Bolsonaro ist indes ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt. Als er noch im Kongress tätig war, stellte er seine Frau als Sekretärin an, die über die nächsten zwei Jahre nicht nur unüblich oft befördert wurde, sondern deren Gehalt sich mehr als verdreifachte. Das Oberste Gericht schaltete sich schließlich in die Sache ein und entschied, dass es sich bei der Beschäftigung um illegale Vetternwirtschaft handelte, und zwang Bolsonaro seine Frau zu entlassen. Es ist also zu befürchten, dass seine Versprechen der Korruption im Land ein Ende zu setzen vielleicht mehr auf populistischem Kalkül als auf echten Überzeugungen gründete.Für Letzteres spricht jedoch seine Ankündigung den prominenten Korruptionsermittler und Richter Sergio Moro, der bereits den Ex-Präsidenten Lula verurteile, zum Justizminister zu machen. Es bleibt also abzuwarten, welche Taten Bolsonaro auf seine großen Versprechen in dieser Hinsicht folgen lässt. Ein ähnlich schwieriges Verhältnis zu seinen nach außen propagierten Zielen scheint Bolsonaro auch in Bezug auf traditionelle Werte zu haben. So ist er mittlerweile mit seiner dritten Frau verheiratet, verspricht jedoch die traditionellen Familienwerte schützen zu wollen, was ihn die Unterstützung der etlichen erzkonservativen Freikirchen Brasiliens einbrachte. Auch hier stellt sich also die Frage, wie viel Ehrlichkeit hinter dieser Bekundung steht.
Eine dritte Möglichkeit, die jedoch noch im Raum steht, ist, dass es sich bei Bolsonaro lediglich um die Marionette anderer Interessengruppen handelt, die ihm seine Themen mehr oder weniger vorgeben. Seine Beziehung mit Paulo Guedes könnte bereits auf ähnliche Weise interpretiert werden, wobei es sich bei ihm auch immer noch um einen lediglich sehr einflussreichen Berater handeln könnte.
Die Vermutungen, die andere äußern, darunter RT in Berufung auf diverse lokale Medien, gehen jedoch noch weiter und legen nahe, dass Bolsonaro ein Instrument des Militärs zur Einflussnahme auf die Politik sei. Diese Vermutung ist wie folgt:
Bereits 2014 beschlossen ranghohe Militärs jemanden der ihre Interessen vertritt zur Präsidentschaftswahl aufzustellen. Diese bestehen in einem politischen Konservatismus, der Einbindung des Militärs in das politische System, Wirtschaftsliberalismus und die Ausmerzung der politischen Linken, also genau das, was auch Bolsonaro vertritt. Zunächst zweifelte man jedoch an Bolsonaros Eignung für den Posten, da er während seiner militärischen Laufbahn mehrfach disziplinarisch bestraft wurde und sein Umfeld ihn als „intrigant“ und „feige“ charakterisierte. Ungeachtet dessen entschied man sich am Ende trotzdem für ihn, was sich als richtig herausstellte, da Bolsonaro die politischen Vorschläge des Militärs akzeptierte und sogar seine Ansichten änderte, womit unter anderem sein Wechsel vom Wirtschaftsnationalismus zum Liberalismus gemeint ist. Auch die Heirat mit seiner dritten Frau sei auf Anraten des Militärs geschehen, um Bolsonaros Privatleben in Ordnung zu bringen.
Bis jetzt handelt es sich bei all dem um Behauptungen, die nicht zu verifizieren sind, doch passt das Bild, das sie von Bolsonaros Charakter zeichnen nur all zu gut zu seinen bisherigen Handlungen. Bolsonaro scheint demnach eine Person zu sein, die vielleicht mehr von politischem Opportunismus als echten Überzeugungen geleitet ist und sich bereitwillig neu ausrichtet, wenn es zu seinem Vorteil ist. Im Falle Guedes war des ebenso, denn er machte Bolsonaro den Reichen des Landes schmackhaft, die zwar die linke Umverteilungspolitik fürchteten, jedoch auch nicht von Bolsonaros „Säuberungen“ betroffen sein wollten. Guedes nahm ihnen die Angst vor Letzteren, weshalb auch sie am Ende auf Bolsonaro setzten.
Weiter untermauert wird diese Theorie von der offensichtlichen Nähe Bolsonaros zum Militär. So erklärte der Vier-Sterne-General Augusto Heleno im Magazin Época, dass schon seit längerer Zeit eine Gruppe von Generälen der Reserve bestehe, die sich mehrmals in der Woche trifft, um Tischvorlagen für Bolsonaros Regierung zu erarbeiten.
Aber auch Bolsonaro macht aus seinen Verbindungen zur Armee kein Geheimnis. Schon vor der Wahl erklärte er in einem Fernsehinterview, dass im Falle eines Sieges seiner Gegner schon ein kleiner Fehler auf deren Seite ausreichen würde, um die Streitkräfte zum Einschreiten zu bewegen. Sein Sohn Eduardo Bolsonaro sagte seinerseits, dass man einfach ein paar Soldaten zum Obersten Bundesgericht schicken könnte, um dieses zu schließen und die Richter festzunehmen, sollten diese die Kandidatur Bolsonaros verhindern. Es ging dabei um möglicherweise illegale Wahlkampfspenden. Auch Bolsonaros Vize, der pensionierte Armeegeneral Antônio Hamilton Mourão, drohte bereits damit, seine ehemaligen Kameraden auf den Plan zu rufen, um politische Probleme zu lösen. Mourão ist zudem nicht der Einzige in Bolsonaros Arbeitskreis mit militärischer Vergangenheit. Rund die Hälfte seiner Mitarbeiter sind pensionierte und beurlaubte Armeeangehörige. Für finanz- und handelspolitische Fragen hält sich Bolsonaro dagegen eine Reihe von Investmentbanker, deren Privatisierungspläne nicht immer auf die Zustimmung der Militärs stoßen, welche staatliche Anteile an beispielsweise der Energiegewinnung und -versorgungbeibehalten wollen.
Außenpolitisch stehen die Dinge vergleichsweise klar, jedoch leider klar negativ. Bolsonaro gab bekannt möglicherweise aus dem BRICS-Bündnis (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) auszusteigen. Das BRICS-Bündnis stellt den Versuch einen Gegenpol zur Vormachtstellung der USA zu etablieren, und auch wenn man es aus unserer Sicht nicht allein aufgrund seiner Opposition zu den USA vorbehaltslos unterstützen kann, ist ein Aufbrechen der Machtverhältnisse grundsätzlich in unserem Interesse. Weiter ist Bolsonaro ein Bewunderer Donald Trumps und auch dieser gab bereits bekannt, eine enge Zusammenarbeit mit Bolsonaro anzustreben. Ganz in diesem Sinne folgt Bolsonaro dem Vorbild der USA und gab bekannt, die brasilianische Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen zu wollen und bestätigte dies erst kürzlich gegenüber einer israelischen Zeitung. Zur Krönung des Ganzen erklärte er noch, dass er ebenfalls plane die palästinensische Botschaft in Brasilien schließen zu wollen, angeblich weil diese zu nah an seinem künftigen Regierungssitz liege. Es sieht damit so aus, als würde Bolsonaro, wie die von ihm glorifizierte Militärdiktatur, die südamerikanischen Tradition der Unterwürfigkeit gegenüber den USA fortsetzen.
Bolsonaros Gerede von einer Politik der harten Hand mag bei rechten Gruppen auf der ganzen Welt auf Anklang stoßen, doch momentan steht noch offen, ob er diese für sein Volk oder internationale Investoren führen wird und dies ist am Ende die Frage, auf die es wirklich ankommt.
Die Presse mag Bolsonaro zwar schon als Rechtextremisten bezeichnen, doch in unseren Augen, die wir uns diesen Titel schon lange bevor er inflationär benutzt wurde, verdient haben, muss Bolsonaro erst noch beweisen, dass er sich zu diesem exklusiven Klub zählen darf. Ebenfalls sollte man nicht vergessen, das „rechts“ zu sein, so wie wir es verstehen, eben nicht bedeutet ein wenig gegen Schwule zu hetzen, die Gesetzte mit harten Mitteln durchzusetzen und Linke aus dem Land zu jagen. Wer meint, dass es damit getan sei, ist der Presse auf den Leim gegangen, die seit Jahrzenten dieses falsche Bild nationalgesinnter Politik zeichnet. Die Dinge, die Bolsonaro zum „Rechten“ machen, sind mit die unwichtigsten Punkte nationaler Politik überhaupt und bei denen, die wirklich von Bedeutung sind, knickt er ein und lässt sich zum Handlanger des Kapitals machen. So sieht es zumindest bis jetzt aus. Anstatt Kleinkriminellen in den Straßen mit härteren Strafen zu drohen, sollte er lieber diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die aus gläsernen Türmen heraus ungestraft Millionen ausbeuten. Zu diesen zählt auch sein Berater Guedes, welcher nebenbei für alle Welt zu Schau stellt, dass das Kapital keine Moral kennt und kein Problem hat, in Europa mit linksliberalen Kulturmarxisten zu paktieren und gleichzeitig in Südamerika den Freund erzkonservativer Freikirchen zu unterstützen, solange beide sich nur vor bereitwillig vor ihren Karren spannen lassen.
Auch die Möglichkeit, dass Bolsonaro nur eine Puppe des Militärs ist, ist zunächst noch kein Grund zu glauben, dass in Zukunft selbstloser Patriotismus in Brasilien an der Macht sein wird, den in manchen Ländern fühlen sich grade die Korrupten von Uniformen angezogen.
Alles in allem zeigen die schwierigen Verhältnisse im Fall Bolsonaro, dass der freigiebige Gebrauch des Titels „Rechtsextremist“, verbunden mit der steigenden Popularität rechts zu sein, es notwendig macht, dass man Personen die uns zugeschrieben werden oder dies Selbst tun, mehr als je zuvor, eine gesunde Portion Misstrauen entgegenbringt, bis diese ihre wahren Intentionen offengelegt haben. Tuen wir dies nicht und solidarisieren uns mit jedem, solange er nur irgendwie Gewalt anwendet und Minderheiten unterdrückt, dann werden wir zu genau den stumpfen Gewaltfetischisten, zu denen die Medien uns machen wollen, indem sie den Willen zur Ordnung und Autorität grundsätzlich mit Tyrannei gleichsetzen. Den Unterschied zwischen autoritärer Herrschaft und Tyrannei, welcher im Zweck der Gewaltanwendung besteht, dürfen wir jedoch nie vergessen. Ihn zu vergessen würde nicht nur unsere Prinzipien verraten, sondern uns ultimativ zu denen machen, die eigentlich unsere Feindschaft verdienen.
Zum Nachlesen: Teil 1