II. Reinhard Höhn und das Berliner „Institut für Staatsforschung“
Innerhalb des umfangreichen von Höhn hervorgebrachten Schrifttums, sticht sein herausgegebenes Publikationsorgan „Reich, Volksordnung, Lebensraum – Zeitschrift für völkische Verfassung und Verwaltung“, erschienen von 1941 bis 1943 in sechs Bänden, besonders hervor. Personell, wie auch räumlich wurde RVL an das von Höhn übernommene Berliner „Institut für Staatsforschung“ (IfS) angebunden. Das IfS war ursprünglich eine 1932 an der Kieler Christina-Albrechts-Universität1 gegründete Einrichtung, die Veränderungen des Staatsrechts in den 20er Jahren zu erforschen suchte. Nach dem Tod des dem Institut vorsitzenden Professors Fritz Poetzsch-Heffter, wurde selbiges an die Universität Berlin verlegt und in der Teutonenstraße 18 in Berlin-Nikolassee angesiedelt.2
Inhaltliche Ausrichtung
Als Höhn 1936 Institutsdirektor wurde, bestimmten zunächst aktuelle staatsrechtliche Problemstellungen die wissenschaftliche Ausrichtung. Höhn, dem es um eine vollkommene Erneuerung des Staatsrechts ging, stellte demnach auch das IfS „unter dem Leitsatz, nicht etwa nationalsozialistische Begriffe in das überkommene Rechtssystem einzubauen, sondern die Grundlinien eines neuen völkischen Rechts, das von dem Prinzip der Volksgemeinschaft bestimmt wird, aufzuzeigen“3. Schwerpunkte der Institutsarbeit lagen auf dem Gebiet des Wehrrechts, Beamtenrechts, Verwaltungsrechts und Polizeirechts. Neben dem Reichsinnenministerium (RMdI), das sich für eine finanzielle Privilegierung des Instituts einsetzte, halfen SS und SD bei der Akquirierung von Fördergeldern.4
Darüber hinaus erhielt das IfS Spenden des Justiziars der Firma Hugo Stinnes sowie des Rechtsanwalts und Notars Dr. Karl Samwer, wodurch es eng mit der Privatwirtschaft verflochten und von Zeit zu Zeit auch für diese gutachterlich tätig wurde.5 Da das IfS folglich über große finanzielle Kapazitäten verfügte (1937 betrug der reguläre Etat 8400 RM + 4000 RM Zuschüsse), erreichte Höhn nicht nur eine personelle Aufstockung, sondern auch einen großzügigen Ausbau der Institutsbibliothek6, was im Mai 1937 einen Umzug in die Königstraße 71 am Großen Wannsee nötig machte. Seit 1937 erhielt das Institut durch die vermehrte Übernahme von Auftragsarbeiten für zentrale Institutionen der Partei und des Staates eine besondere Praxisnähe. Durch einen Erlass stand das IfS seit dem 29. August 1938 kriegsbedingt „zur Verfügung des Reichsführers-SS und Chef der Deutschen Polizei“, was quasi einer Übernahme durch die SS entsprach.7 Daher wurde das Institut ab 1938 hauptsächlich für die SS tätig, sodass Himmler dem Institut vermehrt Aufträge in seiner Funktion als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums (RKF) erteilte und im Gegenzug weiterhin dessen großzügige Finanzierung sicherstellte.8
Gründung der „Internationalen Akademie für Staats- und Verwaltungswissenschaften“
Ab dem dritten Band (1942) wurde RVL als „Organ des Reichsforschungsrates“ sowie als „Vorläufiges Organ der Internationalen Akademie für Staats- und Verwaltungswissenschaften“ ausgewiesen, wobei allerdings Berichte über Aktivitäten dieser Akademie nur vereinzelt publiziert wurden.9 Bei der am 09.05.1942 unter Beteiligung Wilhelm Stuckart’s, in seiner Funktion als Präsident des VII. Internationalen Verwaltungsrechtskongresses des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften und des Auswärtigen Amtes gegründeten „Internationalen Akademie für Staats- und Verwaltungswissenschaften“, handelte es sich um eine Institution, die praktisch vor allem mit der Edition von Verfassungs- und Verwaltungsgesetzen anderer europäischer Staaten betraut werden sollte.10
Politisch bestand das Ziel darin, „durch persönliche Bindung und geistige Führung der führenden Staats- und Verwaltungswissenschaftler, vor allem der Frontgeneration und der Jugend der europäischen Völker, die psychologischen und wissenschaftlichen Voraussetzungen dafür [zu] schaffen, dass sich die Entwicklung von Staat, Verwaltung und Wirtschaft der europäischen Völker in einer den Interessen des Reiches Rechnung tragenden und durch die politische und wirtschaftliche Neuordnung Europas gebotenen Richtung vollzieht“11. Die von 13 europäischen Staaten und Japan getragene Akademie war bis 1940 in Brüssel am „Internationalen Institut für Verwaltungswissenschaft“ institutionalisiert und sollte durch eine auf das Reich orientierte Einrichtung abgelöst werden, die in der Lage war die westlich-demokratisch orientierte Staatslehre zu überwinden.
Reinhard Höhn, der bereits 1937 Mitglied der nationalen Sektion des „Instituts für Verwaltungswissenschaften“ in Brüssel unter Leitung Stuckart’s war, wurde nach der Akademiegründung 1942 dessen wissenschaftlicher Direktor.12 Dass Höhn’s IfS mit der Internationalen Akademie für Staats- und Verwaltungswissenschaften, welche nun in Potsdam-Babelsberg ansässig war, eng zusammenarbeitete hatte auch zur Folge, dass RVL das offizielle Publikationsorgan der Akademie wurde und das nahegelegene IfS in Berlin-Wannsee zum Sitz der Zeitschrift avancierte.13 Inhaltlich war das Ziel der Schriftleitung in RVL nicht nur Theorie und Praxis zu einer gelingenden Symbiose zu bringen, sondern ebenso durch einen interdisziplinären Anspruch „Staats-, Völker, Polizei- und Verwaltungsrecht, Auslandswissenschaft, Soziologie und Raumplanung […] zu einer spezifisch nationalsozialistischen Politikwissenschaft“14 zu verknüpfen.
Teilentmachtung
Höhn fungierte als maßgeblicher akademischer Motor der Zeitschrift RVL wie auch der „Internationalen Akademie für Staats- und Verwaltungswissenschaften“, weswegen ihm eine besondere Rolle zukam. Interessant ist hierbei die Tatsache, dass es zur Fokussierung auf eine konsequente Verrechtlichung seiner Volksgemeinschaftslehre erst in dem Augenblick kam, als er infolge eines internen Machtkampfes mit Walter Frank, Hans Heinrich Lammers und Julius Streicher teilentmachtet wurde und in der Folge nur noch zur machtpolitischen Peripherie gehörte15. Grund für Höhn’s „Kaltstellung“ war eine Intrige Franks, der als Leiter des „Reichsinstituts für die Geschichte des neuen Deutschlands“ die Kandidaturen Karl August Eckhardt’s für die Präsidentschaft des „Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde“ und die Generaldirektion der preußischen Archive zu verhindern suchte.16
Frank vermutete hinter den Bestrebungen Eckhardt’s einen „Einkreisungsplan“ Höhn’s17 mit dem Ziel der SS die Möglichkeit zu eröffnen sich auch außerhalb der Universitäten die Deutungshoheit auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft zu verschaffen und zugleich Frank‘s monopolartige Stellung zu schwächen.18 Frank stellte daraufhin umfängliche Recherchen an und machte frühere kritische Äußerungen Höhn’s über den Nationalsozialismus öffentlich. So wurde Höhn vor allem seine erst spät beendete Mitgliedschaft im „Jungdeutschen Orden“, der 1933 verboten worden war, sowie seine Beiträge in der Zeitschrift „Gegner“ zum Verhängnis19, infolgedessen er sich eine Etikettierung als Opportunist gefallen lassen musste und unter starken Rechtfertigungsdruck geriet.
Himmler nannte Höhn’s Kaltstellung „eine Schweinerei“20, betrieb in der Folge seine Rehabilitation, indem er Stuckart mit der Anfertigung eines entlastenden Gutachtens beauftragte21, konnte aber auch dadurch eine Niederlage der SS gegenüber Frank und Streicher nicht abwenden. Der Höhn tatsächlich zugefügte Schaden blieb allerdings überschaubar. Zwar war Höhn’s weitere Karriere beim SD beendet und sein Ruf in obersten Parteikreisen irreparabel beschädigt22, doch andererseits zog der Vorfall dank Stuckart’s Gutachten keine weiteren negativen Konsequenzen nach sich. Diese Entwicklung bot ihm Raum sich nun vermehrt auf seine akademische Laufbahn zu konzentrieren.
Bildung der „Höhn-Schule“ am IfS
In der Hauptsache rekrutierten sich die ständigen, als auch die Mehrzahl aller übrigen RVL-Autoren, aus dem Heidelberger und Berliner akademischen Umfeld Höhn’s. Zu den ständigen Mitarbeitern gehörten u.a. Friedrich Berber (Prof. an der Universität Berlin und Direktor des Deutschen Instituts für außenpolitische Forschung), Viktor Bruns (Professor an der Universität Berlin und Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht), Carl Bilfinger (Professor an der Universität Berlin und nach Bruns Tod auch Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht), Herbert Krüger (Professor an der Universität Straßburg), Zoltán v. Magyary (Professor an der Universität Budapest und Direktor des Instituts für Verwaltungswissenschaften der Universität Budapest), Theodor Maunz (Professor an der Universität Freiburg und Direktor des Instituts für Kommunalwissenschaft an der Universität Freiburg), Eggert Reeder (Chef der Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich), Paul Ritterbusch (Professor an der Universität Berlin und Generalsekretär der „Internationalen Akademie für Staats- und Verwaltungswissenschaften“) und Gustav Adolf Walz (Professor an der Universität München).
Zu den wechselnden Autoren von RVL zählten vor allem verschiedene Mitarbeiter des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums und des IfS. Auffällig ist, dass nur wenige IfS-Mitarbeiter eine Mitgliedschaft in der NSDAP oder gar eine solche in der SS vorzuweisen hatten. Offiziell einen SS-Rang bekleideten lediglich die IfS-Mitarbeiter Herbert Krüger, Günther Bornhausen sowie Berthold Hofmann.23 Bei der Mehrzahl der IfS-Mitarbeiter handelte es sich um Mitläufer, die zunächst bis 1933/34 abgewartet hatten wie sich die politische Situation entwickeln würde und deren späteres Mitgliedschaftsersuchen in der NSDAP dann aber scheiterte, sodass sie die Aufnahmesperre durch eine Mitgliedschaft in der SA zu umgehen versuchten, was jedoch nur mäßigen Erfolg hatte.24 Insgesamt bestand eine große Abhängigkeit zwischen Höhn und seinen Schülern, denen es aufgrund des Opportunismusverdachts nur durch Höhn’s Protektion und Förderung gelang, großflächig mittels Stipendien finanziert zu werden. Im Ergebnis hatte Höhn’s weitreichende Autorität und Wirkmächtigkeit eine besondere fachliche, wie politische Loyalität seiner Schüler und Assistenten zur Folge.
Fortesetzung folgt…
1Die sog. „Kieler Schule“ war bestrebt die Idee einer nationalsozialistischen Rechtserneuerung umzusetzen. Neben dem erwähnten Poetzsch-Heffter gehörten u.a. Karl Larenz, Ernst Rudolf Huber, Karl Larenz, Karl Michaelis, Karl August Eckhardt, Paul Ritterbusch und Wolfgang Siebert zur Kieler Schule.
2Vgl. Jenß, Die „Volksgemeinschaft“ als Rechtsbegriff, S. 135.
3Ebd., S. 135.
4Vgl. ebd., S. 136.
5Vgl. ebd., S. 138.
61937 beschäftigte Höhn einen außerplanmäßigen Assistenten und neun Referenten als Mitarbeiter. Zudem betreute das Institut zahlreiche Doktoranden. Für die Forschungsarbeiten im Institut wurde die eigene Schriftenreihe „Forschungen zum Staats- und Verwaltungsrecht“ herausgebracht. Nach dem Umzug des IfS in die Königstraße umfasste der Bibliotheksbestand ca. 24000 Bände. Vgl. ebd., S. 136f..
7Vgl. ebd., S. 139.
8Vgl. ebd., S. 140.
9Vgl. ebd., S. 141.
10Vgl. ebd..
11BArch NS 19/3406, Bl. 2.
12Vgl. Jenß, Die „Volksgemeinschaft“ als Rechtsbegriff, S. 141.
13Vgl. ebd., S. 142.
14Moll / Wassermann, Handbuch der völkischen Wissenschaften, S. 519.
15Vgl. Jenß, Die „Volksgemeinschaft“ als Rechtsbegriff, S. 125.
16Vgl. ebd., S. 100.
17Vgl. ebd., S. 99.
18Vgl. ebd., S. 100 f..
19Vgl. ebd., S. 115. In der Zeitschrift „Gegner“, die von dem KPD-Mitglied Franz Jung herausgegeben wurde, waren teils antinationalsozialistische oder kommunistische Artikel erschienen, u.a. von Leo Trotzki, Otto Strasser und Wiegand von Miltenberg.
20Ebd., S. 117.
21Vgl. ebd., S. 118
22Vgl. ebd..
23Vgl. UA Berlin, NS Doz., PA Krüger 2 ZD I 0567, Bl. 2. / Vgl. UA Berlin, NS Doz., PA Bornhausen 2 ZD I 0136, Bl. 2. / Vgl. UA Berlin, NS Doz., PA Hofmann 2 ZD I 0423, Bl. 2.
24Helmut Just etwa musste 1936 die SA verlassen, da er seinen Dienst nicht ordnungsgemäß versehen hatte (Vgl. UA Berlin, NS Doz., PA Diener 1 057 und NS Doz., PA Diener 2 ZD I 0207.); weitere IfS-Mitarbeiter mussten lange Wartezeiten in Kauf nehmen, um die Parteimitgliedschaft zu erlangen oder blieben gar bis 1945 parteilos.