Zu den bedeutendsten Daten der deutschen Geschichte gehört unzweifelhaft der 18.01.1871. Mit der Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles begann symbolisch das zweite deutsche Reich, das zur langersehnten staatlichen Einheit großer Teile des deutschen Volkes führte. Für immer verbunden ist dieses geschichtsträchtige Ereignis mit dem Namen Otto von Bismarck, dessen jahrelange diplomatischen Künste schließlich den Traum der Reichsgründung ermöglichte. Doch bis zu jener Kaiserkrönung in Versailles war es ein langer Weg.
Die Vorgeschichte
Preußens Sieg über Österreich in der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 zwang die Donaumonarchie aus dem Deutschen Bund und legte den Grundstein zu einem deutschen Nationalstaat unter preußischer Vorherrschaft. Preußen annektierte die im so genannten Deutschen Krieg mit Österreich verbündeten Staaten Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt am Main sowie die Herzogtümer Schleswig und Holstein und entthronte die jeweiligen Herrscher. Mit dieser Gebietserweiterung war die von Preußen lange ersehnte Landverbindung zwischen den Altprovinzen und dem wirtschaftlich bedeutenden Rheinland hergestellt. An Stelle des aufgelösten Deutschen Bunds setzte Bismarck den Norddeutschen Bund, in den alle deutschen Staaten nördlich der Mainlinie eingegliedert wurden. Der Norddeutsche Bund war kein lockerer Staatenbund mehr, sondern ein Bundesstaat mit dem Bundeskanzler – in Doppelfunktion vom preußischen Ministerpräsidenten Bismarck ausgeübt – als oberstes Regierungsorgan, mit einheitlicher Außen- und Militärpolitik sowie mit Verfassung und Militär. Preußens zunehmende Hegemonie in Deutschland betrachtete vor allem Frankreich mit großer Sorge, das um seine Vormachtstellung in Mitteleuropa fürchtete. Bismarck gelangte zu der Überzeugung, dass eine militärische Auseinandersetzung mit Frankreich nur eine Frage der Zeit sei und sah in einem Krieg das geeignete Mittel, den Einigungsprozess Deutschlands „durch Blut und Eisen“ zu vollenden. Da sich die süddeutschen Staaten zur Waffenbrüderschaft mit Preußen verpflichtet hatten, sollten sie in einem gemeinsam gegen Frankreich geführten Krieg auch politisch in das neue Reich eingebunden werden. Anlass zu einem Krieg bot der Konflikt um die Thronfolge in Spanien, in deren Folge und nach gegenseitigen Provokationen Frankreich dem Königreich Preußen am 19. Juli 1870 den Krieg erklärte.
Die patriotische Begeisterung in Deutschland schlug 1870 ähnlich hohe Wellen wie in den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 gegen Napoleon I. (1769-1821). Die süddeutschen Staaten zögerten nicht, ihren Bündnisverpflichtungen nachzukommen und sich an die Seite Preußens zu stellen. Am 2. September 1870 gelang den verbündeten deutschen Truppen der entscheidende Sieg bei Sedan. Während die deutschen Truppen nach Paris vorstießen und den Belagerungsring um die Hauptstadt schlossen, betrieb Bismarck ab September 1870 diplomatische Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten, um noch während des Deutsch-Französischen Krieges die Reichseinigung als „Revolution von oben“ zu vollenden. Unter dem Eindruck des Kriegs traten die süddeutschen Staaten dem Norddeutschen Bund bei und machten damit den Weg für die Reichseinigung frei. Die langwierigen Verhandlungen fanden ihren Abschluss in den „Novemberverträgen“: Sie umfassten den Vertrag mit Baden und Hessen über die Gründung des Deutschen Bunds – so die ursprünglich vorgesehene Bezeichnung des Deutschen Reichs – vom 15. November, die norddeutsche Militärkonvention vom 25. November sowie die Verträge mit den Königreichen Bayern und Württemberg über den Beitritt zur Deutschen Bundesverfassung vom 23. und 25. November 1870.
Die Verfassung des Deutschen Reiches, die mit Wirkung zum 1. Januar 1871 in Kraft treten sollte, musste zunächst durch den Bundesrat, den Reichstag des Norddeutschen Bunds und die süddeutschen Kammern genehmigt werden. Eine Deputation des Reichstags reiste anschließend ins Hauptquartier nach Versailles, um Wilhelm I. um die Annahme der Kaiserwürde zu bitten und so das Werk der Einigung zu vollenden. Der preußische König kam diesem Ansinnen am 18. Dezember 1870 nach, genau einen Monat später – auf Wunsch Wilhelms I. am 170. Jahrestag der Erhebung des Kurfürsten von Brandenburg zum König in Preußen vom 18. Januar 1701 – riefen die versammelten deutschen Fürsten und hohe Militärs im Spiegelsaal von Versailles Wilhelm I. zum „Deutschen Kaiser“ aus. Die Kaiserproklamation blieb im deutschen Bewusstsein der eigentliche Reichsgründungsakt. Die Mehrheit des deutschen Volkes erblickte darin die Erfüllung der nationalen Wünsche und einen Höhepunkt der deutschen Geschichte. Nach der Kaiserproklamation vom 18. Januar 1871 hissten am folgenden Tag die deutschen Belagerer auf der Festung Vanves südwestlich von Paris die deutsche Fahne in Schwarz-Weiß-Rot, die Farben des Norddeutschen Bunds, die das neu gegründete Kaiserreich übernahm. In Deutschland waren die meisten Menschen im nationalen Überschwang und in nahezu einmütiger Geschlossenheit begeistert über die Reichseinigung, auch wenn vor allem in den süddeutschen Staaten Skepsis aufgrund von Animositäten gegenüber Preußen zu vernehmen war. Für die Franzosen bedeutete die Kaiserproklamation in dem nationalen Identifikationsort von Versailles sowie vor allem die Abtretung Elsass-Lothringen an Deutschland Schmach und Demütigung.
Die Emser Depesche und die Ära Bismarcks
Die Emser Depesche war der Auslöser des Deutsch-Französischen Krieges 1870. Dabei ging es um Streitigkeiten um die Thronfolge im Königreich Spanien. Kandidat für dieses Amt war unter anderem Prinz Leopold von Hohenzollern. Frankreichs Kaiser Napoleon III. wollte dessen Einsetzung als spanischer König aber unbedingt verhindern, da Frankreich ansonsten von zwei Hohenzollern eingekreist worden wäre. Daher wurde Preußens Wilhelm I. schriftlich aufgefordert, dass ein Hohenzollern zukünftig auf die spanische Thronfolge verzichten solle. Nachdem dies abgelehnt und in verkürzter Form in der Presse veröffentlicht wurde, fühlten sich die Franzosen gedemütigt und erklärten Preußen den Krieg. Damit kam es zum letzten Einigungskrieg, der zur Gründung des Deutschen Kaiserreichs führte.
Als Reichskanzler prägte Bismarck von 1871 bis 1890 ganz wesentlich die Innen- und Außenpolitik. Er versuchte im Kulturkampf von 1871 bis 1878 den Einfluss der katholischen Kirche auf staatliche Angelegenheiten zu unterbinden. Bismarck ging außerdem mit den Sozialistengesetzen entschieden gegen die marxistische Bewegung vor, gleichzeitig versuchte er durch seine Sozialgesetzgebung mit der Schaffung der Sozialversicherungen die Lebensbedingungen der Arbeiterschaft zu verbessern.
Außenpolitisch schuf Bismarck mitten in Europa einen wirtschaftlich und militärisch starken Nationalstaat, den die europäischen Nachbarn, insbesondere Frankreich, fürchteten. Ziele waren die Vermeidung eines Zweifrontenkriegs für Deutschland (gegen Russland und Frankreich), die Isolation Frankreichs („Erbfeindschaft“ nach dem Krieg von 1870/71) und die Herstellung eines Bündnissystems, so dass kein Land ein anderes angreifen konnte, ohne Gefahr zu laufen, selbst von mächtigen Gegnern angegriffen zu werden.
Nach dem Sieg über Frankreich 1870/71 erklärte Bismarck, Deutschland sei „saturiert“. Deutschland beabsichtige nicht, sein Territorium zu vergrößern. So gelang es ihm, europäische Bündnisse gegen ein starkes Deutsches Reich zu verhindern und ein Bündnissystem zugunsten des Deutschen Reichs aufzubauen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs sollte es Jahrzehnte des Friedens und der Prosperität bringen, am Ende jenes Weltenringens lag jedoch der Zusammenbruch des Kaiserreiches. Dieser kam zwar für viele Deutsche überraschend, aber nicht von ungefähr, denn die Saat des späteren Zusammenbruchs wurde bereits Jahrzehnte vor der Abdankung des Kaisers gelegt.
Das zweite Reich aus nationalrevolutionärer Sicht
Zwar wurde mit dem zweiten Reich ein großer Teil des deutschen Volkes in einen Nationalstaat zusammengefasst, jedoch ausschließlich in einem föderalen Gebilde. Die gegenseitigen Feindschaften unter den deutschen Stämmen, der Streit um Befugnisse und Verpflichtungen und der innerstaatliche Flickenteppich blieben trotz aller betonten Einheit erhalten. So unterhielt beispielsweise Bayern noch 1914 eigene diplomatische Vertretungen in Frankreich, Österreich-Ungarn, Russland, Italien, beim Vatikan und in der Schweiz. Gleichzeitig kannte das Deutsche Reich keine eigenen Orden, denn diese waren weiterhin die Rechte der Landesherren und Bundesstaaten. So konnte ein Bayer im Schützengraben des ersten Weltkriegs noch völlig andere Orden erhalten als der neben ihm im Dreck liegende Württemberger oder Sachse. Die Königreiche Württemberg und Bayern behielten sich sogar eine eigene Heeresorganisation vor und die verschiedenen Adelsgeschlechter pochten auf ihren jeweiligen Privilegien.
Nicht nur in militärischen Aspekten und im Verwaltungsbereich blieb das Reich gespalten, auch sozial war man weit von einer Einheit entfernt. So vorbildlich Bismarcks Sozialgesetzgebung zu seiner Zeit war, blieb sie dennoch letzendlich nur ein Mittel, um der wachsenden marxistischen Bewegung das Wasser abzugraben und basierte nicht auf echter sozialer und antikapitalistischer Gesinnung. Von einer Volksgemeinschaft war man weit entfernt, viel mehr bestand durchaus eine Klassengesellschaft, die sich etwa auch im preußischen Dreiklassenwahlrecht manifestierte, das bis 1918 andauerte. Gerade deswegen konnte das Schlagwort der in den Schützengräben zum ersten Mal erfahrenen Volksgemeinschaft später in den politischen Kämpfen der Weimarer Republik solche Schlagkraft erhalten und nur wegen der sozialen Deklassierung und materieller Armut großer Teile der Arbeiterschaft konnte die marxistische Bewegung vor dem Krieg solche Größe erreichen. Viele weitere Faktoren – konfessionelle Spaltungen, Adelskonflikte und ein bürgerlicher Standesdünkel um nur drei zu nennen – waren Risse im Fundament des Reiches, die sich über die Jahrzehnte des Bestehens immer weiter ausbreiten und schlussendlich zum Zusammenbruch führten.
Schlussendlich war es oftmals nur ein äußerer, teils extrem überzeichneter Nationalismus ohne inneres Erleben und Konsequenz, der zur stillen Abdankung des Kaiserreiches im Jahr 1918 führte. Die fast fünf Jahrzehnte nach 1871 waren geprägt von einem materialistischen Geist, wirtschaftlichem Profitdenken und einer immer mehr verkrusteten bürgerlichen Gesellschaft. Wetterleuchten wie das Aufkommen des Wandervogels als Aufbruch der romantischen Sehnsucht der deutschen Jugend gegen eben jene erstarrende Zeit, die Massenauswanderung von über zwei Millionen Deutschen aus der wirtschaftlichen Not und die zuletzt nur noch zur Hülle gewordenen Paraden und Fahnen ohne innere Verbindung zur Nation sind unübersehbare Vorzeichen des späteren Endes. Es war jene Haltung, der Nietzsche von der „Exzerption des deutschen Geistes zugunsten des deutschen Reiches“ sprechen ließ und die ihn aus Verzweiflung darüber eine straff antinationale Haltung einnehmen ließ. Heinrich Manns antinationale und überzeichnetee Parodie „Der Untertan“ eben jener wilhelminischen Gesellschaft, die gerade keine Gemeinschaft war, war gerade deshalb ein Verkaufserfolg, weil sie trotz aller Einseitigkeit und Überspitzung doch einen wahren Kern traf. Der Zusammenbruch 1918 lag daher nicht nur an äußeren Einflüssen, sondern geschah gerade aufgrund der inneren Fehler des Kaiserreiches.
Anlässlich des 150. Jahrestag der symbolischen Reichsgründung gilt es daher, sowohl die nationale Bedeutung in Ehren zu halten, an Bismarck und sein Vermächtnis zu erinnern und einen Teil unserer Identität zu bewahren, aber dennoch nicht blind für die Fehler jener Jahre zu sein. Bismarck schuf nahezu übermenschliches, aber konnte doch nur ein Reich gründen, das seiner Zeit und seinem Wesen entsprach. Es war vieles: Ein föderales Reich, ein sozialer Rechtsstaat. Eine Zeit des Friedens und deutsche staatliche Einheit – aber es war eben kein nationalrevolutionärer Staat. Wenn man anlässlich eines solchen Datums den Blick in die Vergangenheit richtet, dann auch, um ihn umso schärfer in die Zukunft zu richten und damit auf das Ziel, das ein Bismarck menschlich wie faktisch nicht erreichen konnte – den Deutschen Sozialismus!
[spreaker type=player resource=“episode_id=42940845″ width=“100%“ height=“200px“ theme=“light“ playlist=“false“ playlist-continuous=“false“ autoplay=“false“ live-autoplay=“false“ chapters-image=“true“ episode-image-position=“right“ hide-logo=“false“ hide-likes=“false“ hide-comments=“false“ hide-sharing=“false“ hide-download=“true“]
Sehr richtig dargestellt. Es ist wichtig, gerade die jüngere Generation mit diesem Wissen zu bereichern. WissensArmut über unsere Geschichte ist ein gewollter Zustand der Volkszerstörer!
Das Wissen um geschichtliche Zusammenhänge erklärt vieles was auch heute eine Rolle spielt. (Z.b. das Denken und Handeln der Franzosen in der EU)
Die Verbindung von vöĺkischem Bewusstsein und Sozialer Ordnung in einem Volkssozialismus musste erst seine Zeit finden. Das daraus letztlich ein Europäischer Ordnungsgedanke auf rassisch-völkischer Grundlage entstehen sollte, lag an äusseren Faktoren (Krieg)…..war aber bereits im Grunde schon im NS angelegt.
Heute sehen wir das genau DIES von den Feinden (aller Europäischen Völker) erkannt und angegriffen wird !
-Steiner-