„Mein Kampf“ ist nicht genug. Das Buch hat zwar 800 Seiten, doch die Historiker wollen von Hitler unbedingt mehr lesen. Nur so ist der Betrug mit den Tagebüchern zu erklären: plumpe Fälscher legten 1983 ein angebliches Hitler-Tagebuch vor, und die Experten merkten zunächst nichts. Schließlich stellte man fest, daß nicht einmal das Papier aus dem entsprechenden Zeitraum stammte. Nach dieser Riesenblamage war eine Weile Ruhe, aber im Jahr der Neuerscheinung von Mein Kampf (wir berichteten: Neuausgabe von „Mein Kampf“ ab Januar in deutschen Buchhandlungen) tritt nun wieder ein Historiker auf, der behauptet, Hitler habe vorher schon ein Buch geschrieben.
Allerdings unter Pseudonym, „weil man sich nicht selbst zum Führer ernennen kann“. 1923 kurz vor dem Putsch ist tatsächlich ein Buch mit dem Titel „Adolf Hitler: Sein Leben und seine Reden“ erschienen. Verfasser ist ein gewisser Baron Adolf-Viktor von Koerber, einer aus der Gefolgschaft. „Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit war aber Hitler der Autor“, behauptet Thomas Weber. Er lehrt an der Aberdeen Universität in Südafrika Geschichte. In Koerbers Nachlaß befinden sich angeblich Aussagen, die Hitler als Schreiber identifizieren. Hinzu kommt eine eidesstattliche Aussage der Witwe des damaligen Verlegers Ernst Boepple; auch sie belegt Hitlers Urheberschaft. Ob das reicht, können nur Fachleute entscheiden.
Für uns fragt sich, ob nun wiederum „die Geschichte umgeschrieben“ werden soll, wie bei den „Tagebüchern“, oder was sonst in dem ominösen Buch steht. „Dieser Fund ändert unsere bisherige Sichtweise auf Hitler in dieser Zeit“, sagt Thomas Weber, der vor kurzem das Buch „Wie Adolf Hitler zum Nazi wurde“ publizierte. „Bislang sahen wir Hitler in diesem Zeitraum eher als eine Art Trommler. Ein Strohmann für antidemokratische Strippenzieher wie den ehemaligen Ersten Generalquartiermeister Ernst Ludendorff aus dem Ersten Weltkrieg.“ Falls Hitler aber tatsächlich Autor des 1923 veröffentlichten Buchs war, hatte er deutlich vor dem Verfassen von „Mein Kampf“ bereits die geistige Führerschaft erlangt.
Nach dem Erscheinen von „Mein Kampf“ verlor Hitler das Interesse an seinem „Erstlingswerk“ und kümmerte sich nicht weiter darum. Mit einer Stilanalyse dürfte es relativ leicht sein, die Echtheit zu beweisen oder zu widerlegen. Denn Hitler schrieb in einer Eigenart, die man zwar bis zu einem gewissen Grad imitieren kann (wie beim Schwindel mit den Tagebüchern), aber ein Herr von Koerber, wenn er der Autor ist, hat sicherlich seinen eigenen Stil. Wahrscheinlich bringt es dieser Fall auch nicht zu einem unterhaltsamen Kinofilm wie „Schtonk!“ von Helmut Dietl mit einer brillanten Christiane Hörbiger als (angebliche) Nichte von Hermann Göring.