Gipfelsturm 2022 – Teil 4/4

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Glücklich und wie von einem tiefen inneren Frieden erfüllt, doch mit schmerzenden, pochenden und krampfenden Gliedern lagen fast alle auf den umliegenden Felsen, ein jeder für sich und mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Das zum Dauerfotoapparat umfunktionierte Mobiltelefon nahm in fast jeder Aktivistenhand die Umgebung unter aufnahmetechnisches Dauerfeuer. Allein der alles verhüllende Nebel verwehrte jegliche Sicht ins Tal, ja keine 10 Meter weit reichte unsere Wahrnehmung, ehe die graue Wand sämtliche uns umgebenden Naturgewalten geradezu verschluckte. Ein richtiges Debakel angesichts der Information, auf einem absoluten Aussichtsberg zu stehen.

Unsere Mentalität jedoch ließ auch darüber keine Verstimmung aufkommen. Viel zu groß war der vor allem geistige Ballast, den wir mit unseren schweren Rucksäcken nur allzu gerne abwarfen. Fast zwei Stunden regenerierten wir auf dem Plateau, bis auch der letzte Kamerad der Nachhutgruppe mitsamt des verantwortlichen Gruppenführers am Gipfel eintraf, derweil wir die Meldung erhielten, die Frontgruppe sei bereits ohne Verluste im Tal eingetroffen. Sie müssen marschiert, nein, wohl gerannt sein, als ob der Teufel selbst in sie gefahren wäre. Verwunderungsgefühle griffen sich Raum ob dieses sturmpeitschenden Geschwindigkeitsrausches! Ob wir hier rein tempomäßig Schritt und Tritt halten können, würden wir noch früh genug erfahren.

Doch noch vor dem Abmarsch wurden die erfolgreichen Gipfelstürmer Zeuge einer Geste der Auszeichnung und der Anerkennung, als unsere Freiwilligen dem Gruppenführer des Mittelabschnitts die Flagge unserer AG Körper und Geist an der Bergsteinstele überreichten, welche dieser mit erkennbarer Ehrenhaltung entgegennahm. Noch schnell ein paar abschließende Fotos, schon hieß es: „Abmarschbereitschaft herstellen!“ Und plötzlich fühlten sich die so entspannten Muskeln geradezu bleiern an und unserer Packordnung hatten offensichtlich ein paar Alpengeister reichlich Geröll und Steine untergeschmuggelt, so sehr zog die mitgeführte Materialschlacht uns nach hinten und nach unten.

Egal, es galt, alle noch verfügbaren Kräfte zu mobilisieren und den letzten großen Marsch an diesem Tag anzutreten, wollten wir nicht von der Finsternis überrascht werden, was im Reich der Alpen und Almen schneller passieren kann, als es so manchem beherzten Wanderer lieb sein mag. Schnellen Schrittes bewegten sich beide Gruppen auf dem vorgezeichneten Gebirgspfad, einen letzten Blick über die vom Rucksack geprüfte und geschundene Schulter zum erstürmten Gipfel werfend.

 

Die Gedanken rasen:

Raus aus der Wolkenfront, querfeldein, die sicheren Wege verlassend, Hauptsache runter! Einige wirken wie am völligen Ende ihrer Kräfte, andere hingegen hat der Ehrgeiz gepackt und die ganz Fanatischen leisten sich, begleitet von kameradschaftlich derben Sprüchen, ein nicht gerade ungefährliches Wettrennen über Wiesen und Felder, ehe das kommt, wovor uns ein Hauptgruppenführer bereits Wochen zuvor schon warnte: Eine steil abwärts ragende Asphaltstraße mit bis zu 20% Gefälle. Was das für unsere Knochen, unsere Knie und auch für unsere Moral bedeuten mochte, wir wussten es erst, als unsere Füße die unebenen Fluren von Mutter Natur verließen und übersetzten in die „moderne Welt“. Man hatte uns nicht zu viel versprochen: Jeder Schritt glich einem einzigen Presslufthammer für unsere Kreuzbänder und Menisken. Und selbst hier fand sich noch eine Handvoll Wahnsinniger, welche meinten, ihre territorial zergliederte Reichsherkunft mit Wettrennen ausfechten zu müssen. Des Ausführenden Leid, des Gruppenführers Freud.

Nach einem nicht enden wollenden Martyrium für die Beine und dem Willen, welches nur ab und an durch ein Bild von gigantischer Schönheit, die uns umliegende Gebirgsverläufe preisgab, gestoppt wurde, erschienen uns endlich die von uns ansonsten nicht sonderlich geschätzten Bauwerke der sogenannten modernen Zivilisation am Horizont. Also auf, ein letztes Mal die Zähne zusammenbeißen, ein letztes Mal die Fäuste ballen, ein letztes Mal die Stirn in kämpferische Falten gelegt, ein letztes Mal den Brustkorb mit tiefen Atemzügen gefüllt. Marsch voran!

 

 

Die Parole vom Gipfel wird erneuert. Wir haben es geschafft. Der Berg war zufrieden mit unserer Leistung und gab uns lebend und unverletzt preis!

Zeitsprung. Irgendwo am Fuße der Alpen, versteckt im Wald, ein rustikales, kleines, hölzernes Anwesen. Der Duft von allerlei fachmännisch verarbeiteten Speisen erfüllt unsere Sinne, die Stimmung ist trotz aller Müdigkeit heiter und ausgelassen. Man stößt in überwiegender Mehrheit mit alkoholfreien Getränken und ebensolchem 0,0%-Bier auf das Geleistete an, als das Buffet vom Küchenchef eröffnet wird. Da lassen wir uns natürlich nicht zweimal bitten und stapeln jeden auch noch so kleinsten Platz auf unseren Tellern mit der reichhaltigen Speisenauswahl voll. Dass sämtliche Gerichte rein pflanzliche Kreationen sind, sprich, die Küche alle Berggetreuen mit feinster rein veganer Kulinarik zu begeistern versuchte, störte uns nicht weiter. Nur viel musste es sein. Der Versuch war gelungen und wir ließen uns alles reichlich schmecken. So viele Höhen- und Tiefenmeter wir noch vor wenigen Stunden zurücklegten, so viele Kalorien wanderten in unsere hart geprüften Leiber, denn ohne Mampf bekanntermaßen kein Kampf!

Beinahe unbemerkt bildete sich indessen eine stramme Linie aus den Mitorganisatoren und Gruppenführern, welche uns an diesem Tage in mancher Weise einer Nahtoderfahrung zuführten. Ein Ruf in die Runde, das Essen wird eingestellt und die volle Aufmerksamkeit auf den Gruppenführer des Mittelabschnitts gelenkt. Der hält kurz inne und erinnert uns nochmal an jene Worte, welche wir in den frühen Morgenstunden dieses Tages zu hören bekamen. Dass die ausgerufene Schlacht, die Predigt am eigenen Leib von jedem Einzelnen erfolgreich vollzogen wurde und es, im Vergleich zu den letzten Jahren, keine Ausfälle gegeben hat. Dass der Schmerz in den Knochen und Muskeln uns nur hart machen würde und vergänglich sei, der Stolz über den Sieg jedoch bis ans Ende unserer Tage andauern würde. Und dass ein jeder letztendlich sich selbst bezwang und begriff, so viel mehr noch aus sich herausholen zu können, als es der eigene Verstand jemals für möglich gehalten hätte oder einem Körper wie Geist in den härtesten Momenten suggerierte. Er beendete seine Worte mit einem Applaus, der uns und unseren Leistungen galt.

Direkt im Anschluss erfolgte die Beurkundung aller Gipfelstürmer und die Auszeichnung mit dem bekannten wie begehrten Emblem, der einem Willenskraft und Disziplin bescheinigte. Ein jeder Teilnehmer wurde persönlich aufgerufen, herzlich begrüßt und durfte sich neben einer kräftigen Gratulation des Führungsstabes, respektvollem Applaus seiner Marschbrüder und -schwestern sowie den Auszeichnungen auch ein paar individuelle, persönliche Worte durch den Hauptgruppenführer abholen, in denen die jeweilige Leistung nochmals gesondert hervorgehoben wurde. So professionell es in der Alpenfestung herging, so zog sich dieses Niveau auch durch den gesamten restlichen abendlichen Verlauf.

Jetzt, Tage nach diesem geballten körperlich-geistigen Leistungsabruf, nachdem alle Abschürfungen verheilt und auch bis in die tiefsten Muskelfasern hinein alle Schmerzen getilgt sind, jetzt lassen wir alles nochmal vor unserem geistigen Auge vorbeiziehen. Die einzige Reue, die wir empfunden hätten, wäre nicht jene der Aufgabe im Falle eines Willenseinbruchs gewesen. Nein, wir hätten es bereut, gar nicht erst angetreten zu sein. Schon am Gipfel selbst waren wir uns einig: Wenn der Ruf Asgards uns im nächsten Jahr zu sich befiehlt, dann werden wir erneut, wie unser Gruppenführer es in seiner Rede sagte, die verstaubten Niederungen Midgards verlassen und nur eine einzige Wegesrichtung kennen: Empor!

Der Mythos lebt!

Eure AG Körper und Geist

 

Zum Nachlesen: Teil 1, Teil2, Teil 3

1 Kommentar

  • Ich würde gern wissen welchen Berg ihr bestiegen habt, von welchem Ort gestartet wurde, wie viel Höhenmeter und wie lang die Strecke insgesamt war.
    Liest sich als ob ihr viel Spaß hattet.
    Berg Heil!

    Bajuware 07.10.2022
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