Der Liebesaugenblick im volksbezogenen Nationalismus
In einem häufig zitierten Sammelband mit dem markigen Titel „Politik des Hasses“ wurde schon vor gut einem Jahrzehnt von Gideon Botsch, Christoph Kopke, Lars Rensmann und Julius H. Schoeps die These vertreten, dass die „radikale Rechte“ stets „um das Thema des Hasses“1 kreise. Die „Rechten“ würden Hass nicht nur mobilisieren, um damit andere politische Inhalte zum Ausdruck zu bringen, sondern es sei ihr grundlegendes Bestreben, ihn unmittelbar in Politik zu übersetzen. Hass sei daher Grundlage und Ziel ihrer Politik.2 Was das genannte Autorenkollektiv als „Politics of Hate“ ausgab, half in jüngerer Zeit, zahlreiche politische Debatten um sog. „Hate crimes“ (Hassverbrechen) und „Hate speeches“ (Hassreden) anzustoßen. Angesichts der Häufung ethisch-emotional aufgeladener Aussagen in verwandten Publikationen der heutigen Tendenzforschung3 fällt es äußerst schwer, den Autoren Glauben zu schenken, dass ihr Ziel in einer Versachlichung politischer Praxis nach dem Vorbild Max Webers bestehe.
Denn augenscheinlich gewichten Teile des Autorenkollektivs die „ordnungspolitische Effizienz“ – gemeint ist der politische „Kampf gegen Rechts“ – höher als gewisse „demokratietheoretische Vorbehalte“.4 Die präferierte Demarkationslinie verläuft anhand selbst gezogener ethischer Grenzen und emotionalisierter Diskurse rund um die Begriffe „Menschenwürde“ und „Toleranz“. Ethische Begriffe werden stets emotionalisiert dargeboten und zu einem antipluralen Mittel dezidiert kulturmarxistischer Diskurse umgeformt. Es ergibt sich daraus die Vorstellung eines Gemeinwesens, das konzeptuell nicht auf Versöhnung, sondern auf eine Politik des Clean-Sweep – des Beseitigens „schädlicher Gruppen“ – abstellt. Der hier eingeforderte „harte“ und repressive Staat gegen das propagierte Feindbild der „radikalen Rechten“ entspringt einem – einer positiv-aufbauenden Identität ermangelnden – Definitionsdefizit. Totalisierende Schuld- und Sühnepraktiken untergraben fortwährend das Souveränitätsprinzip, sodass sich die fehlende positive Selbstreflexion über das Vehikel der pluralistischen Relativitätsideologie repressiv auszugleichen sucht. Die Überformung wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Diskurse mittels emotional dienstbar gemachter Vokabeln (wie etwa „Hass“ und „Hetze“), befördert die Fremdsteuerung politischer Prozesse und fungiert als „Verdeckungsstrategie“ zur Unsichtbarmachung einer ursprünglich positiven Volks- und Staatsidentität.
Ziel der vorliegenden Untersuchung wird es deshalb sein, zu zeigen, dass echte positive, völkische Identität keiner praktizierten „Hass-Politik“ entspringt; sie wurzelt vielmehr im Prinzip der Liebe zum Eigenen und beinhaltet den Wunsch mit sich und der Welt im harmonischen Gleichklang zu leben.
Nationalismus – oft als Ressentiment verkannt
Zum Theorieverständnis heutiger negativer Identität gehört gemeinhin die philosophische Behauptung, alle Begriffe würden vornehmlich auf gesellschaftlichen Maßstäben beruhen und wären Teil eines totalitären Verblendungszusammenhangs. In der Konsequenz werden alle Versuche des prädikativen Identifizierens, das stets auf eine Einheit zwischen Begriff und Subjekt abzielt, auf negativ-emotionale Zustände – etwa Hass, Wut oder Angst – zurückgeführt. Organischer Nationalismus als die substanzhafte wie gefühlsmäßige Verbundenheit mit der Heimat und dem Vaterland ebenso wie mit den kulturellen und geschichtlichen Werten des eigenen Volkes, kann von Autoren kulturmarxistischer Prägung daher nur als Konstruktion zur Kanalisierung von Ressentiments verstanden werden. Ein tieferes Verständnis dieses Phänomens bleibt ihnen zumeist verborgen.
Völkischer Nationalismus gewährleistet die Teilhabe an der Idee des Schönen
In der Sphäre des volksbezogenen Nationalismus liegt jedoch eine Form der Sehnsucht, ja des Heimwehs, die sich auf die Wiedergewinnung des verlorenen Ortes oder kulturellen Seins und seiner Attribute und Akzessorien erstreckt und der mitnichten ein primitives „Ressentiment“ zugrunde liegt. Heimatliebe ist Glücksgefühl und damit eudaimonisch fundiert. Die Entstehung von Sehnsucht nach ihr als Projektion retrospektiver Erlebniswelt setzt zeitliche und/oder räumliche Entfernung des Sehnsüchtigen vom Erblickten und Erlebten voraus. Gegenstand dieser Sehnsucht vermögen sowohl Länder und Orte, als auch die in ihnen vorhandenen Dinge, Zustände und Menschen zu sein. Die Frage, was positive, völkische Identität eigentlich ausmacht, spiegelt die Abwesenheit ausreichender Zuneigung zum eigenen Selbst, „unserer Jugend, den Menschen, die uns lieb gewesen, den Geschehnissen, die sich in ihr abgespielt haben und die unserem Gedächtnis in freundlicher Erinnerung geblieben“5 sein sollten. Heimat- und Vaterlandsliebe existieren daher vorwiegend im Modus eines „echten Ausbruchs“, eines „Hereinbrechens der Ewigkeit in die Zeit“ mit deutlichem Entscheidungs- und Schicksalscharakter6: „In der Ausnahme durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik.“7
Wie auch beim rechtlichen Ausnahmezustand (Carl Schmitt) eröffnet der existenzphilosophische Grenzzustand die Möglichkeit, die eigene Existenz entweder zu ergreifen oder zu verfehlen. Er ist derjenige Moment, der eine Entscheidung innerhalb der Strukturen einer kairologischen Zeiterfahrung verlangt. Der καιρός (Kairos) ist dabei kein gleichmäßig dahinlaufender Strom, insofern also als Moment der Krise zu charakterisieren, doch in seinen qualitativen Brüchen und Sprüngen offenbaren sich Chancen, um tiefer, wahrer und eigentlicher zu leben. Die Erschütterungen im alltäglichen Leben können die alte Ordnung außer Kraft setzen, indem sie den Menschen dazu veranlassen, nicht nur nach dem Sein und dem Denken zu fragen, sondern ihn auch in Versuchung bringen, das Eine zu denken: eine Identität, die nicht im Gegensatz zur Differenz steht, sondern die Einheit von Identität und Differenz darstellt.8 Dieses Eine ist bereits in der vorsokratischen, neuplatonischen und mystischen Philosophie in der Liebe gesehen worden, welche jedwede Erkenntnis überhaupt erst ermöglicht.
Das volkliche und heimatliche Empfinden entspricht dabei jener Liebe, die Herkunft wieder als Zukunft erweisen will. Das spezifische Zusammentreffen von Liebe und Sein stellt in sich aber keine „leblos[e] Identität des Einerlei“ (Friedrich Wilhelm Joseph Schelling) dar. Liebe als das innere Wesen völkischer Identität ist vielmehr als Identität einer Nichtidentität zu verstehen, einer Einheit der Gegensätze, die nicht im faden Übereinkommen aufgelöst, sondern bewahrt wird. Es handelt sich nicht um eine „Selbigkeit als bloße Gleichgültigkeit“9, vielmehr ist das so begriffene Volksganze Einheit als „Zusammengehörigkeit des Gegenstrebigen“10. Da die „Selbigkeit“ eine Synthesis d.h. eine „verbindende Einung“ impliziert, erscheint Identität durch die Geschichte des abendländischen Denkens hindurch im Charakter der Einheit.11 Eine Zerstörung dieser Einheit – etwa in Form einer unliebsamen Wertveränderung des Vaterlandes – ruft eine starke Gefühlsäußerung hervor. Auf diese Weise wird der nationale Liebesaugenblick zum Schnittpunkt von Sein und Leben, Notwendigkeit und Freiheit, von Ewigkeit und Zeit, Absolutem und Relativem.
„Liebe“ bedeutet in die eigene Existenz gedrängt zu sein
In Anknüpfung an die platonische Tradition wurde der dialektisch-dämonische Eros stets als Liebeserklärung an die Erkenntnis, als Weg zur Teilhabe am höchsten Gut – dem Schönen – verstanden. Über die Stufen der erotischen Gegenstände, beginnend bei den schönen Körpern, über die schönen Sitten bis hin zu den schönen Gedanken, sollte, platonischer Vorstellung gemäß, der Aufstieg zur finalen Erkenntnis des Schönen an sich erfolgen. Diesen prozessualen Weg wollte Platon allerdings nicht als Anweisung zum richtigen Leben oder Lieben verstanden wissen, vielmehr galt er als Aufforderung zur Überschreitung der Idee des Schönen auf das Intelligible hin.12 Die eigentliche Dynamik des platonischen Eros lag somit in der Freilegung der Begehrensstruktur menschlicher Erkenntnis und lief als Metapher für die Dialektik der Abstraktion schlussendlich auf eine Entindividualisierung hinaus. Indem sie die Einheit von theologischem, psychischem und dämonischem Eros beschworen, haben Plotin und Ficino den Eros in späterer Zeit als kosmologisches Prinzip und naturphilosophisches Agens zu begreifen versucht und die stete Erneuerung der körperlichen und geistigen Welt – sei es als Erhaltung der Sippe über die Folge der Generationen hinweg, sei es als Träger der Phänomene des Bewusstseins in der Zeitlichkeit der Lebensvollzüge – als Ausdruck eines Strebens nach Unsterblichkeit gedeutet.13
Auch im Nationalismus, dem es im Kern um die Einheit von Sein und Seiendem d.h. von Identität und Differenz geht, offenbart sich die Begehrungsstruktur menschlicher Erkenntnis. Der Vollzugssinn heimatlicher und volklicher Liebe liegt jedoch nicht in der axiologischen Überwindung des Faktischen, wie sie noch dem platonischen Aufstiegsprozess inhärent war, sondern im augustinischen amo volo ut sis (ich liebe, ich will, dass das Geliebte sei, was es ist), im selbstlosen Wohlwollen und Seinlassen des Liebesgegenstandes, durch das dieser zu sich selbst kommen kann: „Es kommt gerade darauf an, eine radikale Auseinandersetzung ständig mit dem Faktischen zu haben, nicht zu fliehen. Ich muß es gerade haben, um zur Existenz zu kommen. Dieses Haben heißt […] darin leben, aber nicht nachgeben, aber auch nicht bequem und axiologisch überwinden.“14 Insofern also „Liebe“ in die eigene Existenz gedrängt zu sein bedeutet, ist sie besonders dafür prädestiniert, das Dasein zum Selbstsein zu zwingen. Die Struktur des nationalen Eros veranlasst den Einzelkörper im kairologischen Zeitgeschehen mit der Entität von Volk und Vaterland in Liebe verbunden zu sein, das eigene Sein „seinlassen“ zu können, mithin aufzuhören, einem Abbild negativer Ideen zu entsprechen.
Fortsetzung folgt…
1Vgl. Gideon Botsch / Christoph Kopke / Lars Rensmann / Julius H. Schoeps: Politik des Hasses. Antisemitismus und radikale Rechte. Eine Einführung, in: Dies. (Hrsg.), Politik des Hasses. Antisemitismus und radikale Rechte in Europa, Hildesheim 2010, S. 9-14, hier S. 9.
2Vgl. ebd..
3So heißt es z.B. in Matthias Quents neu erschienenem Buch „Deutschland rechts außen“: „Es gibt eine Verpflichtung, die wehrhafte Demokratie vor ihren Feinden zu schützen. […] Den demokratischen Diskurs zu retten heißt, Antidemokraten davon auszuschließen.“ (Matthias Quent: Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können, 2. Aufl., München 2019, S. 276.) Noch deutlicher wird Quent, wenn er gar fordert: „Es gilt, rechtsradikalen Positionen und Protagonisten öffentliche Bühnen zu verweigern und Zeichen deutlicher Abgrenzung zu setzen.“ (Quent, Deutschland rechts außen, S. 258.) Christoph Kopke schreibt in den Grenzen der Toleranz: „Das äußerste, aber vielleicht wichtigste Mittel der Grenzziehung besteht in der Kriminalisierung, Verfolgung und Ahndung bestimmter Verhaltensweisen, die mit Demokratie, Grundgesetz und Strafrecht nicht vereinbar sind.“ (Gideon Botsch / Christoph Kopke: Grenzen setzen. Das „Brandenburger Modell“ der Abwehr des Rechtsextremismus, in: Christoph Kopke (Hrsg.), Die Grenzen der Toleranz. Rechtsextremes Milieu und demokratische Gesellschaft in Brandenburg – Bilanz und Perspektiven, Potsdam 2011, S. 183-206, hier S. 197 f..) Darüber hinaus gelte es ein „arbeitsteilige[s] Zusammenwirken“ von „rechtsstaatlicher Repression“ und „zivilgesellschaftliche[m] Engagement“ herbeizuführen. (Vgl. Christoph Kopke: Rechtsextremismus und Demokratie in Brandenburg, in: Christoph Kopke (Hrsg.), Die Grenzen der Toleranz. Rechtsextremes Milieu und demokratische Gesellschaft in Brandenburg – Bilanz und Perspektiven, Potsdam 2011, S. 15-20, hier S. 18 f.) Im Ergebnis geht es beiden Autoren darum, bei der Auslegung des Extremismus-Begriffs die Korrelation zwischen Einstellung (Struktur) und Handeln möglichst eng zu halten, um so die gewollte politische Kriminalisierung aller als feindlich stigmatisierten „rechten Einstellungen“ weiter voranzutreiben. Dieser dynamische Extremismusbegriff erweist sich zudem als besonders korrelationsfähig für das Festmachen eines gesinnungsethischen Tatbestands an allgemeinen, politisch-moralischen Wertungen statt an normativen Evidenzgesichtspunkten.
4Vgl. Botsch / Kopke, Das „Brandenburger Modell“, S. 199.
5Robert Michels: Der Patriotismus. Prolegomena zu seiner soziologischen Analyse, 2. Aufl., Berlin 2013, S. 59f..
6Paul Tillich: Kairos, in: Ders. (Hrsg.), Kairos. Zur Geisteslage und Geisteswendung, Darmstadt 1926, S. 1-22, hier S. 10, zitiert nach: Tatjana Noemi
Tömmel: Wille und Passion. Der Liebesbegriff bei Heidegger, Berlin 2013, S. 90f..
7Carl Schmitt: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, Berlin 2009, S. 21.
8Vgl. Tatjana Noemi Tömmel: Wille und Passion. Der Liebesbegriff bei Heidegger, Berlin 2013, S. 51.
9Martin Heidegger, Einführung in die Metaphysik, S. 147, zitiert nach: Tömmel, Wille und Passion, S. 181.
10Ebd..Vgl.
11Martin Heidegger: Identität und Differenz, Tübingen 1957, S. 15.
12Vgl. Achim Wurm: Platonicus amor. Lesarten der Liebe bei Platon, Plotin und Ficino, Berlin 2008, S. 25.
13Vgl. ebd., S. 145.
14Martin Heidegger, Augustinus und der Neuplatonismus, S. 265, zitiert nach: Tömmel, Wille und Passion, S. 86.
Moin zusammen,sehr interessant. Muss aber zugeben das es teilweise schwere Kost ist . Zumindest für mich Hauptschüler. Freu mich schon auf 2.teil. Mit Gruß Michael