Am 30.04.1945 ging zum letzten mal eine der bekanntesten englischsprachigen Stimmen, die unermüdlich dem nationalsozialistischen Deutschland das Wort redete, in der Radiosendung „Germany calling“ auf Sendung, um an das Hörerpublikum in Großbritannien, Irland und den USA eine letzte Ansprache zu richten. Der später mit dem Pseudonym „Lord Haw-Haw“ in Verbindung gebrachte William Joyce, wurde im Laufe des zweiten Weltkrieges zum wichtigsten angelsächsischen Propagandasprecher der Deutschen, der zeitweise bis zu 6 Millionen englische Zuhörer erreichte und am letzten Apriltag 1945 in seiner finalen Rundfunkrede mit Großbritanniens verheerender Kriegstreiberpolitik abrechnete. Das von den Deutschen eingerichtete Radioprogramm „Germany calling“ sendete neben Nachrichten und propagandistischen Reden auch Grüße britischer Kriegsgefangener, denen die Möglichkeit gegeben wurde, ihren Familien in der Heimat eine Botschaft zu hinterlassen, sodass der von der NS-Führung eingerichtete Rundfunkdienst auf der britischen Insel rasch an Popularität gewann.
Als die Engländer den westlichen Teil Deutschlands nach dem Krieg besetzten, setzten sie Joyce mit seiner Frau wenig später in der Nähe von Flensburg an der dänischen Grenze fest und verschleppten ihn nach England. Geoffrey Perry, ein in Deutschland geborener Jude, der nach seinem Exil nach England britischer Staatsbürger geworden war und bald darauf in den britischen Streitkräften diente, verhaftete den bei den Alliierten verhassten „Lord Haw-Haw“, nachdem er ihn bei einer Ausweiskontrolle vermeintlich „unbeabsichtigt“ angeschossen hat. Obwohl Joyce selbst nie britischer Staatsbürger war und im Jahre 1940 neben seiner ursprünglich amerikanischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hat, wurde er in der Berufungsinstanz vor dem House of Lords als „Hochverräter“ zum Tode durch den Strang verurteilt und am 3. Januar 1946 im Gefängnis von Wandsworth exekutiert. Er gilt als die letzte Person in der britischen Rechtsgeschichte, die wegen Hochverrats hingerichtet wurde, dazu noch unter höchst zweifelhaften rechtlichen Umständen.
Politischer Werdegang eines ungewöhnlichen Iren
William Joyce war ein irischstämmiger US-Amerikaner, der in New York Brooklyn 1906 das Licht der Welt erblickte und ein paar Jahre nach seiner Geburt mit seiner Familie nach Irland zurückkehrte. Obwohl er und sein Vater irische Katholiken waren, fühlte er sich eher zu den Unionisten hinzugezogen, die für ein Vereinigtes Königreich unter Einschluss Gesamtirlands kämpften. Nachdem er sogar Sympathien für die berüchtigten, britischen Besatzertruppen der Black-and-Tans bekundete und geheime Informationen an die Krone lieferte, entging er nur um Haaresbreite einem Mordanschlag durch die IRA und floh mit seiner Familie 1921 nach England. In London studierte er daraufhin am Birkbeck College zunächst Naturwissenschaften und dann Anglistik und Geschichte, wo er erstmals mit den Ideen des Faschismus in Berühung kam. Seine markante Gesichtsnarbe stammt von einer Verletzung, die er sich bei einer Auseinandersetzung rund um einer nationalistischen Kundgebung in London im Jahre 1924 zuzog, als er nach eigenen Angaben von einem jüdischen Kommunisten attackiert worden sei.
Dieses Ereignis schien seine sich im Entstehen begriffene Weltanschauung maßgeblich mitgeprägt zu haben. Schon im Jahre 1923 hat er sich der „British Fascisti Ltd.“ angeschlossen, einer Schwesternbewegung des italienischen Vorbildes, die er aber bereits 1925 wegen anhaltender Erfolglosigkeit verließ. Auch in der konservativen Partei konnte er in den darauf folgenden Jahren keine politische Heimat finden. Die Konservativen wurden ihm schon bald ein Graus, die er als schwache, unehrliche und raffgierige Clique alter Männer beschrieb, die das Land an die Agenten der Hochfinanz verkaufen würden. Im Jahre 1932 endlich fand er den Weg zur von Sir Oswald Mosley geführten „British Union of Fascists“ (BUF) und legte aufgrund seines scharfzüngigen Redetalents einen steilen Aufstieg in der britischen Faschistenbewegung hin, die ihn 1934 in die Funktion des Chefpropagandabeauftragten brachte und wenig später zu Mosleys Stellvertreter machte.
Jedoch kam es bald zum Bruch mit Oswald Mosley, nachdem Joyce sich anders als Mosley für eine antisemitische und stärker nationalsozialistisch betonte Linie der Bewegung aussprach und für eine Umbenennung der BUF in „British Union of Fascists and National Socialists“ warb. Außerdem war Joyce für seine unversöhnliche Haltung gegenüber antifaschistischen Gegnern berüchtigt, nach deren handfesten Bekämpfung es ihm zuweilen beliebte. 1937 wurde Joyce von dem moderat auftretenden Mosley nach einer Umstrukturierung der Parteispitze kaltgestellt, woraufhin der spätere „Lord Haw-Haw“ die „National Socialist League“ gründete. In seiner später erschienenen Autobiographie hat Mosley ihn aufgrund seiner Dienste für Deutschland im Krieg schließlich sogar als „Verräter“ verleugnet. Kurz vor Kriegsausbruch im Sommer 1939 floh William Joyce in weiser Voraussicht kommender Ereignisse mit seiner ebenso überzeugten Frau Margaret nach Deutschland, während Mosley und der Rest der britischen Faschisten nur ein Jahr später von der britischen Regierung zerschlagen und interniert worden sind.
Vergeblicher Traum von einem Bündnis zwischen England und Deutschland
Niemand geringeres als Joseph Goebbels entdeckte recht schnell den Wert des englischsprachigen Exilanten mit seinem Redetalent und seiner fanatischen Hingabe für die deutsche Weltanschauung. Auch sein 1940 erschienenes Buch „Twilight over England“ (zu deutsch: „Dämmerung über England“), das einen Vergleich zwischen dem kapitalistisch beherrschten Großbritannien mit seinen sozialen Verwerfungen und dem erlangten Wirtschaftswunder unter dem Nationalsozialismus abhandelte, erreichte im deutschen Propagandaministerium einen hohen Anklang. So wurde das Radioprogramm „Germany Calling“ als Auslandsrundfunk auf Geheiß des Propagandaminister Goebbels ins Leben gerufen, bei dem Joyce nach seiner Ankunft in Deutschland als Radiosprecher eingesetzt wurde. Produziert wurde das Programm, das auf Wachsplatte aufgezeichnet wurde, zunächst in Berlin, später in Stuttgart und schließlich über den Reichssender Hamburg mit seiner geheimen Sendestation in Ostfriesland aus versendet.
In seinen Reden warb der aufgrund seiner nasalen Aussprache bald von der englischen Presse spöttisch als „Lord Haw-Haw“ bezeichnete Joyce – bei einem Faustkampf in seinen Jugendjahren wurde ihm unglücklich die Nase gebrochen – bei seiner angelsächsischen Hörerschaft ohne Unterlass für einen sofortigen Friedensschluss zwischen England und Deutschland und für ein gemeinsames Bündnis im Kampf gegen den Bolschewismus. Damit verfolgte er exakt das gleiche außenpolitische Ziel wie die deutsche Reichsregierung. Im späteren Verlauf des Krieges, als die Unwilligkeit der englischen Regierung zur Versöhnung immer deutlicher zu Tage trat und britische Terrorbomber, von purer Vernichtungsabsicht getrieben, unter der Direktive des „moral bombing“ Einsätze gegen zivile deutsche Städte flogen, wurden auch Joyces Redebeiträge gegenüber Großbritannien immer feindseliger und versuchten die Briten zur Aufgabe zu bewegen. 1944 wurde Joyce für seine Dienste von Adolf Hitler mit dem Kriegsverdienstkreuz Erster und Zweiter Klasse ausgezeichnet.
Auch setzte er sich für die Verbreitung anti-alliierter Propaganda unter britischen Kriegsgefangenen ein und versuchte diese für das „British Free Corps“, einer zu Propagandazwecken dienenden Einheit der Waffen-SS, zu gewinnen. Als er am 30.04.1945, dem Todestag Hitlers, seine letzte Rundfunkrede hielt, prangerte er die Schuld Großbritanniens für die Eskalation des Konfliktes 1939 an und prophezeite den kommenden Niedergang des britischen Empires und eine heraufziehende dunkle Epoche für Europa, bevor er seine Ansprache, unterlegt mit dem Klang der Deutschlandhymne, mit einem trotzigen „Es lebe Deutschland!“ beendete. Man kann William Joyce vielleicht so manches vorwerfen, aber sicherlich nicht seine aufrichtige und bis zum letzten Atemzug gehaltene Treue zu Deutschland.
Erschienen in „Ein Fähnlein – Ausgabe 17 2/2020“
Klasse Super Bericht,!!