Zur Geschichte des olympischen Gedankens (Teil 2/3)

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Curtius fand in Wilhelm Dörpfeld einen genialen Nachfolger, der sein ganzes Leben der Forschung und Deutung Olympias widmete. Sein 1935 erschienenes Werk „Alt-Olympia, Untersuchungen und Ausgrabungen zur Geschichte des älteren Heiligtums von Olympia in der griechischen Kunst“ ist ein Musterbeispiel archäologischer Fundbeschreibung und wissenschaftlich exakter Analyse. Das uns heute geläufige Gesamtbild der Altis von Olympia und ihrer näheren Umgebung ist im wesentlichen Dörpfelds Werk.

Auch der Plan des Museums in Olympia, das der Berliner Architekt Friedrich Adler erbaute, geht auf ihn zurück. Im Jahre 1929 entdeckte er unter den Propyläen des historischen Pelopions in einem Umkreis von gut dreißig Metern einen uralten Steinring; Dörpfeld glaubte damit den Grabhügel des Königs Pelops entdeckt zu haben, jenes sagenhaften Helden, der, ein Sohn des Tantalos, in der Gegend des späteren Olympia König von Elis im Wagenrennen besiegte.

Nach Dörpfeld setze Carl Diem bis in die fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts die Arbeit in Olympia fort; mit der Ausgrabung des ersten Stadions wurde diesem verdienstvollen Manne ein langgehegter Wunsch erfüllt.

Doch seit wann lassen sich die Olympischen Spiele datieren? Als urkundlich belegt läßt man das Jahr 776 v. d. Ztr. gelten. Damals sollen Lykurg von Sparta und König Iphitos von Elis übereingekommen sein, im Rahmen eines dreimonatigen Friedensfestes alle vier Jahre Zeus zur Ehre bestimmte Wettkämpfe durchzuführen. Dieser Vertrag wurde in feierlicher Form auf einem Bronzediskus festgehalten.

Das Programm des olympischen Wettbewerbs wuchs in den folgenden Jahrhunderten auf achtzehn Disziplinen an, also auf fast so viele, wie für München vorgesehen waren. Man maß sich z. B. im Stadionlauf (192,27 Meter), im Doppelstadion- und Langlauf (4,5 Kilometer). Man übte sich im Diskus- und Speerwurf, im Wagenrennen und Weitsprung, im Ringen und Pankration, einem gemischten Faust- und Ringkampf. Die Krone aller Wettkämpfe aber war das Pentathlon, der olympische Fünfkampf, der sich aus Weitsprung, Diskus- und Speerwurf, Stadionlauf und Ringen zusammensetzte.

Nur ein in seinen Kräften vielseitig veranlagter Wettkampfteilnehmer konnte in dieser Disziplin mithalten. Sie zielte auf Harmonie, auf Schönheit der körperlichen Bewegung; in ihr kam das griechische Erziehungsziel am klarsten zum Ausdruck. Die Kämpfe schlossen jedesmal mit dem Waffenlauf. Der fünfte Tag blieb der Siegerehrung vorbehalten.Viel zu wenig ist bekannt, dass sich die Griechen in Olympia nicht allein in den athletischen Disziplinen maßen, sondern ebenso gewissenhaft in den musischen. Man ermittelte die Besten in der Kunst der Rede und Gegenrede, in der Schönheit des Gesangs, in der dramatischen und lyrischen Dichtung. Solche musischen Wettkämpfe blieben nicht ohne Wirkung auf die griechische Kultur. Sie halfen das Goldene Zeitalter heraufführen, aus dem uns noch heute Namen wie Sterne leuchten, so der Dichter Aeschylos, Sophokles, Euripides, Aristophanes, Pindar, ferner Demokrit, Herodot, Gorgias, Thukydides, Hippokrates, Xenophon, Platon, Isokrates.

Hippias verfasste die olympische Siegerliste, Aristoteles nach ihr die seine. Herodot trug auf der 84. Olympiade (444 v. Ztr.) seine Geschichtsdarstellung vor, an der sich Thukydides entzündete. Unsterblichen Ruhm erlangten Baumeister und Bildhauer wie Myron, Polyklet, Skopas, Praxiteles und Phidias, dessen Zeusstatue das Herzstück der Altis wurde und bald als eines der sieben Weltwunder galt. Phidias hatte bereits in seiner Vaterstadt das Kolossalstandbild der Athene Parthenos geschaffen, war aber unter dem Vorwand, Gold veruntreut zu haben, in den Kerker geworfen worden. Er konnte entweichen und Asyl in Olympia finden, wo die Eleer ihm eine Werkstatt einrichteten. Bald darauf rehabilitierte er sich mit dem Standbild des Zeus. Der Schriftsteller Chrysostomos läßt in einer seiner Schriften Phidias folgendermaßen zu Worte kommen: „Unser Zeus aber ist friedlich und in allen Zügen mild, gleichsam der Obwalter über ein einträchtiges, durch keine Parteiungen zerrissenes Hellas. Diesen habe ich hingestellt, nachdem ich mit meiner Kunst und mit der weisen und trefflichen Gemeinde Eleer zu Rate gegangen, sanft und her, mit ungetrübt heiterer Miene, ihn, den Gebe des Lebens und Gedeihens und aller Güter, den gemeinsamen Vater, Retter und Hüter der Menschen, soweit es einem Sterblichen vergönnt war, in seine Gedanken sich ein Bild zu machen von der überschwenglichen Größe dieses göttlichen Wesens.“

Zu den Olympischen Spielen hatten die Frauen im Altertum keinen Zutritt. Nur der Priesterin der Demeter stand ein Ehrenplatz auf dem Marmorthron gegenüber der Kampfrichtertribüne zu. Die Vermutung liegt nahe, dass die Gegenwart der Fruchtbarkeitsgöttin auf einen weit älteren Kult verweist, der noch vor etwa fünftausend Jahren in ganz Europa beheimatet war und vielleicht erst mit dem Einzug der Achäer und Jonier in Hellas von einem patriarchalisch bestimmten Weltbewusstsein abgelöst wurde. Auch die Heräen, die Wettkämpfe der Frauen zu Ehren der Zeus Gemahlin Hera, müssen wohl im Sinne des Magna-Mater-Kultes gedeutet werden. Diese Spiele fanden immer unmittelbar vor oder nach den Wettkämpfen der Männer statt.

Wenn aber nach Dörpfelds Aussage Olympia das Grab Pelops, des Eindringlings aus dem Norden, bis in die Gegenwart zu bergen wußte, dürfte ein indogermanischer Totenkult als Keim der Olympischen Spiele nicht ausgeschlossen sein. Bereits im Jahr 1580 v. Ztr. schleuderte ein Grieche namens Asklepiades den Diskus, das Zeichen der Sonne, über das Kampffeld. Er wurde Sieger und damit gewiß Künder einer neuen Zeit.

Die Auseinandersetzung auf peloponnesischem Boden zwischen den Alteingesessenen und den nunmehr eindringenden Völkern muß in aller Grausamkeit und Verbitterung stattgefunden haben. Jeder wollte und musste sich behaupten; so dauerten diese Kämpfe viele lange Jahre. Und sie flammten erneut auf, als zu den Achaiern und Joniern noch die Dorer stießen.

Friedrich Nietzsche hat uns als erster von dem Wahn befreit, griechische Kultur müsse von Anfang an etwas unerhört Humanes gewesen sein. Schon Kleist rebellierte instinktiv mit seiner Tragödie „Penthesilea“ gegen diese Auffassung. Nietzsche schreibt in seiner bemerkenswerten Studie „Homers Wettkampf“: „Wenn man von Humanität redet, so liegt die Vorstellung zugrunde, es möge das sein, was den Menschen von der Natur abscheidet und auszeichnet. Aber eine solche Abscheidung gibt es in Wirklichkeit nicht; die natürlichen Eigenschaften und die eigentlich menschlich genannten sind untrennbar verwachsen. Der Mensch in seinen höchsten und edelsten Kräften ist ganz Natur und trägt ihren unheimlichen Doppelcharakter an sich. Seine furchtbaren und als unmenschlich geltenden Befähigungen sind vielleicht sogar der fruchtbare Boden, aus dem allein alle Humanität in Regungen, Taten und Werken hervorwachsen kann.“

Wann genau es zum Ausgleich der Kräfte, zum erträglichen Nebeneinander der Völkerschaften gekommen ist, wissen wir nicht. Es muß aber eines Tages etwas geschehen sein, das die stets Kampfbereiten von blutigen Auseinandersetzungen abgelenkt hat. Es muß etwas ungemein Ehrfurcht Erweckendes und zugleich Phantasie Belebendes gewesen sein, vielleicht der Tod einer von allen Parteien geachteten Persönlichkeit, der zur rechten Stunde dem die Zunge löste, der Kunde zu geben wußte von den Taten der Toten. Also hatten, aus dem Mythischen schöpfend, Wort- und Liedgewaltige das Menschenlos an ein Obwaltendes gebunden.

In diesem Sinne sind sicherlich Jahrhunderte hindurch die Heldentaten des Herakles besungen und in kultischen Spielen dargestellt worden. Wie es heißt, war Herakles die Zahl Fünf heilig; auch die Dorer, die ihn vor allen anderen Helden verehrten, maßen dieser Zahl eine besondere Bedeutung bei. Das hat Jürgen Spanuth in seinem Werk „Atlantis“ überzeugend dargelegt. So nimmt es nicht wunder, dass die Olympiaden seit dem Einfluß der Dorer für lange Zeit durch einen Fünfjahres-Rhythmus abgelöst werden. Seit Schliemann Troja entdeckte, seit Spanuth uns einen urgermanischen „Fluchtweg“ freilegte (vom Nord-Ostseeraum bis ans Mittelmeer), sollten gerade wir Deutsche uns veranlaßt sehen, in Olympia nach den Grundzügen unseres Wesens zu forschen; denn „der Mensch ist das Resultat der Vergangenheit, in ihm wird sie geehrt“ sagte Nietzsche, und er fügt an anderer Stelle hinzu: „ Auch das Persönliche hat nur Ruhm, wenn es in ferne Mythen gehüllt wird.“ In diesem Sinne bewahrt Homer der Nachwelt Taten der Ahnen. Die Ilias entsteht, die Odyssee erklingt und der Dichter erwirbt mit diesen beiden Werken seinem Volk und den Göttern eine unzerstörbare Heimat.

 

Fortsetzung folgt…

 

Zum Nachlesen: Teil 1

 

Quelle: Siegfried Bokelmann, Zur Geschichte des olympischen Gedankens, Deutschland in Geschichte und Gegenwart – Heft Nr. 4, Grabert-Verlag Tübingen 1972

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