Am 25. Juli beginnen die Bayreuther Festspiele. Noch immer unterscheidet sich das Großereignis von den zahllosen „Kultur-Events“ in diesem Sommer. Denn Richard Wagner ist nicht nur der Komponist aller Werke, die in Bayreuth aufgeführt werden, sondern auch der Stammesvater der jeweiligen Festspielleiter. Die Traditionslinie von Richard Wagners Sohn Siegfried über die Enkel Wieland und Wolfgang bis hin zur Urenkelin Katharina Wagner ist ungebrochen. Um Geld braucht sich die Sippe allerdings keine Sorgen mehr zu machen. Getragen werden die Festspiele heute von vier Gesellschaftern: Der Bundesrepublik Deutschland, dem Freistaat Bayern, der Stadt Bayreuth und der „Gesellschaft der Freund von Bayreuth“ mit gutbetuchten Mitgliedern wie Georg Freiherr von Waldenfels.
Die Entscheidungsvorgänge sind entsprechend undurchschaubar. Da geht wieder einmal ein Wagner-Skandal durch die Zeitungen. Eva Wagner-Pasquier, Wolfgangs Tochter aus erster Ehe, war seit 2008 zusammen mit ihrer jüngeren Halbschwester Katharina als Festspielleiterin tätig. Noch vor Ablauf ihres Vertrages hat sie jetzt der Bannfluch ereilt. Vom 1. Juni bis 20. Juli finden die Proben statt. In dieser Zeit darf sie nicht in das Festspielhaus. „Hügelverbot“ nennt man das. Wer dahintersteckt, ist ungewiß. Die großen Feuilletons rätseln, ob es vielleicht der Dirigent Christian Thielmann ist, der im Juli bei der Premiere den „Tristan“ dirigieren soll und Eva Wagner auf keinen Fall bei seinen Proben sehen möchte.
Zuletzt hat es ein solches „Hügelverbot“ Mitte der 1970er Jahre gegeben. Winifred Wagner, Witwe von Siegfried Wagner und Mutter von Wolfgang und Wieland, hatte dem Filmemacher Hans-Jürger Syberberg ein ausführliches Interview gegeben und darin ihre unverbrüchliche Treue zu Adolf Hitler bezeugt. Winifred, die vorher als Festspielleiterin und Regisseurin erfolgreich war, bekam daraufhin von ihrem eigenen Sohn Hausverbot, um Bayreuth ein- für allemal zu „entnazifizieren“. Heute gehören Angela Merkel und Horst Seehofer zu den regelmäßigen Besuchern.
Eines dürfte feststehen, nämlich daß der jüngste Skandal im Hause Wagner keine politischen Gründe hat. Zwar ist gerade Christian Thielemann auch schon in Verdacht geraten, daß er alle Musik nach Richard Strauss als „entartet“ ablehnt, aber die beiden Wagner-Damen sind ebenso wie die Festspiele insgesamt von jeder programmatischen Aussage weit entfernt. Hans-Jürgen Syberberg, der 1982 einen großen „Parsifal“-Film vorlegte, hat zu den aktuellen Vorgängen nur die Schultern gezuckt: „Ach, wissen Sie, wenn das Künstlerische wegfällt, dann bleibt nur noch die Intrige.“ Intrigen als Anzeichen von Substanzverlust – das kennen wir aus der Politik.