Am 19. November 2023 steht in Argentinien die Stichwahl zum Präsidentenamt an. Mit Javier Milei könnte ein Mann die Wahl gewinnen, der von den Medien schon jetzt als „Ultrarechter“ bezeichnet wird und in eine Reihe mit Donald Trump und Jair Bolsonaro gesetzt wird. Der 53-Jährige Libertäre hat früher als Tantrasexlehrer gearbeitet und kann mit Fug und Recht eine schillernde Persönlichkeit genannt werden. Argentiniens Wirtschaft ist abgestürzt und insbesondere viele junge Argentinier erhoffen sich von Javier Milei Rettung für ihr Land. Doch was hat es mit dem Argentinier italienischer Abstammung auf sich? Wir klären das.
Libertäre Revolution in Argentinien?
Argentiniens Wirtschaft liegt am Boden. Wieder mal. Schon oft war das südamerikanische Land mit seinen 46 Millionen Einwohnern finanziell ruiniert. Das achtgrößte Land der Welt war schon oft bankrott, von korrupten Politikern und dem kapitalistischen System ausgebeutet. Politisch gesehen schwankt Argentinien traditionell zwischen rechts und links. Symptomatisch für den wechselhaften Kurs dieses Landes, dessen Bevölkerung zu 90 Prozent von eingewanderten Europäern abstammt, ist der Kurs der regierenden Peronisten. Der Peronismus ist eine spezifisch argentinische Politikrichtung, ursprünglich benannt nach Langzeitherrscher Juan Domingo Peron. Zu dessen Zeiten wurde Argentinien autoritär und nach konservativen Grundsätzen geführt, wirtschaftlich war man eher am Kapitalismus ausgerichtet. Doch die Partei hat sich im Laufe der Jahre gewandelt, gilt heute eher als „links“. Peronismus steht daher politisch für mitunter gegenteilige Positionen. Fakt ist jedoch, dass er sich in Form verschiedener Parteien, so auch der aktuell regierenden Frente Renovador, etabliert hat.
Wen wundert es, dass viele Argentinier die Schuld an der aktuellen Misere ihrer Regierung in die Schuhe schieben? Die Inflation liegt im Land der Gauchos seit August bei 120 Prozent, etwa 40 Prozent der Argentinier leben unter der offiziellen Armutsgrenze. Die Verzweiflung ist groß und so suchen die Menschen nach einem Hoffnungsträger und nach etwas völlig Neuem.
Und genau das bietet ihnen Javier Milei. Er ist gewissermaßen der Prototyp eines Libertären und vertritt so radikale libertäre Positionen, dass man im Falle eines Machtgewinns des 53-Jährigen tatsächlich von einer Revolution sprechen könnte. Libertäre lehnen den Staat ab und wollen die totale Herrschaft des Marktes. In Deutschland stellen sie eine Randgruppe dar, die aber mit ihren Thesen durchaus auch Einfluss auf die politische Rechte genommen haben. Mit ihrer Ablehnung des Staates gibt es auch nicht zuletzt Gemeinsamkeiten mit Anarchisten, denn der Libertarismus stellt gewissermaßen eine Spielart des Anarchismus dar. Während „linke“ Anarchisten Eigentum an Produktionsmitteln abschaffen wollen, geht es Libertären darum, jegliche Schranken für das Kapital aus dem Weg zu räumen. Javier Milei selbst bezeichnet sich als „Anarchokapitalist“. In seinem Auftreten kann man Milei ganz gut mit dem Wort „wild“ beschreiben. Er schmeißt mit Dollarscheinen um sich und hantiert bei Wahlkampfauftritten auch mal mit einer Motorsäge. In jüngeren Jahren war er ein talentierter Fußballspieler bei den Chacarita Juniors und hat die Tantra-Liebeskunst gelehrt. Dem Mann mit dem markanten Backenbart eilen Gerüchte über psychische Instabilität voraus. Wie viele Argentinier ist er von italienischer Abstammung.
Von den Systemmedien wird Milei als „rechtsextrem“ oder „ultra-rechts“ eingeordnet. Doch wer Milei nun als einen nationalistischen Hoffnungsträger sehen will, der täuscht sich. Im Duktus der Herrschenden gilt bekanntlich als „rechtsextrem“, was von herrschenden Dogmen abweicht. Da wird schnell in eine Schublade gepackt, was eigentlich nicht zusammengeht. „Rechte“ Positionen Mileis sind schnell aufgezählt: Gelockertes Waffenrecht, striktes Abtreibungsverbot, mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden. Er geht davon aus, dass es keinen menschlichen Einfluss auf das Klima gibt und daher will Milei Umweltschutzbestimmungen abschaffen.
Als klassischer Libertärer möchte Milei zunächst mal den Sozialstaat zusammenstreichen. Würde bedeuten: Keine Hilfen mehr für die Argentinier in Not. Er will das Bildungssystem privatisieren und Kapitalverkehrskontrollen abschaffen. Die argentinische Währung Peso verachtet Milei. Er will lieber den Dollar als offizielles Zahlungsmittel eingeführt wissen und steht damit ganz offen zum globalen Kapitalismus. Die nationalrevolutionäre Bewegung steht jedoch für eine raumgebundene, soziale Volkswirtschaft und natürlich für einen starken Staat. Es ist daher schon an diesem Punkt klar, dass dieser Mann kein Hoffnungsträger ist. Doch der „ultrarechte“ Milei vertritt noch mehr fragwürdige Positionen. Ex-Tantrasexlehrer Milei propagiert freie Liebe und befürwortet die Homo-Ehe. Er setzt sich für die Liberalisierung des Organhandels ein. Selbst beim Kernthema rechter Politik schlechthin, der Migration, vertritt Milei die gegenteilige Position. Er setzt sich für unbegrenzte Einwanderung ein. Insgesamt zeigt Milei damit auf, wohin der Libertarismus tatsächlich führt.
In der ersten Runde der Präsidentenwahlen hat Milei 29,99 Prozent der Stimmen erhalten, während der peronistische Kandidat Sergio Massa 37 Prozent der Stimmen verbuchen konnte. Bei der anstehenden Stichwahl wird auch entscheidend sein, ob die konservativen Wähler der drittplatzierten Patricia Bullrich (23,83 Prozent) sich mehrheitlich für Milei oder für Massa entscheiden werden.