Viel haben wir die letzten Jahre gehört über dieses Ereignis. Eine Herausforderung jenseits eines sonst so üblichen und uns bekannten Leistungsmarsches. Ein Mythos. Von extremer Härte und einem bis dahin noch nicht gekannten, doch aufzubringenden Durchhaltevermögen war stets die Rede. Das einige, wohl die meisten von uns, an ihre physischen wie mentalen Grenzen herangeführt würden. Und manch einer sie oftmals auch zu überschreiten angetreten sei.
Ob das alles denn so stimmt, wie Teilnehmer der Vergangenheit immer wieder mit einer Mischung aus Augenzwinkern, Respekt und Ehrfurcht berichteten? Es war an der Zeit, die Gerüchte zu erforschen, es selbst herauszufinden und diesem Mythos auf den Grund zu gehen.
Und so scharrten einige Mitstreiter unserer AG – Körper und Geist bereits seit Wochen mit den Hufen, als wir die Freigabe zur Anmeldung für die wenigen noch vorhandenen freien Plätzen erhielten. Bei manchen konnte man die Aufregung und Anspannung bis zum Tag der Abreise nicht nur spüren, sondern auch sehen. Ist alles ordnungsgemäß gepackt? Habe ich nichts vergessen? Sitzen die Schuhe am „Tag der Abrechnung“ auch richtig? Und vor allem: Bin ich bereit für diesen Höllenritt?
Fragen über Fragen! In wenigen Stunden wird uns die Ausnahmesituation eine Antwort darauf geben.
Viel Regenerationszeit blieb uns nicht vergönnt, der Wecker riss uns um 03:00 Uhr früh aus der Nachtruhe. Also frisch auf, eine letzte Überprüfung der empfohlenen Packordnung und rein in die Nacht, rein ins Ungewisse. Bereits eine Stunde später zogen sich die Kräfte der Freiwilligen am bekanntgegebenen Treffpunkt zusammen und befolgten die freundlichen, jedoch bestimmten Anordnungen der Organisatoren. Für jene von uns, welche einst Soldatenluft in den Kasernen der BRD schnuppern durften, als diese sich noch nicht anschickte, das ehemals so stolze deutsche Heer zur Transentruppe unter der Schwulenfahne degenerieren zu lassen, zeichneten sich durchaus Parallelen ab. Ein paar persönliche, stille Begrüßungen später ertönte bereits ein:
„Achtung – Antreten zur Gepäckkontrolle“
Und schnellen Schrittes formierten sich die Gipfelstürmer – Aspiranten in Reih und Glied, wie ihnen geheißen.
Die Veteranen des seit Jahren stattfindenden Leistungstests wussten es bereits und bestätigten, was in den Marschanforderungen festgelegt wurde: Gepäckkontrolle bedeutete in diesem Fall die Überprüfung der permanent am Mann zu tragenden 10 Kilo Gewichtsbelastung. Verpflegung, Wasser und verbrauchbares Material nicht mit eingerechnet. Mit Argusaugen sichteten die Organisatoren per Handwaage jedes Ergebnis auf der Digitalanzeige und so mancher Rucksack erfüllte äußerst grenzwertig die vorgeschriebene Erschwernis. Es half nichts und so musste einer die Packordnung um Hantelscheiben-Einlagen erweitern, was sicher auch psychologisch ein in die Tiefe ziehendes Faktum darstellte.
In Formation wartend, lauschten wir nun trotz der dämmrigen Morgenstunde mit pochenden Herzen den kämpferischen Worten des Redners, der uns auf das bevorstehende Ausnahme-Ereignis einschwor. Vom Gipfelsturm als der Inbegriff einer Schlacht erzählten uns seine Worte. Davon, dass wir „nicht einfach auf einen Berg steigen würden“, sondern ein höheres Ziel darin sehen und damit verfolgen. Das Ziel der menschlichen Selbstveredelung und körperlichen wie geistigen Überwindung. Die grauen und verstaubten Niederungen des gesellschaftlichen Alltagstrotts hinter sich zu lassen, um sich durch einen womöglichen Gipfelsieg neu zu erschaffen.
Dunkelheit und ansetzender, zum Teil noch starker Regen setzten neben dem Schlafmangel unseren Sinnen bereits jetzt schon zu, ehe es noch eine organisatorische Leistungsunterteilung in drei Gruppen gab: Frontgruppe, Mittelabschnitt, Nachhut. „Keine Ausreden, ein jeder kann hier sein Tempo finden“, wurde uns gesagt. Schon kurze Zeit später bekamen diese Worte praktisches Gewicht, als sich, bedingt durch die individuelle Schrittleistung der Freiwilligen, wie durch Naturgesetze vorgegeben, ein jeder in „seiner“ Gruppe wiederfand.
Ein letzter Blick zum Himmel. Es beginnt. Ausrücken!
Schon in den ersten Minuten wurde einigen von uns gewahr, was der Tag uns noch für Herausforderungen bringen würde. Ein steiler, steiniger, erdfeuchter Weg, dessen Verlauf kein Ende nehmen und unsere Lungen in Brand setzen sollte, gab uns eine frühmorgendliche Kostprobe auf die kommenden Stunden.
Derweil hielten die einzelnen Gruppenführer, allesamt kundige und versierte Gebirgsveteranen, in fast schon routinemäßiger Professionalität via Funk Kontakt miteinander. Was uns als Repräsentanten der AG Körper und Geist seit Marschbeginn (und davor) bereits mehrfach auffiel: Diese Organisatoren überlassen absolut nichts dem Zufall. Alles ist beseelt von einem unglaublich hohen, mit chirurgischer Präzision ausgeführten Organisationsgrad, der einen höheren Willenshintergrund vermuten lässt.
Fast schon ironisch mutete die Diskussion unter manchen Teilnehmern über den Text und das Lied „Gipfelwärts“ der bekannten nationalen Hardcore-Gruppe Terrorsphära an, in dem davon die Rede ist, sich immer für den schwersten und härtesten Weg zum Gipfelsieg hoch – und emporzukämpfen. Denn schwer und hart war es allemal. Jeder erkämpfte Höhenmeter brachte uns natürlich dem Endziel näher, verbrauchte aber wie der bekannte stete Tropfen, der den Stein aushöhlt, nach und nach jede gespeicherte körperliche Reserve.
Trotz der angenehmen Kühle des Gebirgswaldes erdrückte uns dessen umschlingende Atmosphäre zunehmend und nahm einigen von uns den ohnehin nur noch in homöopathischen Dosen arbeitenden Atem, der mit jedem Schritt nach oben noch kürzer zu werden schien.
Endlich ließen wir unseren persönlichen „Fangorn“ hinter uns und erblickten die ersten Umrisse jener Felsformationen, die sich später als unsere steingewordene Herausforderung zu erkennen geben sollten.
Da waren sie wieder, die Worte des Redners in der Dunkelheit. Keine triviale Wanderschaft, kein Bergsteigen. Nein. Eine Schlacht. Eine einzige Schlacht mit und gegen sich selbst. Die verbrauchten, doch immer noch mit einem, wenn auch müden, Lächeln gezeichneten Gesichter der Marschierenden verkündeten das geistige Stahlgewitter, in dem sich ein jeder von uns befinden mochte, ganz gleich, in welcher Gruppe man sich gerade selbst bezwang und vor sich hin litt. Ein Licht, gipfelwärts, in der Dunkelheit.
Teil 2 in Kürze…
Der Gipfel des Gipfelsturms ist das/der Schwarzhorn (2927) in der Schweiz.
Es handelt sich aber um einen sehr einfachen Klettersteig, bin da auch vor kurzem oben gewesen.
Bei klarer Sicht kann man rüber zum Eiger, Mönch und Jungfrau schauen, ein sehr schönes Panorama.
Und wo fand der Gipfelsturm statt?