Ein differenzierter Blick auf Chinas Sozialpunktesystem – Teil 3/5

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Mehr als Zuckerbrot und Peitsche

Wenn es darum geht, ein bestimmtes Verhalten herbeizuführen oder auszuschalten, geschieht dies meist durch Strafen oder Belohnungen. Das chinesische Sozialpunktesystem stellt oberflächlich betrachtet hier keinen Unterschied dar, doch in Ansetzen verfügt es über eine weitere, als „Gamification“ bekannte, Ebene, die wir an dieser Stelle ein betrachten wollen.

Gamification, was man als Spielifizierung übersetzen könnte, ist ein Begriff, welcher erst seit einigen Jahren im Gebrauch ist und beschreibt die Anwendung von spieletypischen Konzepten (in fast allen Fällen Computerspiele) auf andere Bereiche. Das Ziel von Gamification ist durch verschiedene Techniken zusätzliche Motivation beim Durchführen einer eigentlich reizlosen Aufgabe zu schaffen oder bestimmte Verhaltensweisen zu fördern. Hierunter fallen Dinge wie Fortschrittsanzeigen, Ranglisten, Rückmeldungen über Erfolg oder Quests, im Umfang begrenzte Aufgaben. Der Hintergrund einiger dieser Techniken besteht darin, der ausführenden Person ein unmittelbares Erfolgserlebnis zu bieten. Andere sprechen den persönlichen Ehrgeiz an oder versuchen die Aufgabe in einen größeren Kontext einzubetten und ihr somit zusätzliche Bedeutung verliehen wird.

Beispiele aus der Praxis wären Belohnungen in Form von Medaillen oder Titeln, die Foren wie Stack Overflow anhand der Aktivität von Mitgliedern ausgeben oder Lernspiele für Kinder aber auch Erwachsene, wie das von SAP eingesetzte Roadwarrior. Dass eine ganze Reihe namhafte Unternehmen dieses Konzept für sich entdeckt haben, ist ein guter Indikator dafür, dass es sich hierbei um nichts an den Haaren Herbeigezogenes handelt.

Gamificaton und deren Erfolg mag man daher in Teilen auf die Verkindlichung unserer Gesellschaft zurückführen sein. Gleichzeitig spricht sie aber ewige und tief im Menschen verankerte Wesenszüge an, weshalb man die Grundidee, auch wenn ihr der Gestank der Moderne anhängt, nicht einfach verwerfen sollte. Weiterhin gilt es zu bedenken, dass der Begriff „Gamification“ neu sein mag, das Konzept, was sich hinter ihm verbirgt, jedoch nicht. So kommen Kinder nicht selten mit Ideen auf, wie sie eine eigentlich unliebsame Aufgabe, die man ihnen aufgetragen hat, zu einem Spiel machen kann. Alternativ kann dies auch durch die Eltern geschehen. Bei Kindern mag dies am offensichtlichsten sein, aber auch bei Erwachsenen kann man Ähnliches beobachten. Ein spontaner Wettbewerb in einer ansonsten monotonen Aufgabe ist, was die Intention angeht, nichts anderes als das erfundene Spiel von Kindern. Insbesondere, wenn wir das hinzunehmen, was wir gleich über die Unterschiede zwischen negativer und positiver Motivation diskutieren werden, könnte sich hier ein wirksames Werkzeug verbergen.

Die Stoßrichtung des SkS sollte stets die Belohnung sein und nicht die Strafe, denn der Mensch muss dazu erzogen werden, denn Erfolg zu suchen und nicht lediglich Misserfolg oder Unangenehmes zu vermeiden. Ersteres schafft Männer und Frauen der Tat, mit Eigeninitiative und Entschlusskraft. Solche Menschen wünschen wir uns für unser Volk. Ein SkS soll helfen den Menschen zu erheben, ihm selbst dabei unterstützen etwas Besseres zu werden. Strafe als korrigierendes Mittel ist hierzu ab und an nötig, was sie nicht soll, ist ihm am Boden zu halten. Genau dies können Strafen bezwecken, wenn sie zu freigiebig verteilt und zu drakonisch sind. Wenn die Eigeninitiative, die selbstverständlich vielleicht auch ohne böse Absicht, zu etwas Unerwünschtem führt, vor der Angst vor Strafe begraben wird, erzieht man den Menschen zur Passivität und zwingt ihn zum Rückzug in die Geborgenheit der Anspruchslosigkeit.

Weiterhin schafft die Abwesenheit von Strafen oder als unangemessen empfundener Umstände, keine zufriedenen, sondern lediglich nicht unzufriedenen Menschen. Erst Dinge, die über das, was als das Mindestmaß empfunden wird, hinausgehen schaffen zufriedene Menschen. Ähnliches wurde schon durch Frederick Herzberg im Arbeitsumfeld festgestellt und ist als Zwei-Faktoren-Theorie bekannt. „Nicht zufrieden“ und „unzufrieden“, mögen an dieser Stelle wie ein und dasselbe klingen, doch so, wie die Begriffe hier verwendet werden, sind sie es nicht. Unzufrieden sein, bedeutet in diesem Kontext, aktive unzufrieden zu sein, das heißt, dass Vorhandensein eines Zustandes der Unzufriedenheit auslöst. Nicht zufrieden zu sein, bedeutet dementsprechend, die Abwesenheit eines Zustandes, der Zufriedenheit auslöst. Somit sind drei Zustände in Bezug auf das Innenleben des Menschen möglich. Positiv, Negativ und Neutral.

Zwei-Faktoren-Theorie nach Herzberg (Bildquelle: Grap / wikipedia.org)

 

Während nicht zufriedene Menschen keine unmittelbare Bedrohung für die Ordnung darstellen, können unzufriedene Menschen sehr wohl eine Gefahr darstellen, wenn innere oder äußere Agitatoren sich diesen bedienen können. Aber auch unter wenigen dramatischen Umständen kann der Unterschied zwischen Unzufriedenheit und der Abwesenheit von Zufriedenheit, ausschlaggebend für die Akzeptanz des SkS in der breiten Bevölkerung machen. Mit anderen Worten: Das SkS sollte als etwas wahrgenommen werden, das eher Belohnungen und nicht Strafen verteilt.

Beim Thema Belohnungen und Strafen müssen wir noch einmal auf das chinesische Modell des SkS zurückkommen, da es hier einige Punkte gibt, die derart unseren Vorstellungen widersprechen, dass wir sie nicht unerwähnt lassen können.

Wir werden später noch einmal auf die Problematik sehr harter Strafen zu sprechen kommen, an dieser Stelle reicht es jedoch festzustellen, dass das chinesische System einige dieser zu bieten hat. Darunter fallen beispielsweise Einschränkungen der Bildungsmöglichkeiten, schlechtere Chancen einen Kredit zu erhalten oder die Gefahr bei einer Beförderung übergangen zu werden. „Gute“ Bürger erhalten dagegen in diesen Bereichen Vorteile.

Spätestens hier merkt man auch dem modernen China seine Kommunistische Wurzeln an. Berufe und Posten nach irgendwelchen, nur nicht fachlichen, Kompetenzen zu vergeben, war schon immer ein Steckenpferd kommunistischer Regime und führte immer und überall zum gleichen Ergebnis: totalem Versagen.

Während man noch für Dinge wie bessere Kredite argumentieren könnte, muss bei Bildung oder Beruf, von ganz wenigen kritischen Ausnahmen einmal abgesehen, die Qualifikation der alleinige ausschlaggebende Faktor sein. Alles andere würde gegen unsere meritokratischen Grundsätze verstoßen.

Eine weitere relativ neue Entwicklung, die im Zusammenhang zu dem, was für über die auf Erfolg gerichtete Erziehung des Menschen sagten von Interesse ist, ist dass, zum großen Entsetzen der Gleichheitsfetischisten, durch die von Technik, Effizient denken, Zahlen und Fakten dominierte moderne Welt, ein Drang zur Selbstoptimierung in einige Bereiche der Jugendkultur und der Gesellschaft im allgemeinen Einzug erhalten hat. Diese neue Form des Elitismus steht im krassen Gegensatz zur Gammelkultur und Emotionalität der letzten beiden Generationen. Nichts zu leisten und sich um nichts zu kümmern, ist nicht länger das Zeichen einer „coolen“, rebellischen Jugendkultur, sondern der Geist der Unterschicht, deren Abgründe man täglich auf RLT II bewundern kann.

Im krassen Gegensatz zur kulturbolschewistischen Propaganda von „Fat acceptance“ und „beauty comes in all sizes“, erleben wir das Aufkommen eines neuen Körperkultes, dessen Ziel nichts Geringeres als Perfektion ist. Leistung und Fortschritt sind keine nebulösen Begriffe, sondern wollen mit Apps und Fitnessarmbändern erfasst, quantifiziert und nachverfolgt werden. Ziele werden aufgestellt und bis auf die dritte Nachkommastelle hin überwacht. Man will sich nicht länger schönen Illusionen und Gefühlen hingeben, nur noch Fakten zählen: Kennwerte, Messreihen und Statistiken. Sie sind das Maß aller Dinge, erlauben den Vergleich mit Anderen und zeigt die eigene Entwicklung.

Im Sport tritt diese Entwicklung am deutlichsten zutage, doch auch in anderen Lebensbereichen, kann man ihren Einfluss sehen. Während die Hippiegeneration nur in den Tag hinein leben wollte, plant man heute alles auf die Minute genau im Voraus, selbst Freizeit und Erholung sind Zeitfenster in der Wochen- und Monatsübersicht. Auch Umweltschutz ist über seine naive und gefühlsgeladene Anfangszeit hinausgewachsen und heute von technischen Konzepten wie Energieeffizienz, Wirkungsgrad CO2 pro Kilowattstunde bestimmt.

Wir leben im Informationszeitalter und dementsprechend verlangt es uns danach alles zu erfassen, auszuwerten und zu verbessern. Was die Statistiken aus dem Fitnessarmband für die Leistungsfähigkeit sind, ist der Punktestand des SkS für das Sozialverhalten. Ein weiterer Wert, den es im Streben nach dem niemals zu erreichendem Maximum nach oben zu treiben gilt. Das Steigern dieses Wertes, das Erreichen eines persönlichen Bestwertes und den besten Rang im Bekanntenkreis zu haben, wird an sich schon zur Belohnung.

Daher mag man sich heute noch darum Sorgen, dass ein SkS Unmengen an teils sensiblen Daten sammeln würde, doch für zukünftige Generationen könnte Bedenken dieser Art, wenn auch von praktischer Relevanz, auf emotionaler Ebene, im Vergleich zum Verlangen Aufschluss über den eigenen „sozialen Wert“ zu erhalten, zur Nebensächlichkeit werden.

Damit kommen wir als Nächstes zu der schon zuvor aufgeworfenen Frage, welche Entscheidungen und Lebensbereiche überhaupt von staatlichem Interesse sind und daher von ihm einer Kontrolle unterworfen werden sollten.

Teil 4 folgt in wenigen Tagen…

 

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