Warum überhaupt technischer Fortschritt
Betrachtet man die oben beschriebene Problematik sowie die Exzesse und Probleme der modernen Welt, mag man geneigt sein, den Sinn und Zweck des technischen Fortschritts in Frage zu stellen. Einige mögen sogar so weit gehen und versuchen, den Fortschritt an sich zu stoppen. Ob dies überhaupt möglich ist, ist eine Frage für sich, im Folgenden möchten wir aber zwei praktische Punkte umreißen, die zeigen sollten, dass ein solcher Kurs für uns nicht infrage kommen kann.
Der erste Punkt entspringt ganz banalen militärischen Überlegungen. Fortschritt bedeutet natürlich auch immer Fortschritt in der Rüstungstechnik, würde man diesen stoppen, wäre man in wenigen Jahrzehnten nicht mehr in der Lage, sich gegen die Aggressionen eines technisch hochgerüsteten Gegners zu verteidigen. Weiterhin bietet eine entsprechend hoch technisierte Wirtschaft einen höheren Ausstoß an Rüstungsgütern und benötigt weniger Personal, was bedeutet, dass mehr potenzielle Soldaten zur Verfügung stehen.
Dieser Gesichtspunkt allein sollte genügen, jeden romantischen Gedanken an eine Rückkehr zur Natur zu beseitigen. Doch es gibt noch einen weiteren, nämlich dass der Fortschritt dem faustischen Menschen etwas zurückgeben könnte, das er scheinbar verloren hat. Diese Idee wäre einer eigenen Betrachtung wert, wir wollen sie hier jedoch nur kurz umreißen und ohne sie zu bewerten, im Raum stehen lassen. Dem Leser sei überlassen, was er von ihr hält.
Unsere Überlegung beginnt bei dem, was Oswald Spengler in „Untergang des Abendlandes“ darlegte. Spengler behauptet, vereinfacht gesagt, dass der faustische Mensch seine ihn antreibende Idee erschöpft habe und nun langsam den Tod der Lethargie sterben werde. Die den faustischen Menschen antreibende Idee sei dabei der Drang zum Erkunden des Unbekannten und die Sehnsucht nach dem Unendlichen. An Spenglers Ideen mag einiges auszusetzen sein, doch betrachtet man sich den Zustand der europäischen Kultur, kann man nicht leugnen, dass ihr tatsächlich der Antrieb einer großen Idee zu fehlen scheint.
Während Spengler davon ausging, dass man die aufgebrauchte Idee nicht durch eine neue ersetzen und ihr auch kein neues Leben einhauchen könne, vertrat ein Autor aus den USA die Meinung, dass dies sehr wohl möglich sei. Die Rede ist von Francis P. Yockey, der in seinem Buch „Imperium“ erklärte, dass Fortschritt und Technik die Rolle von dem einnehmen könnten, was einmal beispielsweise die klassischen Künste waren. Insbesondere hebt er hervor, dass der faustische Mensch in der Erforschung des Weltraums seine ultimative Aufgabe gefunden hätte, welche ihn mit unermesslichem Tatendrang erfüllen müsse.
Denkt man an die allgemeine Technikbegeisterung der Massen heutzutage, könnte an diesen Worten durchaus etwas dran sein, auch wenn mit Sicherheit ein Großteil dieser Begeisterung darauf zurückzuführen ist, dass die Massen versuchen, ihr belangloses und von Langeweile geplagtes Leben mithilfe technischer Spielereien aufzuhellen. Davon einmal abgesehen, findet man in Ingenieurskreisen jedoch teilweise eine Beziehung zu der entwickelten Technik, die nicht unähnlich derer ist, die ein Maler mit seinem Gemälde verbindet. Auch findet man in diesen Kreisen eine Begeisterung für Raumfahrt, die jeglicher rationalen Logik widerspricht und nur mit dem faustischen Drang, das Unbekannte zu erforschen, erklärt werden kann.
Zuletzt möchten wir noch auf das Argument eingehen, dass der Fortschritt zu Abhängigkeiten führen würde. Ein Einwurf dieser Art könnte beispielsweise sein, dass heute viele Menschen ihre Lebensmittel nicht selbst anbauen könnten und deswegen auf Supermärkte angewiesen sind, um nicht zu verhungern. Allgemein gesprochen zielt dieses Argument darauf ab, dass wir heute viele technische Hilfsmittel verwenden oder sogar benötigen, um dieses oder jenes zu tun, und dass, sollten diese Dinge versagen, die Menschen praktisch nicht mehr lebensfähig wären.
Auf der einen Seite ist dieser Einwand natürlich korrekt. Unsere moderne Welt ist ein hochkomplexes System und einige dieser Systeme sind so kritisch, dass ihr Versagen den Zusammenbruch des Rests nach sich ziehen könnte. Auf der anderen Seite ist es jedoch äußerst fragwürdig, anzunehmen, dass die Zivilisation Westeuropas von heute auf morgen zusammenfällt und die Menschen wieder ein Leben, wie in der Antike führen müssten. Es wären schon außerordentliche Umstände nötig, wie die vollständige Funktionsuntüchtigkeit aller elektronischen Geräte, um eine derartige Katastrophe auszulösen. Höher entwickelte menschliche Gesellschaften benötigen nun einmal Annahmen, auf die sie aufbauen können, wer die Abhängigkeiten, die solche Annahmen mit sich bringen, konsequent eliminieren wollte, müsste sich für eine Rückkehr zur Gesellschaft der Jäger und Sammler aussprechen, was nun niemand ernsthaft vor hat.
Man sollte zudem bedenken, dass der Fortschritt auch Sicherheiten geschaffen hat. So wird beispielsweise eine schwere Missernte zu keinen Hungersnöten mit Hunderttausenden von Toten mehr führen, sondern schlimmstenfalls den Preis der Brötchen ein wenig nach oben treiben.
So sehr wir hier den Pessimismus einiger Menschen getadelt haben, wollen wir damit keine sinnvolle Krisenvorsorge oder berechtigte Vorsicht in Abrede stellen. So ist beispielsweise die heute Just-in-time Lagerhaltung kritisch zu sehen, da schon kleinere Störungen zu Problemen führen können. Ein anderes Beispiel wären hochgradig vernetzte Produktionsanlagen (Industrie 4.0) oder auch autonome vernetzte Fahrzeuge, welche äußert verwundbar gegenüber Hackern sind.
Wie in vielen Dingen kommt es hier auf das richtige Maß und ein vorsichtiges Abwiegen der Vor- und Nachteile an.
Teil 3 folgt …