Tradition und Brauchtum in Baden-Württemberg (6): Riabagoaschtern

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Halloween ist ein Fest, das mittlerweile in ganz Deutschland bekannt ist. In jedem Jahr ziehen am 31. Oktober schaurig kostümierte Kinder und Jugendliche auf Süßigkeitenjagd durch die Nachbarschaft und klingeln an den Türen der Häuser, deren Bewohner vor die Wahl gestellt werden: „Süßes oder Saures?“ Das Wort „Halloween“ ist die Kurzform von „All Hallows Eve“, womit der Abend vor Allerheiligen bezeichnet wird. Halloween hat seinen Ursprung im keltischen Samhain-Fest. Die Legende besagt, dass an diesem Tag die Grenze zwischen der unsrigen Welt und der sogenannten Anderswelt besonders durchlässig sein soll. Die Bewohner der Anderswelt können an diesem Tag mit uns in Kontakt treten. Der Tag markiert den Mittelpunkt zwischen der herbstlichen Tag-und-Nacht-Gleiche und der Wintersonnenwende, weshalb die Kelten an diesem Tag eines ihrer vier wichtigsten Feuerfeste veranstalteten.

 

Jack O’Lantern

Untrennbar mit dem Halloweenfest verbunden sind ausgehöhlte Kürbislaternen, in welche gruselige Fratzen geschnitten sind. Der Legende nach hat der Brauch, an Halloween leuchtende Kürbisse aufzustellen, seinen Ursprung in Irland. Ein Übeltäter namens Jack Oldfield fing mit Hilfe einer List den Teufel persönlich. Der Bösewicht bestand darauf, den Teufel nur im Gegenzug für das Versprechen freizulassen, dass dieser ihm künftig nicht mehr in die Quere kommen werde. Der Teufel ließ sich auf den Handel ein, doch Oldfield hatte ein wichtiges Detail bei der Abmachung übersehen. Aufgrund seiner Missetaten gelangte er nach seinem Tod nicht in den Himmel. Doch auch in die Hölle gelangte er nicht, da der Teufel ihm, verärgert über die frühere Erpressung, den Zutritt verwehrte. Der Leibhaftige hatte jedoch Mitleid mit Oldfield und schenkte ihm eine Rübe und glühende Kohle aus dem Höllenfeuer. Der Missetäter konnte nun fortan mit Hilfe der Rübenlaterne durch die ewige Dunkelheit wandern. Die Legende der sogenannten „Jack O’Lantern“ war geboren.

Irische Migranten brachten ihre Kultur und ihr Brauchtum mit in die Vereinigten Staaten. Auf diese Weise gelangten auch die Bräuche rund um Halloween in die USA. Statt der Rüben verwendete man in der neuen Heimat zunehmend Kürbisse. Zur Abschreckung böswilliger Geister schnitt man grimmig dreinschauende Fratzen in die beleuchteten Kürbisse und stellte diese vor dem eigenen Haus oder Hof auf.

In Europa stationierte US-Soldaten brachten die Halloweenbräuche zurück in die Länder des alten Kontinents, wobei viele Traditionen rund um Helloween sich zwischenzeitlich gewandelt hatten, kommerzialisiert und amerikanisiert wurden. In Deutschland fand Halloween vor allem in den 1990er Jahren zunehmende Verbreitung. Seitdem wird auch hierzulande das Halloweenfest mit Grusel, Monstern und Geisterkürbissen begangen. Während vor allem Kinder auf Raubzug durch die Nachbarschaft gehen, um süße Leckereien zu ergaunern, feiern Jugendliche und junge Erwachsene Halloween-Parties, die bedauerlicherweise häufig als willkommener Anlass für ausgiebige Besäufnisse und exessiven Drogenkonsum fungieren.

 

Riabagoaschtern – das Halloween Baden-Württembergs

Zunehmend in Vergessenheit gerät leider ein baden-württembergischer Brauch, der gewisse Bezüge zu bzw. Ähnlichkeiten mit Halloweenbräuchen hat. Im Ländle werden im Herbst verschiedenenorts Geisterlaternen aus Runkelrüben geschnitzt. Das Ergebnis ist oftmals schauriger als die entsprechenden Kürbisfratzen, da die Rüben zumeist recht unförmige Knollen aufweisen, aus denen gruselige Warzen und hässliche Nasen geschnitzt werden.

Die Tradition der Rübengeister wurde im wahrsten Sinne des Wortes aus der Not geboren. Auf der Suche nach Nahrung zogen nach dem Ersten Weltkrieg Kinder mit knurrendem Magen durch die Dörfer. Ärmere Familien, deren Angehörige sich vor allem als Tagelöhner verdingten, litten in der Zeit zwischen Allerheiligen und Weihnachten besonders große Not. Die Erntezeit war vorüber, alternative Verdienstmöglichkeiten gab es kaum. Die Familien litten zunehmend unter Hunger.

Aufgrund der Notlage, in die viele Familien gerieten, blieb diesen oftmals nicht anderes übrig, als Rüben von den Feldern der Bauern zu stehlen und daraus Suppe zu machen. Aus der äußeren Hülle der Rüben machte man Geisterlaternen, die mittels einer Kerze beleuchtet wurden. Furchterregende Fratzen und schaurige Gesichter wurden in die ausgehöhlten Rüben geschnitzt. Da die entwendeten Rüben den Hunger nur notdürftig stillten, zogen Kinder mit den Geisterlaternen von Bauernhof zu Bauernhof und baten um etwas zu Essen. Anders als bei den heutigen Helloweenbräuchen erhielten die Kinder selbstverständlich keine Süßigkeiten, sondern unter anderem Kartoffeln oder Butter.

Dabei war und ist es üblich, kleine Sprüche aufzusagen, beispielweise „Wir sind die Rübengeister und geh’n von Haus zu Haus, wir bitten um ’ne Gabe, dann geh’n wir wieder nach Haus!“ oder „Wir sind die Rübengeister und kommen zu Euch her. Gebt uns was zu essen, der Hunger plagt uns sehr.“

 

Eine Tradition auf dem Rückzug

Nachdem sich die wirtschaftliche Situation nach den Verheerungen des Zweiten Weltkrieges in den fünfziger Jahren besserte und wieder ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung standen, ebbte die Tradition des Riabagoaschtern vielerorts ab. Doch an einigen Orten wird der Brauch noch heute gepflegt: Auf der Ostalb in Aalen und Oberkochen sowie auch in Denkingen im Landkreis Tuttlingen. In Denkingen wird zudem in jedem Jahr ein Rübengeister-Umzug der örtlichen Narrenzunft veranstaltet. Dabei wird ein eigens vom Denkinger Musikverein komponiertes Rübengeisterlied gesungen. Heute gibt es für die Kinder natürlich keine Kartoffeln oder andere Grundnahrungsmittel mehr, sondern man ist dazu übergegangen, wie im Rahmen von Halloween Süßigkeiten an die Kleinen zu verteilen, wenn sie mit ihren Geisterlaternen vor der Tür stehen.

Trotzdem an einigen Orten die Tradition des Riabagoaschtern wieder auflebt, wird die Rübe den Siegeszug des Kürbis wohl leider nicht aufhalten. Es ist vergleichsweise mühsam, eine Rübe auszuhöhlen, weshalb in den meisten Familien doch lieber zu Kürbis gegriffen wird, der leichter zu bearbeiten ist. Zudem fehlt es oftmals schlicht am Material. Immer weniger Rüben werden in Deutschland produziert, da sich deren Anbau kaum noch lohnt.

Weitere Teile unserer Artikelserie über Tradition und Brauchtum in Baden-Württemberg findet ihr hier:

Der Liebesmaien

Das Säcklestrecken

Der Großgartacher Käsritt

Das Stockacher Narrengericht

Der Storchentag in Haslach

1 Kommentar

  • Kleines Detail zur Samhain-Nacht: Dieses Jahr passen Sonnen- und Mondkalender fast genau zusammen – der 11. Schwarzmond (Samhain ist ein Mondfest und hat darum kein fixes Datum) fällt dieses Jahr auf den 1.11!

    Nadja Beeker 15.09.2024

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