Ein differenzierter Blick auf Chinas Sozialpunktesystem – Teil 5/5

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Eine Frage des Kontextes

Es ist aus gutem Grund gängige Praxis, dass ein Angeklagter vor Gericht die Gelegenheit erhält, sich für sein Handeln zu rechtfertigen und nicht selten können die Umstände einer Tat einen entscheidenden Einfluss auf das Urteil haben.

Wir zeigten bereits am Beispiel einer trivialen Alltagssituation, wie der Kontext einer Handlung beeinflusst, wie diese zu bewerten ist. An anderer Stelle sprachen wir davon, dass man den Kauf kleiner Pkws fördern sollte, was allgemein gesprochen auch korrekt ist, doch wer viele Kinder hat, braucht ein großes Auto und sollte daher nicht für dessen Kauf bestraft werden. Diese Ausnahme von der Regel mag offensichtlich sein, doch auch hier ließen sich endlos weitere, immer vielschichtiger, Beispiele finden. Was für negative Handlungen gilt, gilt ebenso für positive.

Im chinesischen System kann man durch soziale Arbeit oder Spenden Bonuspunkte erhalten, doch Zeit und Geld haben für unterschiedliche Personen einen unterschiedlichen Wert. Eine Spende von 100€ mag für den Einen Nichts, für den Anderen jedoch ein großes Opfer sein. Da es uns nicht um das Geld an sich, sondern den Geist geht, müsste man beides unterschiedlich bewerten.

Es sollte klar geworden sein, daß eine Handlung nur selten losgelöst von ihrem Kontext betrachtet werden kann und das dieser beliebig an Komplexität gewinnen kann. Manche der erwähnten Zusammenhänge, wie der zwischen der Anzahl er Kinder und der Größe des Autos, ließen sich einfach in einem automatischen System modellieren. Die im Beispiel der alten Frau, der nicht über die Straße geholfen wurde, dagegen nicht. Dass man niemals jedes Detail beachten können wird, ist klar, doch ebenso klar ist, dass ein zu grobes Raster zu allerlei Problemen führen wird. Schafft man es nicht diese Komplexität angemessen in der Bewertung von Handlungen unterzubringen, sieht der Einzelne sich schnell mit einem bürokratischen, den realen Lebensumständen gegenüber ignoranten Koloss konfrontiert, gegen den er nichts unternehmen kann. Er wird die Entscheidungen des Systems als ungerecht und willkürlich wahrnehmen, was auf Dauer zur Ablehnung oder sogar Widerstand gegen das SkS führen wird.

Die Möglichkeit Revision gegen die Bewertung einer Handlung einzulegen und eine Art Richter diese entweder bestätigen oder abändern zu lassen, würde dieses Problem zwar in der Theorie beheben, in der Praxis wäre derartiges aufgrund des gigantischen Arbeitsaufkommens jedoch kaum praktikabel. In fernerer Zukunft mag eine Künstliche Intelligenz in der Lage sein die Rolle eines Richters, zumindest bei eher unbedeutenden Fragen wie diesen, zu übernehmen, doch momentan sind wir davon noch weit entfernt.

 

 

Einmal unten, immer unten?

Erinnern wir uns an einige „Strafen“ bzw. „Belohnungen“, beispielsweise in Bezug auf Kreditwürdigkeit oder berufliche Chancen, stellt sich die Frage, was mit denen ist, die, warum auch immer, im SkS ganz unten angekommen sind. Mit derart gravierenden Einschränkungen wird der Weg nach oben, selbst mit den besten Vorsätzen, kein leichter. Wer in einem schlechten Beruf feststeckt, finanziell eingeschränkt ist und vielleicht noch andere Restriktionen ertragen muss, wird unter Umständen gar nicht in der Lage sein, sein Punktekonto aufzubessern. Dass der Weg von ganz unten nach oben nicht einfach sein und Opfer verlangen sollte, versteht sich von selbst, immerhin hat sich der Betroffene selbst in diese Lage gebracht. Doch die Gemeinschaft sollte immer denen, die ihre Fehler eingesehen haben und ernsthafte Anstrengungen zur Besserung machen, die Hand reichen und wenn es sein muss auch aufhelfen. Geschieht dies nicht und die Betroffenen fühlen sich ungerechterweise verstoßen, werden sie niemals den Weg zurück in die Gemeinschaft finden und sich schlimmstenfalls der Kriminalität zuwenden und somit schließlich in unseren Gefängnissen landen. Diese Menschen sind dann gegebenenfalls für immer für uns verloren, wovon niemand etwas hat.

Geschieht dagegen das Gegenteil, die Gesellschaft reicht denen, die am Boden liegen die Hand, macht vielleicht sogar den ersten Schritt, könnte dies, gerade bei Personen, die tatsächlich die Entscheidungen bereuen, die sie in diese Lage gebracht haben, zu einem grundsätzlichen Umdenken führen. Es geht nicht um Rache oder sogar Strafe in erster Linie, sondern den Weg zurück zur Gemeinschaft zu weißen, wenn auch notfalls mit ein wenig Druck. Diese Erkenntnis führt uns zu dem zurück, was wir schon zuvor sagten, nämlich, dass dem Menschen besser Erfolg als Misserfolg in Aussicht gestellt werden sollten, da dies die Entwicklung fördert, die wir uns am Ende wünschen.

 

 

Was bleibt?

Wir konnten hoffentlich zwei Punkte im Verlauf dieser Artikelserie herausarbeiten. Erstens, dass man etwas wie ein SkS nicht zu schnell als das Kontrollorgan eines tyrannischen Staates verwerfen sollte. „Kontrolle“ ist, auch wenn wir es mehrfach selbst verwendet haben, je nachdem welche Form das SkS annimmt, ohnehin das falsche Wort. Passender ist dagegen das, was wir am Beispiel der Gesundheit diskutierten: Anreize im Alltag zu schaffen, das zu tun, von dem man ohnehin weiß, daß es eigentlich das Richtige wäre. In diesem Sinne wird das SkS zu einer, vielleicht sogar willkommenen, denn nötigen, Hilfestellungen. Die Motivation im Alltag, die ein SkS bieten kann, ist vielleicht sein größter Pluspunkt und könnte sich als ein wertvolles Werkzeug zum Formen einer Gesellschaft in unserem Sinne herausstellen. In diesem ersten Punkt steckt zudem die Erkenntnis, dass die Akzeptanz eines SkS im Volk von dessen Form und Anwendung sowie davon abhängt, ob sein Wert von jedem begriffen und der mit ihm verbundene Preis als gerechtfertigt empfunden wird. Als zweite Kernaussage mussten wir jedoch feststellen, dass einige kritische Fragen, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden können, bei der Implementation eines SkS zu klären sind. Damit kann man abschließend sagen, dass wir es hier mit einem schwierigen Thema zu tun haben, welches jedoch auch einiges Potenzial birgt.

 

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