Deutscher Sozialismus und Digitalisierung: Synthese – Teil 5/9

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Selektive Automatisierung, Deindustrialisierung und Arbeit als Berufung

Die ersten beiden Punkte – selektive Automatisierung und Deindustrialisierung – sind so eng miteinander verbunden, dass wir sie zusammen diskutieren wollen. Der Grundgedanke hinter der selektiven Automatisierung ist es, „Arbeit“ zu eliminieren und Raum für „Berufung“ zu schaffen. Unter Arbeit verstehen wir dabei die Tätigkeiten, die einzig und allein dazu ausgeführt werden, um materielle Bedürfnisse zu sichern. Eine Tätigkeit, die man aufgrund einer Berufung ausführt, hat dagegen eine höhere Komponente und geht damit über das rein Materielle hinaus, was jedoch nicht ausschließt, dass durch ihre Ausübung materielle Bedürfnisse befriedigt werden.

Dass wir als eine Partei, die sagt „Arbeit adelt“, eine solche Unterscheidung vornehmen und sogar vorschlagen „Arbeit zu eliminieren“ mag als Widerspruch erscheinen, doch dem ist nicht so. Zum einen werden im allgemeinen Sprachgebrauch „Arbeit“ und „Beruf“ meistens austauschbar verwendet, obwohl sie dies keineswegs sind. Zum anderen gilt es festzustellen, dass nicht jede Arbeit adelt. Wenn wir sagen, dass Arbeit adelt, dann meinen wir, dass sie den Menschen wachsen lässt, ihn formt und weiterentwickelt. Nicht jede Arbeit tut dies jedoch. So wird beispielsweise ein Arbeiter an einem Fließband nicht voller Stolz auf sein Tageswerk zurückblicken, ein Schreiner oder jeder andere Handwerker dagegen schon. Anstatt ein kleines Rädchen einer seelenlosen Maschine zu sein, steht er selbst als Individuum im Zentrum seiner Arbeit. Anstatt einen einzigen Handgriff an Hunderten von identischen Produkten endlos zu wiederholen, schafft er ein Unikat, sieht, wie es über einen langen Zeitraum langsam seine Form annimmt und schließlich vollendet vor ihm steht. Nur er hat es geschaffen, sein Können allein bestimmt die Qualität seiner Arbeit. Er wird erleben, wie seine Fähigkeiten über die Jahre wachsen und das Privileg haben, sie als Meister an die nächste Generation weiterzugeben. Durch all dies entwickelt er eine persönliche Beziehung zu seiner Tätlichkeit, sie wird zu etwas, was ihn definiert und somit zu einem Eckpfeiler seines Lebens. Sein Tun ist dadurch nicht mehr Arbeit, sondern Berufung, sein Handwerk keine einfache Abfolge von Handgriffen, sondern eine Kunst. Eine derartige Beziehung zum eigenen Beruf zu entwickeln, ist natürlich nicht nur auf das klassische Handwerk beschränkt, nichts hält einen Lehrer oder Ingenieur davon ab, das Gleiche zu tun. Da das Beispiel des Handwerkers jedoch am anschaulichsten ist, wollen wir es im Folgenden weiter verwenden. Dem Fließbandarbeiter bleibt dies verwehrt, seine Arbeit ist zu unpersönlich, als dass sie sinnstiftend sein könnte, zu monoton und einfach, als dass sie irgendeine Art der Weiterentwicklung erlauben würde.

Mit der selektiven Automatisierung soll Arbeit, wie die des Fließbandarbeiters von Maschinen übernommen werden, im Gegenzug jedoch Arbeit, wie die des Handwerkers gefördert und in ihre alte Reinform zurückgeführt werden. Letzteres ist von Bedeutung, da viele der klassischen Handwerksberufe einen industriellen Charakter angenommen haben, den es durch gezielte Deindustrialisierung zu eliminieren gilt, um somit den ehemals „künstlerischen“ Charakter dieser Berufe wieder ins Zentrum zu rücken.

Das Ziel der selektiven Automatisierung ist es also nicht, die Arbeit an sich abzuschaffen, sondern sie viel mehr auf eine höhere Stufe zu heben und den künstlerischen Aspekt, welcher jeder nicht trivialen Tätigkeit eigen ist, hervorzuheben.

Ermöglicht wird dies dadurch, dass bestimmte Berufe in gewisser Weise außerhalb oder neben der „eigentlichen“ Wirtschaft stehen und somit eine Entschleunigung des Arbeitens möglich wird. Damit ist gemeint, dass, wenn die Arbeitskraft des Menschen nicht mehr unbedingt notwendig ist, um die Bedürfnisse der Gesellschaft zu stillen, erstens mehr Menschen für die noch verbleibende Arbeit zur Verfügung stehen, wodurch die Last verteilt wird, und zweitens kein Grund mehr besteht, die Arbeit unter einem so hohen Druck auszuführen, wie es heute teilweise der Fall ist. Wir wollen niemandem einen Freischein zum Faulenzen ausstellen und ein wenig Druck im richtigen Moment kann durchaus einen positiven Effekt auf den Menschen haben. Zuviel und permanenter Druck jedoch nicht. Nicht ohne Grund avanciert das Burn-out-Syndrom zur Volkskrankheit, da die Belastungen, insbesondere die psychischen, in den Unternehmen steigen, welche sich ihrerseits von einer größer werdenden Zahl ausländischer Konkurrenten unter Druck gesetzt fühlen. Dies ist der Grund, warum wir die Annahme aufstellten, Deutschland werde sich aus der globalen Wirtschaft lösen. Denn nur ein solches Herauslösen gibt uns die Freiheit, unsere Arbeitswelt menschenwürdig zu gestalten.

Wenn also nun Dinge, wie der heutzutage allgegenwärtige Termindruck, in meistens viel zu knapp kalkulierten Projekten, wegfällt, verliert die Arbeit viel von ihren „Übeln“, die so manchem motivierten Berufsanfänger die Lust an dieser nahmen. Durch diese Entschleunigung könnte ein viel größerer Fokus auf Qualität und der Weiterentwicklung des Einzelnen in seinem Beruf liegen.

Weiterhin könnten Dinge wie Schichtarbeit, welche massiv in das Familienleben eingreift und durch den unnatürlichen Rhythmus die Gesundheit angreift, der Vergangenheit angehören.

Ein Tischler bei der Arbeit.

 

Wir möchten ein konkretes Beispiel anführen, um zu verdeutlichen, was unter selektiver Automatisierung und Deindustrialisierung zu verstehen ist. Es geht dabei nicht um die Details und es ist bewusst einfach gehalten, da es hier nur um die grundlegende Idee geht.

Für unser Beispiel ziehen wir die Holzverarbeitenden Berufe des Tischlers und Zimmermanns heran. Was die Produkte angeht, die man aus Holz herstellt, können wir diese für unsere Zwecke grob in zwei Kategorien einteilen. Die erste Kategorie umfasst Produkte, die man als Massenware ansehen kann und bei denen kein Grund besteht, sie zu individualisieren. Hierzu zählen große Teile von Bauwerken wie Dachsparren oder auch Verkleidungen, sprich Dinge, bei denen es nicht um eine besondere Ästhetik geht, sondern es mehr auf einheitliche Maße und eine möglichst hohe Gleichförmigkeit ankommt. Bei der Herstellung solcher Dinge ist es verständlicherweise nicht gewünscht, dass der Handwerker eine, nennen wir es persönliche Note, mit einfließen lässt, dementsprechend bietet sich hier auch kein Raum für eine Selbstentfaltung und die relative Einfachheit der Produkte liefert auch nur wenig Raum für eine Steigerung des eigenen Talentes.

Bei der zweiten Kategorie ist dies anders. Sie umfasst Gegenstände, wie Möbel oder jede Art von Sonderanfertigungen, also Dinge, die mehr als Mittel zum Zweck sind und daher gewissen ästhetischen Ansprüchen genügen sollen. Bei diesen Dingen kann sich ein Handwerker durchaus einen gewissen Freiraum lassen, in dem er seine Kreativität einbringen kann, und die eher komplexe Natur der Endprodukte erlaubt viel Raum zur persönlichen Entwicklung. Eine selektive Automatisierung würde nun die Produkte der ersten Kategorie vollständig in die Hand von Maschinen legen, während die der zweiten Kategorie von Menschen hergestellt werden würden, womit man deren Produktion deindustrialisieren würde. Durch diese Sonderstellung bestimmter Produkte wäre es zudem möglich, einige Berufe, die eher ein Schattendasein führen, wieder populär und vor allem praktikabel zu machen.

So, wie wir dies hier beschrieben haben, wäre zumindest der Idealfall, doch stellen sich hier drei problematische Fragen, die wir nicht ignorieren können.

Teil 6 folgt…

 

Teil 1

Teil 2

Teil 3

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