Heute führt uns unser Gesprächspartner Frank bzw. sein Verein, der Hamburger SV, hoch in den Norden der Bundesrepublik. Mit ihm wollen wir über alte Zeiten und die aktuelle Situation beim HSV bzw. allgemein im deutschen Fußball sprechen.
Der III. Weg: Hallo, magst du eingangs kurz ein paar Worte zu dir sagen und wie lange du bereits zum Fußball fährst?
Frank: Der HSV hat Ende des letzten Jahrtausends ein neues Stadion gebaut. Im alten Stadion war die Westkurve die Kurve der HSV Fans. Der Fanblock für die hartgesottenen Fans war der Block E. Unten am Zaun im Block E war der Treffpunkt der Skinheads. Das war schon ab etwa 1990 in der Jugend mit 14 Jahren mein Anlaufpunkt. Die Politisierung der Skinheads im Block E war sehr unterschiedlich, aber durchgehend national. Viele gehörten auch zum weiteren Umfeld inzwischen verbotener Parteien wie der FAP oder der NL.
Der III. Weg: Was hältst du davon, dass mit “Türkgücü München” nun ein türkischer Verein im Profifußball angekommen ist?
Frank: Erstmal sind Vereine im Profifußball Wirtschaftsunternehmen. Und nach Jahrzehnten der Überfremdung gibt es natürlich ausländische Unternehmen in allen Bereichen – neben Schneidereien, Gastronomie und Kiosken, mußten wir zuletzt ja lernen, daß selbst Pharmaunternehmen im Besitz von Ausländern sind. Und jetzt eben auch ein Fußballverein. Daß wir Deutschen nicht mehr Herr im eigenen Haus sind und in allen Bereichen des Lebens Terrain einbüßen müssen, mißfällt mir persönlich und weltanschaulich. Das ist aber unter den gegebenen politischen Zuständen nicht weiter verwunderlich. Auf der anderen Seite kann eine prägnante türkische Abgrenzung zu den alteingesessenen Vereinen evtl. auch förderlich sein, damit sich die verbliebenen deutschen Fans auf das Eigene besinnen.
Der III. Weg: Wie sieht es in der Fanszene eures Vereins vor Ort aus? Ist das ein Thema?
Frank: In der Fanszene ist das soweit ich das beurteilen kann kein Thema. Jedoch gibt es die eine Szene als solche auch nicht und die, die am lautesten sind, vertreten nicht die Mehrheit der Fans. In unserem Bekanntenkreis ist das natürlich schon thematisiert worden.
Der III. Weg: Unsere nächste Frage wäre, wie ist die Fanszene des HSV politisch aufgestellt oder spielt Politik da gar keine Rolle in der Fankurve? Früher haben klar patriotische Gruppen wie „Die Löwen“, die „Hansa Bande“ und die „Savage Army“ ja entsprechend für Aufsehen gesorgt, mittlerweile scheint es um das Thema Nationalisten beim HSV aber ruhig geworden zu sein?
Frank: Wie in vielen anderen Stadien auch hat beim HSV ein Linksruck stattgefunden. Einige Ultra-Gruppen haben Schnittmengen mit Linksextremisten. Jedoch findet linke politische Agitation nur anlaßbezogen statt und scheint zudem auch schon wieder abzunehmen. Nationale Gruppierungen treten beim HSV nicht mehr offen auf, wobei immer noch zahlreiche Patrioten und Nationalisten beim HSV im Stadion direkt anzutreffen sind. Würde man die alle einen können, wäre das durchaus eine starke Konkurrenz zu den bestehenden Ultra-Gruppen, die sich nicht verstecken bräuchte.
Der III. Weg: Um nochmal näher auf den politischen Aspekt einzugehen, linke Ultras erobern sich immer mehr Raum in den jeweiligen Fanszenen und geben bei vielen Vereinen wie eurem Stadtrivalen St. Pauli den Ton an. Ist das bei euch beim HSV auch so? Wie sieht es da auch mit Konflikten zwischen den Fangruppen aus, vor drei Jahren soll es wegen der vorgeworfenen rechten Meinung der Löwen eine Schlägerei auf der Tribüne zwischen Mitgliedern der Löwen und der Ultra-Gruppe „Clique du Nord“ gegeben haben?
Frank: Ich weiß gar nicht, ob das schon „Clique du Nord“ war oder noch „Poptown“. Offiziell ging es um die Platzierung der jeweiligen Zaunfahne. Unterschwellig können da auch unterschiedliche politische Vorstellungen eine Rolle gespielt haben. Doch wer beim HSV offen auftreten möchte, darf sich von Vereinsseite schon nicht national positionieren. Aber auch unorganisierte Fans haben schon mit linken Ultras wegen unterschiedlicher Vorstellungen die Auseinandersetzung gesucht. Die auffälligsten Ultragruppen sind unpolitisch bis linksradikal. Ich sehe aber nicht, daß die Ultra-Gruppen überhaupt im Namen der Mehrheit der Fans sprechen können.
Der III. Weg: Hat sich in den letzten 10 Jahren bei euch die Fanszene elementar geändert? Oder ist alles wie vorher? Was waren früher die bestimmenden Fangruppen?
Frank: Die letzten 10 Jahre sind gar nicht so entscheidend gewesen. Der Linksruck und diese Ultra-Erlebniswelt entstanden schon in den 10 Jahren davor. Mit dem neuen Stadion zur Jahrtausendwende verloren die rechten Skins ihren festen Anlaufpunkt im Stadion, wobei der Übergang der Skinheadszene zu politischen Aktivisten fließend war und es Überschneidungen gab. Zudem kam es von Vereinsseite zu restriktiveren Maßnahmen wie Verboten von bestimmter Bekleidung und zu Finanzierung politisch genehmer Fanclubs und sonstiger Gruppierungen.
In den 90er Jahren war die Anhängerschaft des HSV zumindest in der Kurve, wie in vielen anderen Städten, patriotisch bis nationalistisch. Auf den sogenannten Kutten waren neben den Aufnähern des eigenen Vereins und den Schmähungen gegen Bayern, Bremen oder St. Pauli oft auch politische Aufnäher zu finden: Ich bin stolz Deutscher zu sein, Deutschland Deutschland über alles oder Reichskriegsflaggen sind einige Beispiele.
Der III. Weg: Im Bereich der erlebnisorientierten Anhängerschaft (Hooligans) gibt es noch viele nationalgesinnte Trupps. Diese sind aber kaum noch im Stadion anzutreffen. Ist da bei euch auch ein Unterschied zwischen Ultras und Hools festzustellen?
Frank: Einen Unterschied gibt es. Wer aktuell aber auf den Acker geht, entzieht sich meiner Kenntnis. Obwohl es in den 90er Jahren schon Ausländer und Linke gegeben hat, die mit auf den Acker gegangen sind, gab es hier meiner Kenntnis nach noch lange eine patriotische bis nationale Mehrheit. Zur Zeit spielt dort offensichtlich eine politische Gesinnung keine Rolle. Es gibt definitiv noch Rechte, die auch mit auf den Acker gehen.
Der III. Weg: Haben nationalgesinnte Fangruppen zu lange nach dem Motto agiert „Fußball und Politik zu trennen“ und nicht gemerkt, wie linke Fangruppen das Ruder übernehmen?
Frank: Es ist schwierig zu beurteilen, ob man sich offensiver hätte aufstellen müssen. Besonders die Zeit um die Jahrtausendwende, als sich das in Hamburg zum Negativen entwickelt hat, war ja auch die Zeit, in der der Kern der Aktivisten bald jedes Wochenende auf irgendwelchen politischen oder Szene-Veranstaltungen unterwegs gewesen ist. Aus diesen Kreisen wäre also der Widerstand schwer zu organisieren gewesen. Ich denke auch, daß die Inthronisierung linker Ultragruppen mit Geld, Hausrecht und Repression forciert worden ist. Aber richtig ist schon, daß wir mit dem Weg, die Politik aus den Stadien rauszuhalten, Boden verloren haben. Aber ich denke, in Hamburg hätten wir den Boden auch mit mehr Politik in den Stadien verloren oder durch weiter greifende Stadionverbote vielleicht sogar noch mehr. Entscheidend war die WM 2006 im eigenen Land, wo der DFB zusammen mit den Vereinen im Vorfeld Millionen investiert hat, um die Stadien möglichst frei von Rechten bzw. Nationalisten zu halten. In Hamburg wurden u.a. Fantreffpunkte mitfinanziert, Sozialarbeiter gestellt, etc. Die Mühen und Millionen haben durchaus schon Wirkung gezeigt.
Wir haben uns Anfang der 90er als knapp 18-jährige keinen Kopf gemacht, wie wir bei den einfachen Fans und der Bevölkerung ankommen. Für die heute junge Generation ist das leider schon wichtig, gesellschaftlich nicht an den Rand gedrängt und abgestempelt zu werden. Mit ein wenig Rabatz und Pyrotechnik ist man heutzutage immer noch gesellschaftlich voll anerkannt. Solange kein „Naziverdacht“ im Raume steht, alles kein Problem.
Der III. Weg: In der Zeit der totalen Kommerzialisierung des Fußballs, ist da überhaupt noch Platz für Patriotismus und Deutschsein? Oder ist der Fußball nicht schon längst vollends für das normale Volk verloren gegangen?
Frank: Der moderne Fußball dient der Unterhaltung. Da ist genau so viel oder wenig Platz für Patriotismus und Deutschsein wie im Kino, auf dem Jahrmarkt oder beim Netflix gucken. Vielleicht noch mit dem kleinen Unterschied, daß man im Stadion immer noch mal Gleichgesinnte trifft, mit denen man so in Kontakt bleibt.
Der III. Weg: Die Rivalität zwischen St. Pauli mit klar linker Anhängerschaft und dem zum Teil eher rechts geltenden HSV hat ja oft die Gemüter erhitzt, scheint aber mittlerweile nicht mehr so ein Thema zu sein. Wie ist die Lage zwischen den beiden Stadtvereinen und bei den bekannten links- bis linksradikalen Fans vom FC St. Pauli?
Frank: Wenn in den 90ern HSV und St. Pauli gegeneinander gespielt haben, riefen die Pauli-Anhänger „Nazis Raus“ und die HSV-Anhänger „Rotfront verrecke“. Heute ruft niemand mehr „Rotfront verrecke“ und ein Teil der HSV-Anhänger mit den Pauli-Anhängern „Nazis Raus“. Bei den jüngeren Ultras, die auch die Linksextremisten stellen, mußte die Rivalität zu St. Pauli mit dem Abstieg in Liga 2 erst noch entwickelt werden. Dort sah man eher Bremen mit ebenfalls linksextremer Anhängerschaft als Hauptrivalen. Aber politisch ist diese Rivalität inzwischen nicht mehr.
Der III. Weg: Bei den Corona-Protesten in Leipzig haben auch viele patriotische Fußballfans Flagge gezeigt, in anderen Ländern (Türkei, Ukraine, Ägypten) haben Fußballfans oft regierungskritische Proteste stark unterstützt und vorangebracht. Wie bewertest du das?
Frank: Wer für seinen Verein, seine Stadt oder sein Land einsteht, ist eher dazu geneigt, das auch außerhalb des Fußballs zu tun. Dies werden aber keine Konsumenten der Ultra-Erlebniswelt des gemeinsamen Singens mit gelegentlichem Feuerwerk sein. Über den Fußball wird oft ein lokaler oder nationaler Patriotismus ausgelebt. Und wer sich zu seiner Stadt oder seinem Land bekennt, sollte auch Ungemach von Stadt und Land abwenden wollen. Daher ist die Beteiligung am Protest eine logische Konsequenz.
Der III. Weg: Denkst du, ein Bündnis nationalgesinnter Fußballfans wäre eine Idee, die Lage in und außerhalb der Kurven positiv zu verändern?
Frank: Bei HoGeSa war ja schon eine gewisse Dynamik zu verspüren. Jedoch hat sich das nicht auf die Situation in den Kurven ausgewirkt. Wenn sich so ein Bündnis aus der Fanszene selber entwickelt und dabei Mobilisierungspotential gehoben wird, wäre das positiv für die Lage außerhalb der Kurven. In den Kurven würde das nur partiell helfen.
Der III. Weg: Auf Ebene der Nationalmannschaft findet man ja gerade bei Auswärtsspielen noch viele Nationalgesinnte. Wieso ist dem so und wird das aus deiner Sicht so bleiben?
Frank: Zu der politischen Ausrichtung der Fans bei Auswärtsspielen von „Die Mannschaft“ kann ich nur mittelbar berichten. Doch durch die zeitliche und örtliche Unregelmäßigkeit entwickeln sich nicht so feste Strukturen wie in den Vereinsligen. Daher läßt sich das auch schwerer von außen steuern. Was nicht von den Machthabern im Land gesteuert werden kann, bietet Freiräume. Doch der finanzielle und organisatorische Aufwand, um bei großen Turnieren ins Stadion zu kommen, wächst immer mehr, weswegen abzuwarten ist, wie lange politisch dissidente Anhänger das noch mitmachen. Und auch wenn der Anteil autochthoner Deutscher in „Die Mannschaft“ höher ist als unter den Altersgenossen in westdeutschen Großstädten, fällt die Identifikation mit den Spielern zunehmend schwerer. Jedoch fällt es Linken aus idiologischen Gründen sicherlich schwer, die Vertreter „ihres“ Landes beim Wettstreit gegen die Vertreter eines anderen Landes zu unterstützen. Auch deswegen rechne ich nicht mit linksradikaler Einflußnahme unter den Fans von „Die Mannschaft“.
Der III. Weg: Vielen Danke für das ausführliche und aufschlußreiche Gespräch.