Die durch Sahra Wagenknecht ausgerufene linke Sammelbewegung nimmt langsam an Fahrt auf. Obwohl der offizielle Start zwar erst auf dem 4. September liegt, wurden vor einigen Tagen, genauer gesagt am 4. August, auf der Internetseite der nun „Aufstehen“ getauften Bewegung einige Videos veröffentlicht, die einen Einblick in deren Ziele und Ausrichtung geben. Zunächst wollen wir jedoch uns noch einmal die Themen vergegenwärtigen, mit denen Wagenknecht und ihr Lager, vor noch gar nicht langer Zeit, für teils heftigen Aufruhr sorgten. Wie wir sehen werden, hat sich von damals bis heute einiges getan.
Eines der ersten Dokumente, welches Wagenknechts Bewegung zugeschrieben wird und Einblicke in deren Ausrichtung bietet, wurde vor einigen Monaten veröffentlicht und trug den Titel #fairLand. Auf eine Nachfrage der Zeitung „Neues Deutschland“ sagte Wagenknecht aber schon damals, dass es sich bei dem Inhalt nicht um den aktuellen Diskussionsstand handle. Dass dieser Inhalt jedoch überhaupt zur Diskussion stand, ist in Anbetracht einiger der Punkte jedoch durchaus interessant. Zum Thema Globalisierung heißt es beispielsweise:
„Die Wirtschaft boomt, vor allem Großunternehmen profitieren von Globalisierung, Freihandel, Privatisierung und EU-Binnenmarkt. Für viele Wohlhabende hat sich das Versprechen „Europa“ erfüllt. Wer hoch qualifiziert und mobil ist, kann die neuen Freiheiten genießen. Im Gegensatz dazu hat knapp die Hälfte der deutschen Bevölkerung heute weniger Einkommen als Ende der neunziger Jahre. Für nicht wenige bedeuten innereuropäische Freizügigkeit und Zuwanderung vor allem: mehr Konkurrenz um schlecht bezahlte Arbeitsplätze. Aber auch für osteuropäische Arbeiter in deutschen Schlachthöfen und auf deutschen Feldern ist vor allem die Ausbeutung grenzenlos geworden. Und während Konzerne ihre Aktionäre in Dividenden baden, streiten die Ärmsten an den Tafeln um abgelaufene Lebensmittel.“
Weiter schreibt man:
„Wir unterstützen fairen internationalen Handel. Aber eine Globalisierung , die transnationalen Megakonzernen ermöglicht, demokratische Regeln zu umgehen und sich weltweit die billigsten Arbeitnehmer, die niedrigsten Steuern und die schlechtesten Standards auszusuchen, lehnen wir ab. Beschäftigte dürfen nicht länger Spielball rücksichtsloser Renditekalküle sein. Der Mensch ist kein Kostenfaktor. Nicht er ist für die Wirtschaft da, sondern die Wirtschaft muss dem Menschen und dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“
Neben der treffenden Feststellung, dass Globalisierung primär Großunternehmen dient, steckt im ersten Zitat, fast schon versteckt, die Aussage, dass Arbeitsmigration eine Form von Ausbeutung ist. Eine Erkenntnis, die man bei den angeblichen Arbeiterwohltätern bisher vergeblich suchte. Zum Thema Einwanderung heiß es dann weiter:
„Die Flüchtlingskrise hat in Deutschland zu großer Verunsicherung geführt. Wir lehnen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit ab. Aber wir halten die Art und Weise, wie die Regierung Merkel mit den Herausforderungen umgegangen ist, für unehrlich und inakzeptabel. Bis heute werden Städte, Gemeinden und ehrenamtliche Helfer weitgehend allein gelassen. Viele bereits zuvor vorhandene Probleme wie der Mangel an Sozialwohnungen, überforderte Schulen oder fehlende Kita-Plätze haben sich weiter verschärft. Am Ende leiden vor allem die ohnehin Benachteiligten. Wenn die Politik dann noch zuschaut, wie Hassprediger eines radikalisierten Islam schon 5jährigen Kindern ein Weltbild vermitteln, das Integration nahezu unmöglich macht, wird das gesellschaftliche Klima vergiftet.“
Dass man auf die Probleme der Einwanderung eingeht, aber trotzdem Bekenntnisse gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit abgibt, ist etwas, das man bei Wagenknecht und Co. in diesem Zusammenhang öfters beobachten kann. Schon hier sehen wir aber, dass die Integration von Ausländern, aber nach wie vor ein Ziel bleibt, womit klar ist, dass wir es hier mit keiner 180 Grad Wendung zu tun haben. Dies deckt sich mit dem, was Wagenknecht schon auf dem vergangenen Bundesparteitag der Linkspartei sagte, dass es in dem internen Streit zum Thema Einwanderung um Arbeitermigration gehen und ob Migranten uneingeschränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt haben sollten. Dass Verfolgte Hilfe und Asyl bekommen sollten, stehe für sie dagegen nicht zur Debatte.
Zum Abschluss des vierseitigen Papiers werden noch elf Punkte aufgestellt, die die Ziele der Bewegung darstellen sollen. Von den zu erwartenden Themen, wie Umweltschutz und Sozialstaat, abgesehen, findet man auch hier einige überraschende Dinge, wie beispielsweise die Forderungen nach „mehr Personal und bessere Ausstattung von Polizei“. Weiter gibt man sich im Punk 9 sehr EU kritisch und schreibt:
„Ein europäisches Deutschland in einem geeinten Europa souveräner Demokratien, bei Wahrung kultureller Eigenständigkeit und mit Respekt vor Tradition und Identität. Wir wollen kein Europa, in dem selbstherrliche Brüsseler Kommissare oder Berliner Politiker den einzelnen Ländern vorschreiben, wie sie ihre Politik zu gestalten haben. “
Punkt 10 befasst sich mit dem Thema Asyl und lautet:
„Hilfe für Menschen in Not: Das Recht auf Asyl für Verfolgte gewährleisten, Waffenexporte in Spannungsgebiete stoppen und unfaire Handelspraktiken beenden, Armut vor Ort bekämpfen und in den Heimatländern Perspektiven schaffen. “
Wie schon bei dem Auszug zum Thema Einwanderung zuvor, sehen wir hier das die linke Sammelbewegung in diesem Bereich keinen radikalen Umbruch fordert, auch wenn im Punkt 10 das Verlangen mitschwingt, die Probleme von Asylanten lieber außerhalb der BRD lösen zu wollen. Alles in allem ist sein Inhalt was die Einwanderungsfrage, die ohnehin mit die umstrittenste und bedeutendste ist, im Vergleich zu dem im Mai veröffentlichten Thesenpapier deutlich vager und zögerlicher, auch wenn die grundlegende Botschaft beider in eine ähnliche Richtung zeigt.
Wir setzten uns mit dem Thesenpapier eingehend auseinander (Siehe Artikel 1, 2, 3) und kamen zu der Feststellung, dass in ihm der interne Konflikt der eher klassischen Linken zum Ausdruck kommt, auf der einen Seite sich den gravierenden und vielfältigen Problemen der Masseneinwanderung bewusst zu sein, auf der anderen Seite jedoch noch immer linken Dogmen anzuhängen und nicht gewillt sind, diese grundsätzlich aufzugeben. Nichtsdestotrotz enthielt das Thesenpapier eine umfassende und substanzielle Kritik der derzeitigen Einwanderungspolitik, bei der kaum etwas schöngeredet wurde und der es, von der völkischen Perspektive einmal abgesehen, fast nichts hinzuzufügen gäbe. Im Gegensatz dazu waren die Argumente für Einwanderung und Asyl sehr dürftig und schon allein mit den Kritikpunkten und Argumenten, die die Autoren gegen Einwanderung ins Feld führten, zu widerlegen. Im Grunde hat man das Problem und dessen Lösung erkannt, will es aber nicht wahr haben.
Um diesen Konflikt zu lösen, versucht man dort, wo Realität und linke Glaubensgrundsätze sich unvereinbar gegenüberstehen, einen Kompromiss zu finden. Deutlich wurde diese Haltung, als Wagenknecht einen auf dem Parteitag der Linkspartei gefassten Beschluss, in dem man sich zu offenen Grenzen bekannte und Abschiebungen kategorisch ablehnte, als Kompromiss lobte, weil die Formulierung „offene Grenzen für alle Menschen“ nicht mehr im Wahlprogramm zur Bundestagswahl enthalten sei. Zu einer ähnlichen Einschätzung der linken Sammelbewegung kommt die Grünenpolitikerin Antje Vollmer in einem Gastbeitrag für den Spiegel, in dem sie die Bewegung als „Aufbruch aus dem Elfenbeinturm in die Wirklichkeit!“ beschreibt.
Diesen Ausbruch aus Realitätsverweigerung und Dogmatismus steht das Lager um Katja Kipping gegenüber, welches nach wie vor uneingeschränkte Solidarität mit sogenannten Flüchtlingen fordert und einige gehen so weit und versuchen Wagenknechts Bewegung in eine Ecke mit der AfD zu stellen oder ihr gleich nationalsozialistische Rhetorik zu unterstellen. Kritik gab es für Wagenknecht aber auch von anderer Stelle und nicht nur in Bezug auf ihren damaligen Standpunkt zum Thema Einwanderung. So hatte der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) ihr vorgeworfen, in einem Gastbeitrag für die Welt Vorurteile gegenüber Homosexuellen zu schüren. In dem Artikel, in dem sie ebenfalls ihre oben beschriebene Kritik der Arbeitermigration bestätigt, schreibt sie:
„Und sie alle haben diesem Uralt-Liberalismus, der aus der Zeit vor der Entstehung moderner Sozialstaaten stammt, die glitzernde Hülle linksliberaler Werte übergestreift, um ihm ein Image von Modernität, ja moralischer Integrität zu geben. Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz sind das Wohlfühl-Label, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu bereiten. “
Quelle: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article178121522/Gastbeitrag-Warum-wir-eine-neue-Sammlungsbewegung-brauchen.html
Weiter wirft sie dem Linksliberalismus vor, eine Liaison mit dem Goldmann-Sachs Kapitalismus eingegangen zu sein. Eine Anschuldigung, die der modernen Linken, die schon lange dem Kampf gegen das Kapital für den von Minderheiten gegen die Mehrheit eintauschte, sich aber nach wie vor als verwegene Systemgegner und Antikapitalisten gibt, sehr unangenehm sein dürfte. Die Reaktion der beiden Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping und Bernd Riexinger, bestätigt dies. Sie warfen Wagenknecht vor, mit ihren Äußerungen das unbedingte Bekenntnis zu den Menschenrechten infrage zu stellen.
Teil 2 folgt in wenigen Tagen…
Ich sehe da durchaus Potential. Festgefahrene Denkmuster legt man nicht von Heute auf Morgen ab. Ich würde sagen, ein Teil der Linken ist in der Realität angekommen. Den Sturz aus dem Elfenbeinturm müssen Sie erstmal verarbeiten. Das schaffen sicher nicht alle, aber bestimmt einige und es löst weitere gesellschaftliche Debatten aus. Wer in einem teuren Wohnviertel mit überwiegend deutscher Bevölkerung lebt, der bekommt von der Realität wenig mit. In den GroßStädten im Rhein-Main-Gebiet sind Grundschulen, Haupt- und Realschulen mit nur ein oder zwei deutschen Kindern keine Seltenheit. Und die werden dann als Schweinefleischfresser beschimpft und gemobbt. Alleinerziehende, hart arbeitende Mütter werden als Huren tituliert, während selber auf Staatskosten (Hartz-IV) gelebt wird. Die eigenen Kinder gehen in Grundschulen in den eigenen deutschen Vierteln und später aufs Gymnasium, wo auch kaum Ausländer sind. Und das sind dann solche, die gut „integriert“ sind. Will heißen, sie benehmen sich und passen sich an. Aber das machen Sie nur, solange sie in der Minderheit sind. Aber jetzt, wo selbst einfachste Wohnungen, wo Wohnen an sich für viele schon zum unbezahlbaren Luxus geworden sind, jetzt wachen auch die Wagenknechts der Republik langsam auf. Merkel mal für vier Wochen in einen Problembezirk stecken, dann könnte sie die Realität nicht mehr ignorieren. Man muss weder nationalistisch noch völkisch oder ausländerfeindlich sein, um zu erkennen, dass es nicht funktionieren kann, wenn immer mehr Menschen um immer weniger bezahlbare Wohnungen konkurrieren. Selbst bei den Tafeln, die in einem so reichen Land eine Schande sind, werden die Lebensmittel knapp. Ein weiterer Zuzug kann nicht funktionieren, das ist einfachste Mathematik. Genauso wie das kapitalistische Dogma vom stetigen Wachstum rein rechnerisch nicht funktionieren kann. Es ist längst an seine Grenzen gestoßen. Und es war schon lange vorhersehbar, genau wie der Klimawandel. Aber alle tun so, als wären Klimawandel und Wohnungsnot Naturkatastrophen, die unvorhersehbar über uns hereingebrochen sind.
Da hst du absolut recht, mit dem was du schreibst.