Die Reichsgründung am 18.01.1871 – Teil 3/3

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Die spanische Krone

Im September 1868 wird die spanische Königin Isabella II. (Isabel de Borbón y Borbón-Dos Sicilias) von ihrem Thron vertrieben. Eine provisorische Regierung führt die Geschäfte. Spanien sucht einen neuen Regenten im europäischen Hochadel. Anfragen in Portugal und Italien, ob dort jemand bereit wäre, den verwaisten Thron zu übernehmen, bleiben ohne Antwort. Nun kommt Erbprinz Leopold von Hohenzollern, ein Prinz ohne Erbrecht am preußischen Thron, ins Spiel. Sein Bruder Karl (Carol I., ab 1881) hat – mit Napoleons Gunst – bereits den rumänischen Thron inne, der Vater, Karl Anton von Hohenzollern lebt in gutem Einvernehmen mit den preußischen und französischen Herrscherhäusern. Spanische Zeitungen bringen seinen neben anderen Namen, die ebenfalls für die Königswahl in Betracht kommen, in die Öffentlichkeit.

Der einflußreiche spanische Staatsrat und Abgeordneter Don Salazar y Mazzaredo legt im Februar 1869 sogar eine Denkschrift zugunsten von Leopold auf, obwohl dessen Bereitschaft zur Kandidatur zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs feststeht. Die Prophezeiung Karl Antons von 1868, daß Frankreich einer Festsetzung der Hohenzollern jenseits der Pyrenäen nicht zustimmen werde, verhallt ungehört. Auch die französische Presse schreibt in diesem Sinne. Erst im September 1869 erscheint Salazar bei Karl Anton, dem Chef der süddeutschen Hohenzollern, um anzufragen, ob sein Sohn die Krone annehmen würde. Karl zeigt sich nicht abgeneigt, doch er würde seinen zweitgeborenen Sohn, Carol I. von Rumänien, dem wenig ehrgeizigen Leopold vorziehen. Doch Carol lehnt ab, da er es für Fahnenflucht ansieht, Rumänien im Stich zu lassen. Der Vater fordert nun bezüglich der Kandidatur Leopolds bestimmte Garantien, darunter der, daß die Wahl einstimmig erfolgen muß und kein Gegenkandidat aufgestellt sei.

Napoleon III. erklärt gegenüber dem Botschafter in Preußen, Vincent Graf Benedetti (* 29.04.1817 – † 28.03.1900), daß Frankreich einen Hohenzollern auf dem spanischen Thron nicht ertragen werde. Doch diesbezügliche diplomatische Vorstellungen in Berlin, in Sigmaringen oder in Madrid, unterbleiben.

Salazar reist im Februar 1870 wieder nach Deutschland, nach Berlin, wo er die spanische Krone offiziell mit Regierungsvollmacht anbieten will. König Wilhelm I. empfängt ihn nicht, beruft aber Karl Anton und Leopold zu sich. Vater und Sohn neigen eher zur Ablehnung der Krone, doch Bismarck tritt für deren Annahme ein. Er argumentiert, daß es wirtschaftlich und politisch von Vorteil sei, im Rücken Frankreichs ein freundlich gesinntes Land zu wissen. Nun wird beratschlagt. Leopold erklärt sich zur Annahme der Krone bereit, wenn höhere politische Rück-sichten, das Interesse Deutschlands und Preußens, dies erfordere.

Am 15. März 1870 wird unter Vorsitz von Wilhelm I. im Berliner Schloß im Großen Kreis beraten. Hierbei sind neben dem König auch der Kronprinz (Friedrich), Fürst Karl Anton, Erbprinz Leopold, Bismarck, Kriegsminister von Roon, General von Moltke, und die Minister Schleinitz, Thile und Delbrück anwesend. Karl Anton bringt den Vorschlag, sich der Zustimmung Napoleons zu versichern. Bismarck betont in Übereinstimmung mit dem spanischen General Prim die Selbstbestimmung Spaniens. Einstimmig wird die Annahme, da sie eine preußische, eine patriotische Pflichterfüllung sei, beschlossen. Nur der König enthält sich jeder Einwirkung und stellt es Leopold frei, nach seiner Neigung zu entscheiden. Leopold lehnt bereits am darauffolgenden Tag die Krone „aus vielen Gründen und nach schweren Kämpfen“ ab.

Bismarck gibt sich jedoch noch nicht geschlagen. Anfang April sendet er zwei Vertrauensleute, Lothar Bucher und einen Generalstabsoffizier, nach Spanien, um die Sachlage vor Ort zu prüfen. Madrid drängt auf eine Entscheidung. Anfang Mai geht ein Telegramm an Bucher nach Spanien, daß Erbprinz Leopold auf ein etwaiges Angebot nicht eingehen werde. Bucher informiert nun den spanischen General Prim von dessen Inhalt, doch Prim akzeptierte die Ablehnung nicht: er hoffte weiter. In dieser Situation schreibt Karl Anton an seinen Sohn Karl (Carol I.) nach Rumänien: „Ein großer historischer Moment für das Haus Hohenzollern ist verlorengegangen, ein Moment, wie er noch niemals dagewesen, wohl niemals mehr wiederkehren wird!“

Leopold wird schwankend, nicht zuletzt durch den Einfluß Bismarcks und seines Vaters. Ende Mai 1870 erklärt er sich unter bestimmten Bedingungen zur Annahme der Krone bereit. Bismarck schreibt nun an Karl Anton, daß die spanische Frage im Interesse Deutschlands wieder aufzunehmen sei. Nach Madrid schreibt er, daß man wegen der Kandidatur mit der sigmaring’schen Linie verhandeln und die preußische Regierung abseits stehen lassen müsse. Bereits am 16. Mai ist Salazar wieder in Deutschland. Er reist diesmal direkt nach Sigmaringen. Im Gepäck führt er das Angebot und die Bürgschaft der Cortes [04] auf Annahme seiner Bedingungen mit sich. Leopold ist nun zur Annahme bereit. In diesem Sinn schreibt er auch an Wilhelm I. nach Bad Ems, wo dieser sich zur Kur aufhält.

Obwohl von preußischer Seite alles mit höchster Geheimhaltung betrieben wird, bleiben die Vorgänge in Frankreich nicht unbemerkt. Die Königswahl soll nach erfolgter Rückkehr Salazars nach Madrid durchgeführt, der Name des Kandidaten und seine Bereitschaft zur Annahme der Wahl der Cortes erst unmittelbar vorher bekanntgemacht werden. Doch wegen eines Übertragungsfehlers einer chiffrierten Depesche, in dem das Datum von Salazars Ankunft falsch aufgelöst wird, ist die Cortes bereits vertagt. Berlin und Sigmaringen vertrauen darauf, daß die Geheimhaltung aufrechterhalten und die Cortes wiedereinberufen werden kann. General Prim beruft also zum 17. Juli die Cortes zur Königswahl wieder ein. Es ist schwierig, über einen längeren Zeitraum ein Geheimnis zu bewahren, doch Prim vertraut darauf, daß die bisher geübte französische Zurückhaltung den souveränen Willen Spaniens respektiert.

Doch die Rechnung geht nicht auf. Denn bereits im Mai 1870 war der bisherige französische Botschafter in Wien, Antoine Alfred Agénor Herzog de Gramont (* 14.08.1819 – † 17.01.1880) Minister des Auswärtigen geworden. De Gramont ist als Preußenhasser bekannt. Als nun der Beschluß zur Wiedereinberufung der Cortes gefaßt ist, wird das Geheimnis gelüftet. Der französische Gesandte wird nunmehr von der Sachlage unterrichtet, worauf sich dieser dahingehend äußert, daß die spanische Regierung keinen gefährlicheren Schritt hätte tun können. Frankreich würde in der Erhebung eines preußischen Prinzen zum spanischen König eine Herausforderung sehen, die nicht unbeantwortet bleiben könne. Tags darauf unterrichtet der Botschafter Paris mit einem kurzen Telegramm.

Am 03. Juli veröffentlicht die Nachrichtenagentur Havas die spanischen Vorgänge. Und am 04. Juli wird offiziell verlautbart: „Der Prinz habe die Krone angenommen; man sei erstaunt, wenn man das Scepter Karls V. in der Hand eines preußischen Prinzen sähe.“ Am gleichen Tag wird der französische Botschafter in Berlin vorstellig, um den Gefühlen Frankreichs Ausdruck zu verleihen. Doch dort wird ihm beschieden, daß dies Preußen nichts angehe sondern nur Spanien und die Sigmaringer Hohenzollern. Es ist damit zu rechnen, daß sich de Gramont nunmehr an Madrid wendet, doch das hätte innenpolitische Wellen geschlagen, ohne daß Preußen gedemütigt würde. So erklärt er, den spanischen Willen zu respektieren, doch insgeheim versucht er alles, die Erfüllung des spanischen Willens in Preußen zu verhindern. Dazu muß die politische Aufregung in Frankreich angeheizt werden. Bismarcks Heimtücke soll an dem gebietenden Willen der „Grande Nation“ zerschellen. De Gramonts diesbezügliche Pläne werden von der bekannten Friedensliebe von König Wilhelm I. und dem geringen Ehrgeiz von Erbprinz Leopold begünstigt.

Napoleon III. ist tief verstimmt. Seine Regierung wird innenpolitisch seit 1866 unaufhörlich getadelt, daß er die Interessen und das Prestige Frankreichs dem Ausland gegenüber preisgebe. Er wünscht, höflich in der Form zu bleiben und sich in keine ernste Kriegsgefahr zu begeben. Doch de Gramont setzt sich in einer Rede am 06. Juli in der Kammer darüber hinweg, die er mit einer verschleierten Kriegsdrohung schließt. Die Rede wird enthusiastisch aufgenommen. Vergebens versucht Ollivier, mäßigend einzuwirken. Die Begeisterung treibt nun auch auf die Straße und steigert sich dort. Die Zeitung „Gaulois“ verkündet: „Heute ist die Ehre gerettet. Kann der Friede erhalten werden – gut; wird es Krieg geben – noch besser!“ Im „Constitutionel“ ist zu lesen: „Wenn Preußen sich nicht schlagen will, so stoßen wir ihm den Kolben in den Rücken, zwingen es über den Rhein zu gehen und dessen linkes Ufer frei zu geben.“ Am 08. Juli schreibt „Le Moniteur“: „Die Frage muß erweitert werden. Das wenigste, was uns heute befriedigen kann, wäre das Aufgeben jedes militärischen Einflusses jenseits des Main.“

In dieser aufgeheizten Stimmung erhält Graf Benedetti die Weisung, sich sofort nach Bad Ems zum preußischen König zu begeben. Er soll direkt mit dem König verhandeln und folgende Erklärung von ihm fordern: die preußische Regierung mißbillige die Kandidatur des Prinzen und befehle ihm, sie zurückzuziehen. Benedettis Vorgehen, den Monarchen direkt aufzusuchen, ohne den üblichen Weg über das Auswärtige Amt zu nehmen, ist ungewöhnlich, doch der König empfängt ihn freundlich. Er sieht dieses Gespräch mit Benedetti eher als private Unterredung an, so wie er die ganze Angelegenheit auch als reine Privatangelegenheit betrachtet. Benedetti trägt dem König in höflicher Form den Wunsch seiner Regierung an, er möge den Prinzen den Rücktritt von der Kandidatur anraten, worauf der König erwidert, daß ihn die Sache als König nichts angehe, nur als Hohenzoller.

Er habe dem Prinzen nichts zu befehlen, doch habe er sich bereits mit Sigmaringen in Verbindung gesetzt (09. Juli). Die französische Regierung drängt weiter, daß es nicht auf die Entsagung des Prinzen ankomme sondern darauf, daß der König sie veranlasse. Benedetti drängt auf eine weitere Audienz, die ihm am 11. Juli gewährt wird. Doch die Positionen bleiben auch hier unverändert. Benedetti ereifert sich, der König wird ungeduldig. Es sei, so Wilhelm, die Dringlichkeit (mit der die französischen Wünsche vorgebracht werden) könne Glauben machen, Frankreich wolle Krieg; ihm seien die Vorbereitungen in Paris nicht unbekannt. Wenn man ihm die notwendige Zeit einräumt, wird der Friede gewahrt bleiben.

Bismarck war bereits unterrichtet. Er kennt die Sachlage und die bisher ausgetauschten Noten. Dem Kurier wurde ein Brief mitgegeben, in dem es heißt, daß Frankreich augenscheinlich den Krieg wolle. Falls sich Bismarck dazu entschließen solle, den Rücktritt Leopolds zu beschließen, sei er (der König) jetzt ebenso damit einverstanden wie vor einigen Wochen mit der Annahme. Zeitnah dazu besucht der rumänische Botschafter in Paris auf Veranlassung des Pariser spanischen Gesandten Sigmaringen, schildert dort die Stimmung und Absicht Frankreichs und rät ebenfalls dazu, die Kandidatur zurückzuziehen. Ohne den Prinzen zu fragen – der befindet sich auf einer Gebirgswanderung – entschließt sich Karl Anton am 12. Juli in der Hoffnung, Frankreich damit jeden Kriegsgrund zu nehmen, den Verzicht des Prinzen zu erklären. Zugleich informiert er General Prim und Madrid über die Entscheidung.

Als Ollivier die Nachricht am 12. Juli erhält, ruft er dem Abgeordneten Tiers in der Kammer begeistert zu: „Wir haben gesiegt; es ist uns geworden, was wir wünschten! Das ist der Friede, er soll uns nicht mehr entschlüpfen!“ Doch im Saal hieß es, die Minister seien Feiglinge, Frankreich sei entehrt! Das ist auch die Haltung von de Gramont und der Kriegspartei. Noch am gleichen Abend erhält Benedetti ein Telegramm von de Gramont: „Wir haben vom spanischen Gesandten die im Namen des Prinzen durch den Fürsten Anton abgegebene Entsagung erhalten, können sie aber nicht als ausreichend erachten. Um ihr volle Wirkung zu geben, ist es nötig, daß der König von Preußen sich hinzugesellt und uns versichert, daß er diese Thronbewerbung nicht wieder genehmigen wird. Die Erregung hier ist gewaltig.“

Hätte sich de Gramont mit dem Erreichten begnügt, hätte er einen glänzenden Sieg der französischen Diplomatie errungen. Doch seiner Ansicht nach ist dies alles eine Intrige Bismarcks, den will er demütigen.

Am Morgen des 13. Juli arrangiert Benedetti ein Treffen mit König Wilhelm im Kurpark von Bad Ems. Er bringt das Gespräch erneut auf die Thronfrage. Wilhelm gibt ihm zu verstehen, daß die Sache durch den Verzicht des Prinzen erledigt und alle Sorgen des Botschafters beendet seien. Benedetti wird, um die neuen französischen Forderungen anzubringen, aufdringlich. Wilhelm dagegen ungehalten. Es sei unmöglich, so weit zu gehen. Er weise dieses Ansinnen ein für allemal zurück. Dreht sich um und läßt den Botschafter stehen.

Bismarck, der sich in Berlin aufhält, erkennt den diplomatischen Fehler de Gramonts sofort. Nun ist es an Preußen, beleidigt zu sein und Genugtuung zu fordern. Keine Schonung für Frankreich mehr – im Gegenteil! Ein geschickt abgefaßtes Telegramm, an alle preußischen Vertretungen im Ausland abgeschickt, entfachen einen Sturm der Empörung in der Presse. Das deutsche Volk ist entrüstet, mit welcher Aufdringlichkeit der 73jährige Wilhelm vom Erbfeind bedrängt wurde. In Frankreich ist die Stimmung auf den Straßen und in der Politik auf Krieg eingestellt – mit Ausnahme beim Kaiser. Doch das Kabinett beschließt am 14. Juli unter seinem Vorsitz in einer Nachtsitzung die Mobilmachung. Bereits am Folgetag wird die Kriegsvorlage dem Senat und der Kammer überbracht. Beide Gremien fordern vom Kaiser den Krieg. Napoleon meint dazu, auch wenn er persönlich den Krieg nicht will: „Ein Krieg ist legitim, wenn er mit Zustimmung des Landes und Bewilligung seiner Vertreter geführt wird.“ Am 17. Juli wird die formelle Kriegserklärung übersandt.

Preußen hält am 15. und 16. Juli Kriegsrat, die Mobilmachung wird beschlossen. Noch am 16. Juli gehen Telegramme an die süddeutschen Landesfürsten ab. Am gleichen Tag erstattet Bismarck Bericht im Bundesrat. Der sächsische Vertreter erklärt: „Frankreich will den Krieg. Möge er schnell und kräftig geführt werden.“. Der sächsische Kronprinz übernimmt die Führung seiner Truppen. Es gibt aber auch Gegenströmungen, insbesondere in Sachsen, in Hannover, auch in den Hansestädten und vor allem in Süddeutschland. Doch die Zahl der Befürworter des Krieges überwiegt.

In seiner Thronrede bei der Eröffnung des Reichstages erklärt Wilhelm: „Hat Deutschland derartige Vergewaltigungen seines Rechts und seiner Ehre in früheren Jahrhunderten schweigend ertragen, so ertrug es sie nur, weil es in seiner Zerrissenheit nicht wußte, wie stark es war. Heut, wo das Band geistiger und rechtlicher Einigung, welches die Befreiungskriege zu knüpfen begannen, die deutschen Stämme je länger desto enger verbindet, heut, wo Deutschlands Rüstung dem Feinde keine Öffnung mehr bietet, trägt Deutschland in sich selbst den Willen und die Kraft der Abwehr erneuter französischer Gewalttat.“

Den Ausschlag für den Beitritt der süddeutschen Staaten gibt das Großherzogtum Baden. Durch die räumliche Nähe zu Frankreich wurde dort schon lange der Beitritt zum Norddeutschen Bund erwogen. So verfügt Großherzog Friedrich I. (* 09.09.1826 – † 28.09.1907) am 16. Juli die Mobilmachung. Die Rheinbrücke bei Kehl wird gesprengt. Auch Ludwig II. von Bayern (* 25.08.1845 – † 13.06.1886) verkündet am 16. Juli die Mobilmachung – doch die Regierung stellt sich quer. Ludwig erwidert auf das Berliner Danktelegramm, das auf seine Meldung der Mobilmachung hin aus Berlin nach München gesandt wurde: „Mit Begeisterung werden meine Truppen an der Spitze ihrer ruhmgekrönten Waffengenossen für deutsches Recht und deutsche Ehre den Kampf aufnehmen.“

Der bayerische Kammerreferent verweigert den außerordentlichen Militärkredit von 26 Millionen Gulden und fordert bewaffnete Neutralität. Die Patriotenpartei um ihren Vorsitzenden Josef Edmund Jörg läßt über die Neutralität abstimmen und unterliegt mit 89 zu 58 Stimmen. Kriegsminister Siegmund von Pranck erinnert: „Bayern müsse beweisen, daß es als selbständiger Staat nicht vergesse, auch ein deutscher Staat zu sein.“ Daraufhin stimmen 101 Abgeordnete zu 47 Stimmen für den Kriegskredit. Der Abgeordnete Sepp ruft: „Wir Bayern haben an der Leipziger Schlacht nicht teilgenommen, bei der neuen Nationalschlacht wollen wir dabei sein!“ Nun ist auch Württemberg im Zugzwang. Dessen Regierung verhielte sich am liebsten neutral. Doch die Bevölkerung ist für die Beteiligung. Die notwendigen Kredite werden bewilligt!

Kronprinz Friedrich von Preußen notiert am 16. Juli in sein Tagebuch: „Es werden drei Armeen gebildet. Ich soll die süddeutsche führen, habe also den allerschwierigsten Auftrag, mit jenen uns abholden und keineswegs in unserer Schule ausgebildeten Truppen einen tüchtigen Gegner bekämpfen.“

Auf Bismarcks Rat hin reist Friedrich am 20. Juli an die süddeutschen Höfe. In Stuttgart ist der französische Gesandte soeben abgereist, das Königshaus mit Napoleon verwandt. König Karl III. von Württemberg (* 06.03.1823 – † 06.10.1891) nimmt die Meldung des Befehlshabers seiner Truppen dienstlich entgegen. Dem entgegen steht die Bürgerschaft, die voll der Begeisterung ist. Nach Zwischenstation in Karlsruhe erreicht er Speier, wo er auf bayerische Truppen trifft.

Rußland, das keinen französischen Machtzuwachs wünscht, hält sich neutral, übt aber Druck auf Österreich aus. Österreich befürchtet einen Zweifrontenkrieg, wenn es dem Werben Frankreichs nachgeben würde. Zudem fordern die Ungarn, namentlich Graf Andrassy, und die Deutsch-Österreicher Neutralität. Auch das Heer war nicht gerüstet und dann die ewige Finanznot Wiens. Auch die Italiener verhalten sich still. Das Volk ist gegen einen Krieg mit dem 1866 verbündeten Preußen. Und, wie in Österreich, herrscht Ebbe in der Staatskasse. Dänemark spitzt auf eine Gelegenheit, sich wieder in den Besitz von Schleswig und Holstein zu setzen, hat aber neben dem Druck Rußlands und Englands Angst vor den preußischen Waffen. Am 19. Juli geht die französische Kriegserklärung in Preußen ein. Es ist die einzige amtliche Mitteilung Frankreichs an Preußen in dieser Angelegenheit. Und am 19. Juli sprechen erstmals die Waffen.

Der preußische Abgeordnete Heinrich von Blankenburg (Wahlkreis Breslau) schreibt unmittelbar nach der Schlacht von Wörth (06.08.1870): „Daß die Bayern unter unseres Kronprinzen Führung den ersten entscheidenden Schlag mitgethan haben, ist die Lösung der deutschen Frage.“ Doch in Bayern träumt man von der Verteilung der Beute: Baden soll mit dem Elsaß vereinigt werden, wenn es dafür die badische Pfalz, die 1816 nicht zu erlangen war, abtreten würde. Diesen Gedankenspielen macht eine sächsische Denkschrift von Mitte September 1870 ein Ende, die auf eine staatsrechtliche Verknüpfung der süddeutschen Staaten mit dem Nordbund abzielt. Die gleiche Frage wird auch in Stuttgart eifrig diskutiert. Die süddeutschen Staaten richten einen formellen Wunsch nach Ersatz der bisherigen völkerrechtlichen Verträge durch einen verfassungsmäßigen Bund nach Berlin. Daraufhin wird Minister Rudolph von Delbrück nach München gesandt.

Die Verhandlungen gestalten sich schwierig, da Ludwig II. von Bayern auf möglichste Schonung der bayerischen Selbständigkeit, auf eine bedeutende Lockerung der norddeutschen Bundesverfassung, vor allem auf ein eigenes Heereswesen, eine eigene Diplomatie und ein eigenes Justizwesen besteht. Die anderen süddeutschen Staaten schlagen einen anderen Weg ein. Baden hat bereits am 02. Oktober 1870 seinen förmlichen Antrag auf Aufnahme in den Norddeutschen Bund gestellt. Auch Württemberg und Hessen – Darmstadt stehen kurz vor Antragstellung. Bayern läuft Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten. Die Verhandlungen werden auf Drängen Württembergs nun nach Versailles verlegt. Dorthin kommen auch die bayerischen Vertreter, Otto Graf von Bray-Steinburg und Johann Freiherr von Lutz. Doch die bayerischen Vertreter verursachen soviele Probleme, daß die Verhandlungen kurz vor dem Scheitern stehen. Bismarck beruft die übrigen Vertreter der süddeutschen Staaten zu einer Konferenz am 06. Dezember 1870, wo man sich über die Grundlagen eines neuen deutschen Bundes schnell einig wird.

Ludwig II. von Bayern versucht indes, Einfluß auf Württemberg zu nehmen und dessen Vertreter, Minister von Mittnacht und Kriegsminister von Suckow, anzuweisen, nur im Verbund mit den bayerischen Vertretern zu handeln. Bestürzt über diese Anweisung reisen beide zurück nach Stuttgart. Durch Rücktrittsdrohungen beider Vertreter ist der württembergische König zum Einlenken bereit. Inzwischen hat Baden und Hessen – Darmstadt am 15. Dezember den Vertrag unterzeichnet, in dem sie sich verpflichten, ab dem 01. Januar 1871 mit dem Norden einen neuen deutschen Bund einzugehen. Bayern steht nach wie vor ablehnend abseits. Daran ändert auch ein Schreiben des Großherzogs von Baden an Ludwig nichts, das unbeantwortet bleibt.

Am 16. November fordert nun Kronprinz Friedrich von Bismarck in einem heftigen Gespräch, daß Preußen hart bleiben, seine Macht gebrauchen soll, denn bloße Drohungen würden nicht genügen, Bayern und Württemberg zum Einlenken zu bewegen. Bismarck hält dem entgegen, daß man während eines Krieges keinen Zwang auf Bundesgenossen ausüben könne. Auch der König stehe solchem Ansinnen ablehnend gegenüber.

Der Norddeutsche Reichstag, für den 24. November zur Beratung über die neue Verfassung einberufen, kümmert sich nicht mehr um Bayern und Württemberg. Für zwei Wochen wird Bayern völlig ignoriert. Das bewegt nun letztlich doch zum Einlenken. Am 23. November unterzeichnet Bayern, am 25. November Württemberg den Bundesvertrag in Versailles. Später äußert sich Bismarck darüber: „Die Zeitungen werden [mit den speziell Bayern gemachten Zugeständnissen] nicht zufrieden sein, und wer einmal in der gewöhnlichen Art Geschichte schreibt, kann unser Abkommen tadeln; er kann sagen: der dumme Kerl hätte mehr fordern sollen, er hätte erlangt, sie hätten gemußt, und er kann recht haben – mit dem Müssen. Mir aber lag mehr daran, daß die Leute mit der Sache innerlich zufrieden waren; was sind Verträge, wenn man muß? Und ich weiß, daß sie vergnügt fortgegangen sind. Ich wollte sie nicht pressen, die Situation nicht ausnutzen.

Der Vertrag hat seine Mängel, aber er ist so fester. Ich rechne ihn zu dem Wichtigsten, was wir in diesen Jahren erreicht haben.“ Als der Reichstag am 09. Dezember zusammentritt, begrüßt Präsident Eduard von Simson die Abgeordneten: „Indessen der Kampf in der Ferne sein letztes Ziel noch weiter verfolgt, lassen Sie uns in der Heimat den Versuch machen, eine seiner edelsten und herrlichsten Früchte jetzt schon einzubringen: die Einigung unseres Vaterlandes in Verfassung und Freiheit. Denn verschwunden ist in der Erhebung der Nation, was uns bisher trennte und zerriß. Der alte Fluch hat sich gelöst und die beseligende Gewißheit davon verbürgt uns auch eine Zukunft, segensvoll und gedeihlich für die Werke des Friedens.“ – Am gleichen Tag wird der Norddeutsche Bund in „Deutscher Bund“ umbenannt.

Nun blieb nur noch die Frage um den Titel, den das neue Oberhaupt führen soll. Es ist die Frage zwischen „Kaiser von Deutschland“, was die unmittelbare Landeshoheit über das Gesamtgebiet voraussetzt oder der Titel „Deutscher Kaiser“. Bismarck läßt die Landesfürsten wissen, daß, wenn das Anerbieten der Kaiserkrone nicht von ihrer Seite aus erfolgt, man den Reichstag nur bis Anfang Dezember daran hindern könne, seinerseits den Antrag zu stellen. Ludwig II. zeigt sich nicht begeistert, die Hohenzollern über die Wittelsbacher zu stellen, doch Bismarck bietet ihm in einem vertraulichen Gespräch an, als Souverän des größten deutschen Staates nach Preußen, das Anerbieten an Wilhelm I. zu stellen. Erst als sich König Johann von Sachsen bereiterklärt, für Ludwig einzuspringen, läßt sich der bayerische König erweichen. Da sich Ludwig nicht dazu überwinden kann, das Schriftstück zur Anerbietung der Kaiserkrone selbst zu verfassen, läßt er es von Bismarck aufsetzen und schreibt es ab, bevor es nach Berlin abgeht.

Dazwischen nimmt der Bundesrat (am 09.) und der Reichstag (am 10.) Dezember 1870 die Bundesverträge mit den süddeutschen Staaten einmütig an. Der Reichstag schickt eine Abordnung nach Versailles, die König Wilhelm I. um Annahme der Kaiserkrone ersucht. Der Text der Adresse stammt von Eduard Lasker. Doch es gibt erneut Schwierigkeiten in Bayern! In Baden, Hessen und Württemberg stimmen die Volksvertretungen noch vor Jahresende problemlos zu. Lediglich die 2. bayerische Kammer stellt sich quer. Den „Patrioten“ ist der neue Bund, an dessen Spitze ein protestantischer Kaiser stehen soll, widerwärtig! Mit Zähnen und Klauen wehren sie sich – die Aussichten, daß eine Zweidrittel-Mehrheit zur Annahme der Verträge zustandekommt, ist gering, nachdem der Ausschuß mit 12 zu 3 Stimmen gegen die Annahme votiert hat. Doch „der Mann auf der Straße“ übt Druck aus – alle sind für die Einigung! Dem muß sich am 21. Januar auch die Kammer beugen – und stimmt mit 102 gegen 48 Stimmen für die Annahme.

Die Krönung und Standeserhöhung von König Wilhelm I. von Preußen zum Deutschen Kaiser ist eigentlich für den 01. Januar 1871 geplant. Wilhelm will bis zur Beendigung des Krieges warten. Auf Betreiben von Kronprinz Friedrich wird jedoch der 18. Januar, der 170. Wiederkehr des preußischen Königtums [Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg krönte sich am 18. Januar 1701 in Königsberg selbst zum „König in Preußen“] festgelegt. Die Krönung wird im Spiegelsaal von Schloß Versailles, das durch viele Jahre Hort der Intrigen gegen das Reich war, vollzogen. Nach dem Gottesdienst, bei dem über den 21. Psalm gepredigt wird, verliest Wilhelm I. die Urkunde der Verkündung des Kaisertums. Im Anschluß verliest Bismarck die Proklamation an das deutsche Volk.

Diese schließt mit den Worten: „Uns aber und unseren Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allzeit Mehrer des Deutschen Reichs zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.“ Daraufhin läßt der Großherzog von Baden das erste „Hoch“ verlauten, als erster Deutscher beugt Kronprinz Friedrich das Knie zum Handkuß vor dem Kaiser, doch der Vater hebt ihn auf und schließt ihn in die Arme. Von allen deutschen Fürsten bleibt nur Ludwig II. von Bayern der Krönung fern.

 

Anmerkungen:

[04] Cortes
die spanische Ständeversammlung

Biographische Daten:
Otto von Bismarck (* 01.04.1815 – † 30.07.1898)
Wilhelm I., (22.03.1797 – † 09.03.1888, König: 18.10.1861 – 09.03.1888, Kaiser: 18.01.1871 – 09.03.1888)
Friedrich III. (18.10.1831 – † 15.06.1888; König und Kaiser: 09.03.1888 – 15.06.1888)
Kaiser Franz Joseph I. von Österreich, (* 18.08.1830 – † 21.11.1916)

 

Zum Nachlesen: Teil 1, Teil 2

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