Der US-Ölpreis bei terminierter Auslieferung im Mai dotierte am 20. April 2020 erstmals in der Wirtschaftsgeschichte negativ. Ein negativer Ölpreis bedeutet, dass die Käufer Zahlungen für die Abnahme erhalten. Hintergrund ist der abrupte Nachfragerückgang aufgrund des massiven Wirtschaftseinbruchs durch weltweite Ausgangs- und Kontaktsperren sowie erschöpfte Lagerkapazitäten. Einige Ökonomen sehen im historischen Tiefstand des Weltmarktpreises ein Zeichen, dass die Wirtschaftskrise im Zusammenhang mit der Corona-Krise deutlich schlimmer als die große Depression wird.
Das Ölpreiskartell OPEC konnte sich vor kurzem nach längerem Streit und Intervention der US-Regierung, auf eine Verringerung der Fördermenge einigen. Zudem versuchte die US-Regierung den Öl-Überschuss aufzukaufen und in die strategischen Reserven zu überführen um die US-Ölindustrie zu schützen. Das ist jedoch nun wohl nicht mehr möglich da die Lagerkapazität der strategischen Ölreserve erschöpft ist. Auch andere Staaten sollen zeitnah an die Grenzen ihrer Lagerkapazität stoßen.
OPEC-Kartell
Hintergrund der Börsenachterbahn am Ölmarkt ist folgende Situation: Im Zuge wachsender Ölbedarfe in den vorherigen Dekaden haben die Staaten ihre Erdölförderung massiv ausgeweitet. Insbesondere in den Vereinigten Staaten und in Kanada wurde durch Fracking ein neuer Weg zur Ölgewinnung erschlossen. Dieses Verfahren ist jedoch deutlich preisintensiver (und umweltschädlicher) als die Gewinnung durch klassische Bohrungen. Die Vereinigten Staaten haben durch diese Technologie quasi wieder Öl-Autarkie erreicht. Allerdings benötigen Teile der US-Ölindustrie damit einen deutlich höheren Öl-Preis um zumindest kostendeckend arbeiten zu können. Gleichzeitig sind weltweit viele andere Staaten auf Erlöse aus dem Ölhandel angewiesen.
Zudem haben diese aber natürlich auch ein Interesse die kostenintensiveren Konkurrenten durch vorübergehend niedrigere Preise auszuschalten. Allgemein stehen die Produzenten vor dem Problem, dass sie zwar einen höheren Preis wünschen um ihren Erlös zu maximieren aber einzelne Produzenten, durch Förderkürzungen, nicht in der Lage sind den Preis ausreichend zu erhöhen um selbst davon zu profitieren. Alle einzelnen Produzenten steigern also ihren Erlös, wenn sie die Fördermenge erhöhen, aber kollektiv minimieren sie durch die folgende Überproduktion ihren Gewinn. Zur Umgehung des Problems besteht das OPEC-Kartell.
Zur Zeiten der Coronakrise wird das Problem jetzt besonders akut: Die Öl-Staaten stehen verringerten Einnahmen sowie wachsenden Ausgaben gegenüber und sind daher auf die Erlöse noch mehr als sonst angewiesen und möchten sich daher nicht beschränken. Deswegen, und vermutlich auch um die Konkurrenz auszuschalten, haben die OPEC-Staaten lange auf eine Drosselung verzichtet und haben später, nach Intervention der US-Regierung, lediglich eine moderate Drosselung vereinbaren können. Scheinbar war dies nicht ausreichend um einen Kollaps zu verhindern und das jahrelange Vorgehen rächt sich.
Unabhängig von der am Ölmarkt spezifischen weltpolitischen Dynamik, zeigt uns der Vorgang dass die Marktgläubigen irren wenn sie pauschal den Markt als idealen Verteilungsmechanismus glorifizieren. Teilnehmer können durch Marktmacht und Absprachen nicht leistungsgerechte Vorteile erzielen, und in Krisensituationen dann die Allgemeinheit zu Rettung nötigen werden.