. Was passiert ist? Seit mehr als 15 Jahren veröffentlicht NDR Kultur in Zusammenarbeit mit der Süddeutschen Zeitung und dem Börsenblatt des Deutschen Buchhandels die Empfehlungen der „unabhängigen“ Jury „Sachbücher des Monats“. Dieser Jury gehören sowohl Wissenschaftler sowie Autoren und Redakteure großer Medienkonzerne an. Am vergangenen Freitag passierte dann das, was nicht hätte passieren dürfen: Mit Finis Germania, erschienen im Antaios Verlag, landete ein Buch auf Platz 9, das so gar nicht dem linken Zeitgeist entspricht. Nach der prompt einsetzenden Hexenjagd bekannte sich, auf Aufforderung, schließlich der Spiegel-Redakteur Johannes Salzwedel dazu, für das Buch gestimmt zu haben. Inzwischen trat er aufgrund des medialen Drucks aus dem Gremium aus. „Mit der Empfehlung des Buches ‚Finis Germania‘ von Rolf Peter Sieferle habe ich bewusst ein sehr provokantes Buch der Geschichts- und Gegenwartsdeutung zur Diskussion bringen wollen. Sieferles Aufzeichnungen sind die eines final Erbitterten, gewollt riskant formuliert in aphoristischer Zuspitzung. Man möchte über jeden Satz mit dem Autor diskutieren, so dicht und wütend schreibt er. Ich wollte durch meinen Vorschlag auf keinen Fall das Renommee der Sachbuch-Bestenliste beschädigen und bedaure sehr die Verwerfungen, die sich daraus ergeben haben. Deshalb habe ich mich entschieden, aus der Jury auszutreten“, sagte der Journalist im Spiegel, der umgehend „in eigener Sache“ eine Distanzierung von der Wahl seines Mitarbeiters veröffentlichte. „Ich habe nach der Lektüre der wesentlichen Kapitel kein Verständnis dafür, dass der Kollege Saltzwedel dieses Buch empfohlen hat„, erklärte sein Chefredakteur Klaus Brinkbäumer im gleichen Artikel, „und wegen des entstandenen Schadens begrüße ich seinen Rücktritt aus der Jury.“ Es darf nun mal nicht sein, dass die linke Kulturhegemonie herausgefordert wird. Dass die Aufregung darüber ausgerechnet von einem Linksradikalen Journalisten der „Taz“ angestoßen wurde, ist nicht weiter verwunderlich. Das bisherige Ergebnis des „Skandals“: Das Buch belegt inzwischen Verkaufsplatz Nr. 1 beim Internet-Händler Amazon. Doch worüber eigentlich die Aufregung? Warum sorgt das kleine Büchlein für solch einen Hass? Rolf Peter Sieferle, Kultur-und Geschichtsphilosoph, hat das Buch in seinem Nachlass hinterlassen, nachdem er vor zwei Jahren in den Freitod ging. Das nicht immer leicht verständliche Buch behandelt eine kulturpessimistische Betrachtung der deutschen Lage: Die Deutschen haben aufgehört, ein schicksalshaftes Volk zu sein, genauso wie sie die Politik aufgegeben haben und stattdessen reine Systeme an die Stelle gesetzt haben. Beherrscht werden sie von kulturlosen Kleinbürgern, der menschlichen Personifizierung des sozialdemokratischen Geistes der versucht, alle Differenzen, alle Unterschiede in einer alles erdrückenden Gleichheit zu begraben. Doch das, was den irrationalen Hass herausfordert, ist nicht etwa nur ein Angriff auf den linken Gleichheitswahn. Sieferle kritisiert den geschichtlichen Umgang mit Auschwitz, als neue Religion in einer ansonsten völlig rationalisierten Welt. Oder wie er es selber schreibt: „Der Nationalsozialismus, genauer Auschwitz, ist zum letzten Mythos einer durch und durch rationalisierten Welt geworden. Ein Mythos ist eine Wahrheit, die jenseits der Diskussion steht. Er braucht sich nicht zu rechtfertigen, im Gegenteil: Bereits die Spur des Zweifels, die in der Relativierung liegt, bedeutet einen ernsten Verstoß gegen das ihn schützende Tabu. Hat man nicht gar die „Auschwitzlüge“ als eine Art Gotteslästerung mit Strafe bedroht? Steht hinter dem Pochen auf die „Unvergleichlichkeit“ nicht die alte Furcht jeder offenbarten Wahrheit, daß sie verloren ist, sobald sie sich auf das aufklärerische Geschäft des historischen Vergleichs und der Rechtfertigung einläßt? „Auschwitz“ ist zum Inbegriff einer singulären und untilgbaren Schuld geworden.“ Kein Wunder dass die herrschenden Meinungswächter Schnappatmungen bekommen, auch wenn sie in ihren Hasstiraden dem feingeistigen Sieferle nicht gewachsen sind. „Worin kann die Lehre aus Auschwitz eigentlich bestehen? Daß der Mensch, wenn er die Gelegenheit dazu findet, zum Äußersten fähig ist? Wer dazu Auschwitz benötigt, möge dies daraus lernen. Oder daß in der technischen Moderne moderne Technik zum Massenmord eingesetzt wird? Wen dies überrascht, der möge es aus Auschwitz lernen. Oder ist es die schiere Zahl der Opfer, die ominösen sechs Millionen? Also etwas fürs Guiness-Buch der Rekorde? Aber Vorsicht, Rekorde sind dazu da, gebrochen zu werden!
Oder ist das wirklich Lehrreiche an Auschwitz der manifeste Zusammenbruch des Fortschrittsglaubens, also die Einsicht, daß so etwas „noch im 20. Jahrhundert“ geschehen konnte? Also die endgültige Ernüchterung, nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem Gulag unwiderrufbar: Das „Projekt der Moderne“ ist ein für allemal gescheitert? Was seit jeher geschehen ist, wird weiterhin geschehen. Es gibt keine irreversible Entwicklung der Moral, nur ein ewiges Auf und Ab“, heißt es weiter in dem Werk. Dass Sieferle dieses Werk erst posthum veröffentlicht ließ, ist nicht weiter verwunderlich, nannte ihn doch bis vor Kurzem sogar die „Süddeutsche Zeitung“ noch einen „unerschrockener, immer rationaler Denker“ und auch die Universität St. Gallen lobte ihn als „universalen Denker und sympathischen Kollege“. Nun zeigte sich Sieferle auch als scharfer Beobachter der Lage, der pointiert, teilweise zynisch, die aktuelle Situation analysiert. Pessimismus ist dabei aber die falsche Schlussziehung, keineswegs ist es so, als wäre – in Anlehnung an den Titel – Germania bereits am Ende. Der Kampf für seine Rettung hat weiterzugehen, Sieferle hat mit der Sprengung eines der Kapillargefäße der linken Kulturhegemonie einen Teil dazu beigetragen.
Bestellt werden kann das 104 Seiten lange, kleine Büchlein zum Preis von 8,50€ hier .