Nationale Identität ist volkliches „Vermögen des Mögens“
Ist das nationale Liebesereignis dem Moment zugehörig, in welchem sich das Schöne im Angesicht des eigenen Seienden zeigt, so handelt es sich zugleich um einen Ausbruch aus der platonischen Höhle, entbirgt sich doch der beständige Wille zum Sein des geliebten Volkes und Landes stets in einem tieferen Sinn, demgemäß er dessen ureigenstes Wesen hervorruft. Vorausgesetzt, Kunst und Wahrheit seien beide gleichermaßen auf das Sein bezogen und existieren nicht nur „in den Sternen“, so können auch Volk und Vaterland als Kunstwerke gestaltet und betrachtet werden, an denen sich die Liebe zum Sein zu entzünden vermag.
Nur in einem wahrhaft seienden Volk kann die Liebe im Seienden das Sein entdecken und so die ontologische Differenz zwischen beiden überwinden: „Lieben oder mögen ist das eigentliche Wesen des Vermögens, das nicht nur dieses oder jenes leisten, sondern etwas in seiner Herkunft ‚wesen’, das heißt sein lassen kann.“15 Völkische Identität stellt somit das „Vermögen des Mögens“ dar, „kraft dessen etwas eigentlich zu sein vermag“16. Negative Identität hingegen (wie sie heute vielfach in der BRD praktiziert wird) spiegelt eine Flucht vor dem Sein, sie ist durch Abwesenheit von Liebeserscheinungen in der ontologischen Differenz zwischen Seiendem und Sein charakterisiert; es lässt sich aus ihr daher niemals eine echte positive Existenz im hier dargelegten Sinn begründen.
Der Lebensvollzug als Kampfzusammenhang
Aus der Unverfügbarkeit des summum bonum folgt, dass der Gang durch die gottferne Faktizität17 innerhalb des Lebensvollzuges in den Mittelpunkt gerückt werden muss. Insofern der Mensch in den Vorgang der Existenz vorzustoßen gedenkt, muss er sich frei auf die Zukunft hin entwerfen und mithilfe des Liebesereignisses eine Lichtung des Seins stiften, die ihn dazu befähigt, in den lebenserhaltenden Kampf als einer aktiven Handlung für eine Lebensordnung einzutreten. Das Ziel des kairologischen Eros liegt demgemäß in der Sicherung und Weitergabe von Leben und Werten des nationalistisch Liebenden, motiviert so zur stetigen Auseinandersetzung mit dem Faktischen und in diesem Sinne gleichsam zur Annahme des Kampfes als eines elementaren Lebensprinzips. Im Kampf um das erhaltenswerte und liebgewonnene Schöne, das sich in Volk und Land substanziell verankert, enthüllt sich intrinsisch das Streben nach Unsterblichkeit.
Sofern der Messias nicht mehr als metaphysischer Erlöser gedacht wird, kommt dem Faktum der Zeit, gerade in Bezug auf die fortwährende Erneuerung der körperlichen und geistigen Welt, eine neue Qualität zu. Die Zeit ist eine Prüfung, deren Bestehen davon abhängt, in welcher Haltung gelebt wird. Das Heidegger’sche „Vorlaufen zum Tode“ entspricht bei genauerem Hinsehen einem kairologischen Erharren des Messias18, das auf eine edle gottgleiche Form des Menschen gerichtet ist und so die Gestaltung einer Lebensform kanalisieren kann, die geeignet ist, die Parusie in sich selbst zu bewirken. Die Verehrung des gottgleichen Helden bildete stets das älteste und stärkste Element im sozialen und kulturellen Leben des Menschen und erzeugte über viele Jahrhunderte eine dauernde Hoffnung für die Verwaltung der Welt: „Sie [die Heldenverehrung] enthält die ewige Hoffnung, daß die Welt wieder in Ordnung kommen wird.
Wenn alle Traditionen, Einrichtungen, Glaubensbekenntnisse und Gesellschaftsformen, die die Menschen jemals geschaffen haben, dahingingen, dies würde bleiben. Die Gewißheit, daß Helden unter uns gesendet sind […]: dies leuchtet wie ein Polarstern durch Rauchwolken, Nebelwolken und jeglichen Zusammenbruch und Feuerbrand. […]“19 Bereits bei Thomas Carlyle verwandelte sich die mittelalterliche Form der Hierarchie in die moderne Form der Heroarchie, sodass der Held als ein verweltlichter Heiliger, als ein Mensch im Gewand Gottes erschien: „‚Sich vor Menschen beugen’, wenn es nicht ein leeres Gaukelspiel sein soll, […] ist immer Heldenverehrung – die Erkenntnis, daß in der Erscheinung unseres Bruders etwas Göttliches wohnt; daß jeder geschaffene Mensch, wie Novalis sagt, eine ‚Offenbarung im Fleische’ ist.“20
Das Ineinanderfallen von Freiheit und Entscheidung
Im Nationalismus stellt die Offenbarung des auf Volk und Land bezogenen Heldischen und die Hingabe an das liebgewonnene Schöne ein Faktum echter Liebe dar. Es muss in diesem Zusammenhang vor allem jener These widersprochen werden, die zu behaupten versucht, dass sich „Identität als Kategorie der Person nicht tauglich“ erweise, „weil sie in sich leer“21 sei. Der Held als gottgleiche Personifizierung gilt kulturmarxistischen Interpreten zumeist als verwerflich, weil das Motiv des leidenschaftlichen Begehrenwollens einer Ideologisierung archaischer Bedürfnisbefriedigung offenstehe. Es sei zudem illegitim „persönliche Bedürfnisse als politisch-existentielle Kategorien zu verabsolutieren“22. Doch liegt dem menschlichen Erkenntnisstreben selbst eine in echter Liebe wurzelnde Begehrensstruktur zugrunde, die – als benevolentia charakterisiert – deutlich vom instrumentellen, nur konsumierenden Begehren unterschieden ist.
Liebe als selbstloses Wohlwollen ist gegenüber der bloßen Lust höherwertig und bewahrt im „Wollen“ zugleich den Bedeutungsumfang von diligere.23 Echte Liebe ist kein bloßes Begehren, sondern Achtung und als solche ebenso Wahl und Entscheidung. Sofern im Heldischen eine auf das summum bonum gerichtete Begehrensstruktur offenbar wird, wählt die Liebe ihren Gegenstand aus Freiheit und kann daher gar nicht anders als im gleichen Atemzug die Freiheit des Anderen zu wählen. Dem Vorwurf der Illegitimität jedweder politisch-existentiellen Kategorisierung von persönlichen Bedürfnissen, der im Kern einen anti-dezisionistischen Impetus beinhaltet, steht grundsätzlich die Tatsache entgegen, dass der Gegensatz zwischen Freund und Feind nicht vom Menschen aus, sondern nur von Gott aus aufzuheben möglich ist.24 Auch die Erfahrung der Freiheit ist durch die Phänomene der Herrschaft und der Gewalt gekennzeichnet. Herrschaft zeichnet sich durch den Charakter der Unbedingtheit aus, die wiederum dem Wesen der Freiheit zugrunde liegt.25 Sie zwingt dem Sein allerdings keine Bestimmung auf, sie ist vielmehr ein Vermächtnis, das sich auf seine eigene Ursprünglichkeit einlassen muss.
Freiheit ist somit ontologisch definiert als die Notwendigkeit26, die die Entscheidung zum eigenen Wesen bestimmt, wodurch auch das Gewissen als eine ontologische, konstitutive Eigenschaft des Daseins in Erscheinung tritt.27 Dieses wird zu einer Bedingung von Freiheit dergestalt, daß ihr die Anerkennung des ontologischen Dezisionismus von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit vorausgeht. Das dezisionistische Denken sucht stets den Anschluss an die Geschichte eines Volkes, d.h. sein Geschick, das nur durch gelebte Vorbilder freigelegt werden kann.28 Die Entscheidung muß demgemäß mit der von ihr geordneten Welt verschmelzen. Dadurch erhält die Unbestimmtheit des Freund-Feind-Verhältnisses selbst eine theoretische Begründung: Sie führt einen Okkasionalismus ein, eine Bereitschaft zum Bruch mit der Kontinuität, eine Entschlossenheit für den Ernstfall29, in dem „das Dasein sich seinen Helden wählt“30. Die in der menschlichen Intelligenz durchscheinenden metaphysischen Wahrheiten können Klarheit und Eindeutigkeit nur in der Überzeugung einer Person erlangen; dies ist zunächst ein „nicht bewusster Vorgang, der zugleich die Identität seines Trägers konstituiert“31. Die strikte Bindung des Helden an das reine Leben bedingt und bewirkt gleichzeitig eine Unterwerfung des Bewusstseins unter das Leben. Der Sinn des heldischen Lebens wird nicht mehr getrennt vom Leben gesehen, sondern er fällt mit dem Leben an sich in eins.
Die Wirklichkeit muss geordnet und gestaltet werden
Obzwar von einer gleichartigen Struktur zwischen Eros und Thanatos ausgegangen werden kann, ist die nationalistische Liebeserscheinung weit mehr als nur eine „Negation der Todesangst durch eine kollektive Ewigkeitskonstruktion“32. Augustinus verglich die Liebe Gottes zu den Sündern einst mit der Liebe eines Handwerkers zu einem Baum: „Jener liebe diesen nicht in dem Sinne, daß er immer derselbe bleiben solle, im Gegenteil, er liebe, was dieser werde, nicht was er jetzt sei.“33 Das In-der-Welt-Sein der Liebe ist an sich ein unhintergehbares Faktum, die Seinsfülle völkischer Identität kann jedoch nur im Werden übergreifend sichtbar gemacht werden: „Die Wirklichkeit bedeutet hier die stufenförmige Entfaltung und Darstellung einer ihr innewohnenden schöpferischen Macht oder Substanz, die als Leben und Geist verstanden wird.
Die Verwirklichung der Substanz ist ein Werden, ist Prozeß; die Wirklichkeit ist daher kein ruhendes Sein, sondern Werden und Gestaltung.“34 Die von kulturmarxistischer Seite unterstellte „Leere“ des Identitätsbegriffes rührt von ihrem Kern – des Vermögens des Mögens – her, der als „unbewegter Bewegter“ durch seine Entscheidung gestaltende Ordnung erst schöpfen muss. Demgemäß also die Wirklichkeit als sein Handlungs- und Entscheidungsspektrum im Kosmos fungiert, ist der Mensch ein auf Ordnung angewiesenes Lebewesen: „Ist nicht alle Tätigkeit der Menschen auf dieser Welt ein Ordnungmachen? […] Unordnung ist Auflösung. Kein Chaos, das nicht einen Mittelpunkt sucht, um den es sich drehen kann. So lange Menschen Menschen sind, wird ein Cromwell oder Napoleon den natürlichen Abschluß jedes Sansculottismus bilden.“35
Der Hass auf das Eigene bringt ein negatives Heldentum hervor
Ordnung als verwirklichtes Sein ist auf menschliche Handlung und Positionierung angewiesen, daher verschwindet auch unter den Bedingungen negativer Identität der Held nicht. Jedoch erscheint er nicht mehr als eine in Liebe gewählte gottgleiche Person, sondern fungiert als bloßes Subjekt zur Befriedigung persönlicher Triebregungen durch eine Verlagerung nach außen. Von ihm geht keine vitale, auf das liebgewonnene Schöne bezogene Schöpfungskraft aus. Sein Antrieb bildet eine Bewegung des Ausgleichs, die alle Wesensunterschiede zu nivellieren bestrebt ist und ihre Legitimation aus einem untilgbaren Schuld- und Sühnekonstrukt bezieht. In einem solchen Kontext kann der negative Held nur bloßes Mittel zum Zweck zur Setzung lebensferner Abstrakta sein.
Der Kristallisationspunkt seiner Existenz ist zumindest dann destruktiven Charakters, wenn er es sich zur Aufgabe macht – etwa durch das Eintreten für ein Nichtsein des eigenen Volkes – die Seinsfülle seines eigenen, aus dem Vermögen des Mögens stammenden Gründungsmythos zu demontieren. Im heute wirkmächtig gewordenen Wohlstands-Humanitarismus ist das auf das Eigene bezogene Vermögen des echten nationalistischen Liebens großteils „verschüttet“ worden, während vielfach das negativistische Ansinnen zum Durchbruch gelangt, die meist unterbewusst vollzogene Schau eines tieferen Deutschlands in sich selbst vernichten zu wollen. Auch das Leben des in negativer Identität verharrenden Helden ist demgemäß nekrophiler Natur – es begehrt die Auslöschung der Begehrensstruktur identifizierenden Denkens seiner auf den Identitätstod gerichteten Lust wegen. Die Liebe zum Toten, zur Zerstörung stellt dabei eine sekundäre Potenzialität dar, die erst dann eintritt, wenn der Mensch verhindert ist, die primäre Potenz, nämlich die Liebe zum Leben – welche jene zum eigenen volklichen Sein selbstverständlich miteinschließt – zu erleben und zu gestalten. Die in negativer Identität enthaltene Destruktivität kann somit vor allem als Resultat ungelebten Lebens aufgefasst werden.
Fortsetzung folgt…
Zum Nachlesen: Volk, Land, Eros – Teil 1: „Hass und Hetze“ oder kairologischer Eros? 1/2
15Martin Heidegger, Brief über den Humanismus, S. 316, zitiert nach: Tömmel, Wille und Passion, S. 175.
16Ebd..
17Faktizität bezeichnet Heidegger gemäß das Faktum des sich in einer Welt Er-eignens und Aneignens des Lebens. Das Leben findet sich schon in seiner Welt und ist auf diese angewiesen. In seiner unmittelbaren Lebendigkeit ist das Leben an sich faktisch.
18Vgl. Tömmel, Wille und Passion, S. 96.
19Thomas Carlyle: Über das Heroische in der Geschichte, Bozen 1997, S. 230f..
20Ebd., S. 232.
21Doris Mendlewitsch: Volk und Heil. Vordenker des Nationalsozialismus im 19. Jahrhundert, Diss., Rheda-Wiedenbrück 1988, S. 253.
22Mendlewitsch, Volk und Heil, S. 256.
23Vgl. Tömmel, Wille und Passion, S. 123.
24Hat der erste Abfall von Gott den Himmel gleichsam politisiert und bricht die abfallende Schöpfung in Gegensätze auseinander, dann ist der Abfall und das Auseinanderbrechen nur von Gott aus aufzuheben. Vgl. Günter Maschke: Drei Motive im Anti-Liberalismus Carl Schmitts, in: Klaus Hansen / Hans Lietzmann (Hrsg.), Carl Schmitt und die Liberalismuskritik, Opladen 1988, S. 55-79, hier S. 59. „Überall wo der Staat Freund und Feind setzt, wird er notwendig zum Sünder. Will er aber aus Verzicht oder aus Selbstüberhöhung die Unterscheidung aufheben, so wird er zum doppelten Sünder, der sich die Hoheit Gottes anmaßt.“ (Maschke, Drei Motive im Anti-Liberalismus Carl Schmitts, S. 60.) Alle menschlichen Versuche, den Gegensatz von Freund und Feind hinwegzumoralisieren, die Welt zu entpolitisieren müssen daher, so Schmitt, vergeblich und zugleich verderblich sein. Der Feind macht ex negativo das Unsichtbare der Transzendenz vom Ausnahmezustand her sichtbar und existentiell erlebbar, weil er aktiv eine Entwicklung ins Extrem treibt, die sonst eher anonym in einem allgemeinen Prozess der historischen Transformation verborgen bleibt.
25Vgl. Andreas Hildebrandt: Der Mensch als Eigenschaft der Freiheit. Martin Heideggers Auseinandersetzung mit der praktischen Philosophie Kants und Schellings, Diss., o.O. 2015, unter: https://freidok.uni-freiburg.de/dnb/download/10549 (letzter Zugriff: 08.11.2018), S. 159.
26Notwendigkeit bedeutet in diesem Sinne, sich auf dem Boden der Erfahrung des Seins zu bewegen und sich im Kontext der „Seynsfuge“ zu artikulieren.
27Vgl. Hildebrandt, Der Mensch als Eigenschaft der Freiheit, S. 58f..
28Vgl. Karl-Heinz Ladeur: Carl Schmitt und die Nichthintergehbarkeit der Politischen Theologie. Die Versuchung des Totalitarismus in der liberalen Gesellschaft, in: Politische Vierteljahresschrift 37 (1996), S. 665 – 686, hier S. 673.
29Vgl. Ladeur, Carl Schmitt, S. 674.
30Martin Heidegger: Sein und Zeit, 10. unveränd. Aufl., Tübingen 1963, S. 385.
31Ladeur, Carl Schmitt, S. 674.
32Mendlewitsch, Volk und Heil, S. 254.
33Aurelius Augustinus: Gott ist die Liebe. Predigten des hl. Augustinus über den ersten Johannesbrief, Freiburg 1938, S. 112f., zitiert nach: Tömmel, Wille und Passion, S. 122.
34Karl Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, S. 161, zitiert nach: Ralf Walkenhaus: Konservatives Staatsdenken. Eine wissenssoziologische Studie zu Ernst Rudolf Huber, Berlin 1997, S. 298.
35Carlyle, Über das Heroische in der Geschichte, S. 232f..