Vogesenmarsch: 90 km durchs Elsass (Teil 2/2)

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Im Oktober des letzten Jahres begab sich eine Gruppe vom „III. Weg“ auf eine Reise ins ehemalige deutsche Grenzland – dem Elsass. In fünf Tagen sollten über 90 km mit vollem Marschgepäck durch die Vogesen zurück gelegt werden. Die Wanderung startete an der Hochkönigsburg und führte größtenteils auf der ehemaligen Reichsgrenze über den höchsten Berg der Vogesen bis hin zu einem bedeutenden Schlachtfeld des 1. Weltkriegs, dem Hartmannsweiler Kopf. Die Wanderstrecke kann man bei der Wanderapp komoot einsehen. [Teil 1 zum Vorgesenmarsch findet man hier]

 

Die schwarzen Wölfe

Auch nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg und der erneuten Abtrennung des Elsass von Deutschland versuchten viele Elsässer trotz aller Schikanen und Repressalien seitens der Franzosen, ihr Deutschtum zu bewahren. In den Schulen und der Öffentlichkeit war die deutsche Sprache völlig verbannt worden. Die sich zum Deutschtum bekennenden Elsässer wurden auf allen Ebenen behindert, schikaniert und teils öffentlich angefeindet. Dies regte natürlich Widerstand, welcher letztendlich aber zu kaum einer Besserung der Situation führte. Aus dem Rat der Frankreich-Deutschen mit ihrer Publikation „Elsaß den Elsässern – Kampfblatt für Muttersprache und Heimatrecht“ formierte sich eine deutschnationale Gruppe namens „Schwarze Wölfe“, welche neben vielen Propagandaaktionen eine Reihe von Brand- und Sprengstoffanschlägen gegen Symbole der französischen Staatlichkeit in den 1970er und Anfang der 1980er Jahre im Elsass verübten. Hierbei kamen nie Menschen zu Schaden. Am meisten Aufsehen erregte der Anschlag auf das Turenne-Denkmal in Türkheim (Turckheim) 1980 und die beiden Sprengungen des Staufen-Kreuzes bei Thann im Jahr 1981. Das Denkmal würde für die französische Rückeroberung des Elsass im Jahre 1945 auf dem Gipfel des Staufen errichtet. In Bekennerschreiben erklärten die Schwarzen Wölfe in deutscher Sprache, das Monument aus Beton sei im Jahre 1949 „von den Kolonisten und ihren Kollaborateuren errichtet worden, um für alle Zeiten den Hass gegen die deutsche Nation wachzuhalten“. Weiter heißt es: „Wir fordern Deutschunterricht in allen Schulklassen ohne Ausnahme. Unsere Heimat und unsere Sprache gehören uns Elsässern und nur uns.“ Das Denkmal wurde rasch und originalgetreu wiederhergestellt, aber bereits am 20. September 1981 erneut gesprengt. Die Anschläge konnten auf Grund von Überwachungsmaßnahmen aufgeklärt werden. Vier Personen aus der Widerstandsbewegung, darunter der Kopf der Schwarzen Wölfe, Pierre Rieffel, wurden zu 18 Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt, bei Verlust ihres gesamten Vermögens. Der 2022 verstorbene Pierre Rieffel schildert in seinem Buch „Mein Leben für das Elsass“  seine Jugendjahre bis hin zum gewalttätigen Widerstand gegen die französische Administration.
Am dritten Tag unserer Wanderung starteten wir mit einem Heldengedenken direkt nach dem Aufstehen. Unterhalb des hart umkämpften Buchenkopfes (Tête des Faux) [1208], liegt ein kleiner deutscher Soldatenfriedhof, an dem in Form einer kleinen Feierstunde der Opfer und des Heldenmutes der deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg gedacht wurde.

Im Anschluß bestiegen wir den steil ansteigenden Buchenkopf. Die Frontlinie lief direkt über den Gipfel; auch heute sind noch die Reste militärischer Anlagen wie Geschützstellungen und Bunker sichtbar. Auf dem etwas östlich gelegenen Rabenfelsen (Roche de Corbeau) befindet sich die ehemalige Bergstation einer Seilbahn, mit der Material von Schnierlach (Lapoutroie) auf den Gipfel transportiert wurde. Nach einer Rast mit Besichtigung der militärischen Anlagen ging es vorbei am französischen Soldatenfriedhof – dieser war hervorragend gepflegt – zum Schluchtpass (Col de la Schlucht) [1139 m], welcher eine wichtige Verkehrsachse zwischen den Regionen Elsass und Lothringen darstellt. Am Schluchtpass kreuzt die Passstraße auch die Vogesenkammstraße (Route des Crêtes), eine 77 km lange Höhenstraße, die vom „Weißen See“ Lac Blanc bis nach Sennheim (Cernay) verläuft und sich dabei immer auf einer Höhe um die 1000 Meter bewegt. Der Vogesenkamm kann auch als natürliche Grenze zwischen dem deutschstämmigen und dem französischen Sprachraum angesehen werden; lange Zeit verlief auch die dortige Grenze zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich.

Auf Grund der wirklich kräftezehrenden Wegstrecke brach eine Person unserer Gruppe am späten Nachmittag hier den Vogesenmarsch ab. Die Wanderin hatte für ihr Alter (72 Jahre) sowieso schon Übermenschliches geleistet. Von diesem zentralen Verkehrspunkt war der Abstieg in Richtung Rheintal mit einer Übernachtung im Freien gut möglich. Die restliche Gruppe konnte ab da  das Marschtempo und auch die zurückzulegenden Kilometer anheben, um das Ziel – den Hartmannsweiler Kopf – doch noch nach Plan erreichen zu können.
Die Gruppe trat in eine völlig andere Landschaft als die Tage zuvor ein. Die Bewaldung war fast völlig verschwunden, große Heideflächen wechselten sich mit Hochmoren ab und das Gelände erinnerte schon fast an ein Hochgebirge oberhalb der Baumgrenze. Bis in die Dunkelheit hinein wanderte man weiter Richtung Hohneck [1363 m], welchen man aber an diesem Tag nicht mehr erreichte. Das Nachtlager schlug man diesmal in einem Waldstück auf, welches von Gräben – vermutlich ehemalige Schützengräben – durchzogen war. Nach einem ausgiebigen Abendessen ging es früh zu Bett, denn für den nächsten Tag waren mindestens 30 km geplant.

Kurz nach Sonnenaufgang standen wir zum 4. Tag unserer Wanderung auf, fassten Frühstück, packten unsere Rucksäcke und los ging es. Es ging nun auf den europäischen Fernwanderweg GR5 immer auf dem Vogesenkamm über die Gipfel Hohneck [1363 m], Kastelberg [1350], Rainkopf [1304], Rothenbachkopf [1315], Markstein [1200 m] Richtung dem Großen Belchen (Grand Ballon) [1424 m], der höchste Berg der Vogesen.

Unterwegs kamen wir an einigen Einkehrmöglichkeiten (Refuge) vorbei, welche teilweise noch geöffnet hatten. Die Wandersaison geht in Frankreich bis zum 1. Oktober und danach nimmt der touristische Verkehr und damit auch das Angebot merklich ab. Da wir ja komplett auf Selbstversorgung ausgerichtet waren, stellte das für uns kein Problem dar. Als schwieriger erwieß es sich über die komplette Strecke hinweg, immer wieder frisches Trinkwasser zu beschaffen. Aber mit einer Wanderkarte, bei welcher auch Bäche und Quellen eingezeichnet sind, wurde man auch diesem Problem Herr.

Nach rund 35 km erreichten wir gegen frühen Abend unser Tagesziel, den Großen Belchen. Auf diesem wurde im Jahr 1927 ein Denkmal für die Blauen Teufel (Diables bleus), ein Gebirgsjägerbataillon im Ersten Weltkrieg, errichtet. Auf dem Gipfel steht seit 1997 eine Radarstation, die der zivilen Luftfahrt beim Anflug auf die Flughäfen von Straßburg und Basel-Mülhausen dient. Die Station ist rundum von einer Aussichtsplattform mit Orientierungstafeln umgeben. Innerhalb des Belchen-Systems, welches den Kelten als Sonnenkalender gedient haben soll, hat auch der Große Belchen eine Bedeutung: am 1. Mai, dem Feiertag Beltane des keltischen Gottes Belenus, geht – vom Elsässer Belchen aus gesehen – genau über ihm die Sonne auf. Zum Belchen-System gehören fünf Berge mit dem Namen Belchen im Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Schweiz. Anstatt des Sonnenaufgangs genoss unsere Wandertruppe den Sonnenuntergang auf dem Großen Belchen und hatte einen herrlichen Rundumblick.

Anschließend wollte man in einer nahegelegenen Hütte nächtigen. Diese war aber von feiernden Franzosen belegt und somit grillte man noch am Lagerfeuer vor der Hütte seine letzten Fleischvorräte und suchte sich anschließend eine geeignete Stelle im Wald für das Nachtlager.

 

Hartmannsweiler Kopf – Das Verdun in den Vogesen

Am letzten Tag unserer Wanderung hatte man noch 8 km bis zum Hartmannsweiler Kopf (Vieil Armand ) vor sich. Nach einem kurzen Frühstück ging es zügigen Schrittes durch meist bewaldetes Gebiet Richtung Südosten zu der Hügelkette, oberhalb des Rheingrabens. Der Hartmannsweilerkopf war im Ersten Weltkrieg wegen seiner exponierten und strategisch günstigen Lage mit Ausblick in die elsässische und die Oberrhein-Ebene zwischen Deutschen und Franzosen erbittert umkämpft. Der Kampf um den Gipfel begann am 31. Dezember 1914. Beide Seiten errichteten umfangreiche Verteidigungsanlagen in Form von Gräben und Bunkern. Die schwersten Kämpfe gab es im Jahr 1915. Die Deutschen besetzten die nordöstliche Flanke des Berges, die Franzosen lagen auf der anderen Seite. Die Bergkuppe wechselte in den vier Kriegsjahren viermal den Besitzer. Oft mussten geringe, unter hohen Verlusten erkämpfte Geländegewinne beim nächsten Gegenangriff wieder aufgegeben werden. Auch Flammenwerfer und Giftgaseinsätze konnten einen nachhaltigen Erfolg nicht erzwingen. Auf französischer Seite wurden Gebirgsjäger eingesetzt, auf deutscher Seite erstmals Sturmtruppen. Schneestürme im Winter und sengende Hitze im Sommer erschwerten den Kampf. Ab Mitte 1916 reduzierten beide Seiten ihre Truppen am Hartmannsweiler Kopf und im Wesentlichen kam es nur noch zu Artillerieduellen. Beide Seiten beschränkten sich darauf, ihre Linien zu halten.

Auf Grund der enormen Verluste auf beiden Seiten spricht man auch vom Verdun in den Vogesen. In den Schanzenkämpfen am Hartmannsweiler Kopf starben 30.000 französische und deutsche Soldaten; etwa doppelt so viele wurden verletzt. Die deutschen Truppen erreichten den Hartmannsweiler Kopf über die sogenannte Himmelsleiter. Bei den Franzosen hieß dieser der „Berg des Todes“.


Am Hartmannsweiler Kopf befindet sich heute ein gepflegter französischer Nationalfriedhof „Nécropole nationale du Silberloch – Hartmannswillerkopf“ mit Krypta, ein Museum, viele noch zugängliche Bunkeranlagen und rekonstruierte Gräben sowie ein großes weißes Gedenkkreuz. Die vier Kriegsjahre hinterließen sichtbare Spuren. Ursprünglich bewaldet, zeigt sich die Bergkuppe heute grasüberwachsen mit spärlichem Baumbewuchs. Vor allem in den ersten beiden Kriegsjahren verschwand der Wald durch die Angriffe vollkommen. Von dem erstarrten Stellungskrieg zeugen ein gut erhaltenes System von ungefähr 6000 Stollen und Unterständen und 90 Kilometer Schützengräben, Drahtverhaue und Granattrichter. Neben dem Hartmannsweiler Kopf war in den Vogesen noch der Lingekopf (Collet du Linge) Schauplatz schwerer, verlustreicher Kämpfe. Auch hier kann man sich über die Kämpfe in einem Museum informieren.

Gegen Mittag machten wir uns über die „deutsche Seite“ des Berges auf den Weg nach Wattweiler (Wattwiller). Dabei querten wir mehrere von deutscher Seite im Krieg angelegte „Kriegsgräberstätten“ bzw. „Soldatenfriedhöfe“, an denen wir „III. Weg“-Kerzen abstellten und kurz inne hielten. In Wattweiler hatten wir vorab ein Auto geparkt, welches uns wieder zurück zum Ausgangspunkt unserer Wanderung der Hochkönigsburg bringen sollte.

Rückblickend erlebten wir  bei unserem Vogesenmarsch in guter Kameradschaft eine wunderschöne elsässische Kulturlandschaft, welche trotz vieler französischer Bemühungen noch nicht ihren deutschen Ursprung und Charakter verloren hat.

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