Im Folgenden die Fortführung unseres Gesprächs mit Angelika Willig zu Leben und Wirken Martin Heideggers. (Siehe Teil 1)
Der III. Weg: Nach 1945 weigerte sich Heidegger sich den üblichen „Bußritualen“ zu unterziehen und schwieg öffentlich zu seiner Rolle. Er bekam für einige Jahre Lehrverbot. 1953 publizierte er „Die Technik und die Kehre“ und „Der Feldweg“. Aus letzterem stammt das berühmte Zitat „Wachsen heißt: Der Weite des Himmels sich öffnen und in das Dunkel der Erde wurzeln“. Kannst du dieses Zitat erklären?
Angelika Willig: Das heißt in etwa das gleiche wie Goethes wohlbekannter Spruch:„Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.“ Also sehr einfach. In der zweiten Hälfte seines Schaffens neigte der anfangs so komplexe Heidegger dazu, Binsenweisheiten als große Einsichten zu verkaufen, und viele ehrfürchtige Anhänger fielen darauf herein. Der „Der Feldweg“ ist ein Beispiel dafür. Es hat aber mit der NS-Episode insofern zu tun, als Heidegger sich seitdem eigentlich nicht mehr weiterentwickelt hat, sondern auf ein- und derselben Position – wie sie im „Brief über den Humanismus“ am besten formuliert ist – zu beharren. Deshalb schweigt er auch zu seinem Aufbruch von 1933, weil er die Notwendigkeit dieses Aufbruchs, d.h. die Not, in der er und sein Denken sich damals befunden hatte, nicht eingestehen will. Er will so tun, als habe diese Parteinahme gar nichts weiter zu bedeuten, weder Gutes noch Schlimmes, und als sei sein großes Denken davon völlig unberührt.
In Wirklichkeit ist aber Heidegeers Denken nur sinnvoll als Vorbereitung, um mit der Philosophie abzuschließen und irgendwo ganz neu anzufangen. Sobald Heideger anfängt, selbstzufrieden in sich zu ruhen, wird er zum Kitsch.
Der III. Weg: Heidegger wurde später zu einem großen Technikkritiker, wie auch etwa Ernst Jünger, welcher sich noch in seinem Essay von 1932 „Der Arbeiter“ sehr positiv über den technischen Fortschritt geäußert hat. Wie begründet Heidegger seine Technikkritik?
Angelika Willig: Durch Technik machen wir uns das Dasein bequem und komfortabel und bekommen die Illusion einer starken Sicherheit. Wir haben also durch Technik den Blick verstellt auf das Leben, wie es eigentlich (von Natur aus) ist. Deshalb haben wir das Gefühl, nichts mehr zu erleben und fühlen eine Leere, die mit immer neuen Zerstreuungen betäubt werden muß. Geringgeschätzt wird das, was in der Stunde der Gefahr als das Rettende und Entscheidende auftaucht, nämlich die ursprünglichen Fähigkeiten, in der Wildnis oder im einfachen Bauerntum zu überleben. Dann kommt auch der Sinn von selbst ohne Zerstreuung und ohne Metaphysik.
Der III. Weg: In seinem Gespräch mit dem „Spiegel“ von 1966 sprach Heidegger sein zweites, berühmtes Zitat aus: „Nur ein Gott kann uns noch retten!“ Kannst du uns erklären, was Heidegger damit meint?
Angelika Willig: Heidegger sagt nicht „Kann nur Gott uns noch retten?“, sondern er sagt „ein Gott“. Er bezieht sich also auf die griechischen oder überhaupt die archaischen Gottheiten und schlägt hier eine Art Neuheidentum vor, wie er es schon im Zusammenhang mit der Hölderlin-Interpretation getan hatte, Stichwort „Das Geviert“. Er will im Interview vor allem sagen, daß er allen politischen oder technischen Lösungen der Menschheitsprobleme abgesagt hat und sich davon nichts erhofft. Offenbar erhofft er sich auch nichts von den Lehren, die die Natur uns gibt und gerade die ausgebeutete Natur, wenn sie zurückschlägt, denn dann braucht man nicht von Gott zu reden. Die Frage ist auch, was Heidegger eigentlich mit „uns“ meint. Für einen Teil der Menschheit könnte es ganz erfreulich sein, wenn die Kultur versinkt, die in Europa noch herrscht. Es zeigt sich auch in diesem Spiegel-Gespräch, obwohl Heidegger vorsichtig argumentiert, daß er seine Sicherheit und Präzision verloren hat und im Dunkeln tappt wie die meisten Zeitgenossen.
Der III. Weg: Angesichts der Entwurzelung des Menschen und dem drohenden Untergang Europas stellt sich auch die Frage, kann nur ein Gott uns noch retten?
Angelika Willig: Die Rede von Gott kann heute nur eine Ausflucht sein, was Heidegger auch weiß. Woran es aber fehlt, ist eine Autorität über die menschlichen Wünsche und Mehrheiten hinaus. Die hat auch der Philosoph nicht mehr, und deshalb nimmt Heidegger hier seine Zuflucht zum Gottesbegriff.
Der III. Weg: Das Spiegel-Interview wurde auf ausdrücklichen Wunsch Heideggers erst nach seinem Tod veröffentlicht, genauso wie auch erst 2014 und 2015 Heideggers „Schwarze Hefte“ erschienen und den 1976 verstorbenen Philosophen zurück in die aktuelle Debatte brachten. Es bleibt die Frage, ist Heidegger noch aktuell?
Angelika Willig: Heidegger gehört zu den philosophischen Klassikern und wird an allen Universitäten der Welt gelehrt. Vor vierzig Jahren hat er zusammen mit Friedrich Nietzsche die neue Strömung der Postmoderne wesentlich inspiriert. Auch die Literaturwissenschaft beruft sich vielfach auf Heidegger.
Aber das sind alles akademische Themen. In der Öffentlichkeit wird der Philosoph aus Meßkrich bezeichnenderweise immer dann aktuell, wenn es um sein NS-Engagement geht. Trotz aller fachlichen Verdienste ist die Berührung mit dem Nationalsozialismus der einzige Punkt, wo Heidegger unmittelbar an das stößt, was Hegel den „Weltgeist“ nannte. Also Geist, der sich als Geschichte manifestiert. Und in dieser Episode könnte die bleibende Aktualität Heideggers liegen, daß man sich immer wieder – und zwar produktiv – fragt, was hat ihn mit dem Nationalsozialismus verbunden, und warum ist er daran gescheitert. Und weiter: warum hat er dann doch schweigend darauf beharrt? Dieser Komplex führt in die Tiefen des deutschen und europäischen Daseins.
Der III. Weg: Zum Abschluss: Eine wichtige Rede hielt Heidegger 1955 in seinem Heimatort Meßkirch mit dem Titel „Gelassenheit“. Wie lässt sich Heideggers Gelassenheit verstehen, und wäre es möglich, im Sinne Heideggers „gelassen“ in den Widerstand gegen die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen zu gehen?
Angelika Willig: „Gelassenheit“ kommt von der Mahnung Heideggers zum „Seinlassen“. Das weist zu dem anfangs Gesagten: es ist eine Illusion zu meinen, daß der Mensch sein Dasein bestimmen kann. Das Sein selbst – das heißt alles zusammen, das große Ganze, Natur und Geschichte – befiehlt, und wir müssen uns fügen. Auch wenn wir ein Teil dieses Seins sind, gelingt es uns doch nie, es zu überwinden, auch nicht gedanklich. „Gelassenheit“ ist dann die Haltung, die historische Entwicklung und das eigene Schicksal anzunehmen als notwendig und unausweichlich, also eine Art Gottvertrauen ohne Gott.
Nützlich wäre allerdings für die nationalrevolutionäre Bewegung die Erkenntnis, daß es große historische Entwicklungen gibt, in die wir eingebunden sind, und die sich durch noch so viel Engagement nicht plötzlich umkehren lassen, wie auch umgekehrt ein fehlendes Engagement nicht gleich zum Untergang führt, weil es eben von einer Wahl oder einer Aktion gar nicht zu beeinflussen ist. Daß das winzige Wellenbewegungen sind in einem riesigen Meer, das wir kaum übersehen können. Und diese Einsicht, die man auch unter dem Begriff „Geschichtsphilophie“ (schon längst vor Heidegger) fassen kann, kann eine gewisse Verkrampfung abbauen und für den einzelnen beruhigend sein.
Was Heidegger aber meint, geht doch zu sehr in Richtung „Gottvertrauen“, weil er so tut, als ob am Ende alles gut werden müßte, wenn man nur „fromm“ ist, dabei kann das Schrecklichste tatsächlich geschehen, und der Trost, daß ich daran nichts ändern kann, geht nicht bis zu einer Haltung der ruhigen Gelassenheit, wenn ich das mit ansehen muß. Ich würde eher den Begriff „Gefaßtheit“ vorschlagen oder sogar einen bestimmten Heroismus, mit der man das Schlimmste würdevoll erträgt. Also Fassung, Würde, Standhalten, aber nicht „Gelassenheit“. Wie gesagt, Heidegger hat sich nach 45 eine leicht kitschige Schwarzwälder Idylle zurechtgemacht, in die ihm scharenweise die enttäuschte akademische Jugend der 50er Jahre gefolgt ist, um mit Anspruch unpolitisch sein zu können. Davor müssen wir uns bei Heidegger hüten und sollten uns auf „Sein und Zeit“ und die Begegnung mit dem Nationalsozialismus konzentrieren.